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Ein illustrirtes Fachjournal für die Wollen-, Baumwollen-, Seiden-, Leinen-, Hanf- und Jute-Industrie sowie für den Textil-Maschinenbau; . Spinnerei, Weberei, Wirkerei, Stickerei, Färberei, Druckerei, Bleicherei und Appretur. Redaktion, Expedition Fernsprech- Anschluss No. to 5 8 Leipzig“johSAUee .3. Chefredakteur und Eigenthümer: Theodor Martin. RÄXb.iÄ Organ des Vorstandes des Vereins der Sächsischen Textil-Berufsgenossenschaft * Deutscher Wollkämmer und Kammgarnspinner. Leipzig, 30. November 1892. Nachdruck, soweit nicht untersagt, ist nur mit vollständiger Quellenangabe gestattet. Ni- 11. VII. Jahrgang. © ein Jahr, dass unsere vor dem Richterstuhl Handelskammern. ald wird es Industrieen das Christgeschenk, mit welchem die deutschen Länder vom deutschen Reichskanzleramt über rascht wurden, in Form der Handelsver- verträge in Empfang genommen haben. Viele Einzelstimmen haben unterdessen Die Handelsverträge unserer ihr günstiges oder ungünstiges Urtheil über dieselben abgegeben und auch unsere Zeit ¬ schrift hat im Laufe des Jahres wiederholt mit den Vortheilen und Nachtheilen dieser Handelsverträge in objectiver Weise sich be schäftigt. Gewiss durfte man auf die Aus sprüche unserer Handelskammern gespannt sein, da dieselben jedenfalls in der Lage sind, dieses schwer zu übersehende Feld am ehe sten zu beherrschen. Wir haben es deshalb für angezeigt gehalten, die in ihren Jahres berichten enthaltenen Kritiken mit Auswahl zu sammeln, je nach dem Grad der Zufrie denheit oder Unzufriedenheit zu ordnen, und, um unseren Lesern nicht durch unvermeid liche Wiederholungen zur Last zu fallen, im Auszug wiederzugeben, so dass das grosse Thema wie in einem Potpourri behandelt wird, welches nur die Grundgedanken der Hauptmotive an einander reiht, um ein an nähernd zusammenhängendes Ton- oder Stimmungsbild hervorzubringen. Wir lassen den „Aeltesten der Kauf mannschaften“ von Berlin und Magdeburg den Vortritt, eben weil sie die Aeltesten also die Ehrwürdigsten sind, obgleich das persönliche Alter der Mitglieder gewiss nur ein durch den Titel simulirtes ist. Diese beiden Han delskammern, um die Kinder beim rechten Namen zu nennen, gehen auf den Urgrund der Handelsverträge mit Oesterreich-Ungarn, Italien, Belgien und der Schweiz zurück und führen die Stimme im Chor der Zufriedenen. Indem Berlin auf den wirthschaftlichen Kriegszustand der Völker in letzter Zeit zu rückweist und gleichzeitig das politische und wirthschaftliche Bedürfniss für die Verträge in Anspruch nimmt, äussert es sich über dieselben, gleich Magdeburg, sehr günstig. (Berlin.) Die neuen Verträge sind zwar noch sehr weit davon entfernt, den Traum eines mitteleuropäischen Zollvereins zu ver wirklichen; sie gestatten jedoch einen be scheidenen Austausch dessen, was die ein zelnen Vertragsstaaten über ihren Bedarf hinaus produciren; dieser Austausch wird jedem der Betheiligten Gewinn bringen; für Bezug und Absatz wichtiger Artikel werden die Vertragsstaaten sich im Laufe der Zeit auf einander angewiesen sehen, und so wird der politische Bund mehr und mehr als der natürliche Ausdruck wirthschaftlichen Zusam menhanges erscheinen. (Magdeburg.) Wenn auch, wie leicht begreiflich, nicht allen von der deutschen Industrie gehegten Wünschen in diesen Han delsverträgen Rechnung getragen werden konnte, so sind sie doch in zweierlei Hin sicht als durchaus erfreulich zu betrachten: einmal, weil ihnen mit dem unseres Erach tens auf die Dauer nicht ungefährlichen Sy steme einer Hochschutzzollpolitik gebrochen wurde, deren Fortsetzung den deutschen Ex port voraussichtlich immer empfindlicher ge schädigt hätte, und dann, weil sie eine Sta bilität der Zollverhältnisse auf einen immer hin nicht unbeträchtlichen Zeitraum von 12 Jahren mit sich gebracht haben. (Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern.) In der Thatsache, dass unser Export nunmehr auf eine sichere Grundlage gestellt ist, dass er 12 Jahre hindurch mit festgelegten, keiner Erhöhung unterliegenden Tarifen der Vertragsländer rechnen kann, ohne plötzliche, seine Existenz theilweise ge fährdende Zollmaassnahmen befürchten zu müssen, erblicken wir einen Vortheil, der die wirklichen und vermeintlichen Nachtheile einzelner, durch die neuen Verträge sich ge schädigt erachtender Interessentenkreise weit aus überwiegen dürfte. (Frankfurt a. M.) Wir erwarten von den Handelsverträgen keinen allgemeinen Umschwung des europäischen Geschäftsver kehrs — dazu sind die Veränderungen im Zollsysteme nicht wesentlich genug —, aber wir versprechen uns mannigfache Erweite rungen des deutschen Absatzfeldes und freuen uns der Sicherheit und Ruhe, welche sie unserer Industrie für 12 Jahre gewähren. (Aachen und Burtscheid.) Jedenfalls hat der Abschluss der Handelsverträge das Gute gehabt, dass das Princip der autonomen Zollgesetzgebung, welches im Interesse der hei mischen Industrie bis dahin als richtig aner kannt war, nunmehr verlassen worden ist, und dass das Deutsche Reich zu dem System der Vertragstarife übergegangen ist. Diese Annäherung der mitteleuropäischen Staaten in gewerbepolitischer Hinsicht ist unter dem Gesichtspunkte des allgemeinen Interesses mit Genugthuung zu begrüssen. Ein weiteres Fortschreiten auf dieser Bahn kann nur em pfohlen werden. (Offenbach a. M.) Indem wir den er folgten Abschluss der neuen, auf Conventio- naltarife gestellten Handelsverträge, welche wir für Deutschlands Stellung in Europa und auf dem Weltmärkte als unerlässlich geboten erachten, mit grosser Genugthuung begrüssen, erklären wir, von diesem Standpunkt aus und in Wahrnehmung des höher stehenden Gesammtinteresses, allen Wünschen auf Ver schärfung unserer Zollpolitik, wie berechtigt sie auch vom Standpunkte des Einzelinteresses erscheinen möchten, Sympathieen nicht ent gegenbringen zu können, wenn diese Wünsche