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3. August 1910. Aus Fachvereinen. Stahl und Eisen. 1349 Gefügeaufbau und damit den schlechteren physikalischen Eigenschaften. Es hat sich gezeigt, daß die qualitativen Eigenschaften von Eisen und Stahl ebensowohl oder vielleicht noch mehr von der Atomkonzentration abhängen als von der che mischen Zusammensetzung bezw. von der Freiheit von qualitätschädigenden chemischen Bestandteilen; es kommt darauf an, beim Ausschmelzen des Stahles Eisenatom- gruppen einer geringsten Atomzahl größter Näherung zu erhalten. Jeder Temperatur entspricht eine bestimmte Atom konzentration; mit steigender Temperatur werden die Atomgruppen mehr und mehr zerlegt, indem der steigende Wärmedruck die zwischen den einzelnen Atomgruppen bestehenden Kohäsionskräfte überwindet. Der Stahl muß also in der Ausgarungsperiode auf einer bestimmten Temperaturstufe so lange gehalten werden, bis keine Wärmedruckunterschiede mehr bestehen und das ganze Material die der Temperaturstufe entsprechende Atom konzentration gewonnen hat; alsdann muß die Tempera tur durch erhöhte Stromzufuhr gesteigert werden, und so fort bis zu den höchsten erreichbaren Temperatur stufen. Das auf diese Weise ausgeschmolzene Metall nimmt schließlich beim Erstarren denjenigen Gefüge aufbau an, welcher der im letzten Stadium des Aus schmelzens vorhandenen Atomkonzentration entspricht. Bei einigem Verständnis in der Ofenführung ist die vor beschriebene Art der Wärmezufuhr nicht schwer durch zuführen; sie wird durch die leichte Regulierbarkeit der Wärmequelle, insbesondere im Heroultofen, wo die Wärme entwicklung sich ausschließlich in den Lichtbögen kon zentriert, wesentlich erleichtert. Die Praxis bestätigt voll und ganz diese theoretischen Ausführungen. Alle diejenigen Chargen, welche auf basi schem Elektroofenherd in niedrigen Temperaturen aus geschmolzen wurden, zeigten immer schlechte Gefüge beschaffenheit und geringe physikalische Eigenschaften; Chargen, welche dagegen in hohen Temperaturen in oben charakterisierter Weise unter allmählicher Steigerung des Wärmedrucks ausgeschmolzen wurden, hatten bestem Tiegelstahl zum mindesten gleichwertige Gefügebeschaffen heit und physikalische Eigenschaften. Beim sauer zugestellten Elektroofen findet außerdem immer eine Reaktion zwischen Herd und Metall und eine ständige Anreicherung des Siliziumgehalts unter Verringe rung des Kohlenstoffs statt. Dieser chemische Vorgang unterstützt sehr kräftig die Zerlegung der Atomgruppen, so daß es möglich ist, die günstige Gefügebeschaffenheit auch ohne Anwendung der denkbar höchsten Temperatur stufen zu erreichen. Indessen bot das Arbeiten auf saurem Herd die Schwierigkeit, daß es nicht möglich erschien, eben infolge der fortwährend einwirkenden chemischen Reaktionen, den Stahl ohne Veränderung seiner chemischen Zusammensetzung und ohne schädliche Siliziumauf nahme auszugaren. Aber auch diese Schwierigkeit ist durch planmäßige Arbeit gelöst worden. In einem Schlußwort führte alsdann der Verfasser folgendes aus: „Nach der Natur der Wechselbeziehungen zwischen Herdzustellung und Metall findet sich eine grundsätzliche Verschiedenheit zwischen dem basischen Herd höchster Neutralität und dem sauren Herd einer höchsten chemischen Reaktionsfähigkeit. Diese Verschiedenheit ist unüber brückbar, so daß es vermutlich niemals gelingen wird, den einen Herd im metallurgischen Effekt durch den anderen zu ersetzen. Durch sein absolut neutrales Ver halten ist für den basischen Herd praktisch keine Grenze in bezug auf die Möglichkeit gegeben, Stahl jeder nur denkbaren chemischen Zusammensetzung anzufertigen. Durch seine Basizität kann die chemische Reinigung des Metalles so weit wie nur irgendwie notwendig getrieben Werden. Der saure Herd gestattet infolge seiner sicher als maximal zu bezeichnenden Reaktionsfähigkeit nur eine begrenzte Möglichkeit, Stahl bestimmter chemischer Zusammensetzung anzufertigen, insbesondere nicht solche Legierungen, welche infolge ihrer basischen Wirkung auf die Herdzustellung zu ungünstigem Einflüsse gelangen. Auf saurem Herd ist eine unmittelbare chemische Reini gung, besonders in Ansehung des Phosphor- und Schwefel gehaltes, nicht möglich, wenngleich Aussicht besteht, dies in bezug auf den Schwefelgehalt in absehbarer Zeit zu erreichen. Dagegen ist der Einfluß der chemischen Vorgänge durch diesen Herd auf die kristallinische Be schaffenheit und die daraus hervorgehenden physikalischen Eigenschaften des Stahls so außerordentlich groß, daß dieser Umstand allein schon die volle Existenzberechtigung des sauren Herdes für alle Zukunft sichert, insbesondere in allen jenen Fällen, in welchen man von Natur aus chemisch reinere Einsätze zu verarbeiten beabsichtigt. Erkennt man den Vorteil des sauren Herdes nach dieser Richtung hin an, so ist dies auch dann der Fall, wenn es sich um die Weiterverarbeitung eines erst chemisch ge reinigten Einsatzes handelt. Dadurch ist auch die Kom binationsarbeit zwischen basisch und sauer zugestelltem Ofen absolut gerechtfertigt. Da es erwiesen ist, daß bei geeigneter Regelung des chemischen Prozesses auf saurem Herd Stahl bei an nähernd gleichbleibendem Kohlenstoffgehalt ausgegart werden kann, ohne daß gleichzeitig erhebliche Silizium reduktionen stattfinden, so ist hierin auch die Berechti gung der Kombination: saure Birne — saurer Elektro ofen ohne weiteres gegeben, wenn man in der ersteren ein Fabrikat von größerer chemischer Reinheit erbläst. Das Ausgaren auf saurem Elektroherd erfolgt über aus rasch und in günstigeren Erwärmungsverhältnissen als auf basischem Herd. Daher ist nicht nur die Pro duktionsfähigkeit des ersteren, z.B. in Kombination mit der Birne, höher, sondern auch die Wirtschaftlichkeit im Stromverbrauche besser. Natürlich kann eine höhere Produktionsfähigkeit des Elektroofens nur bei äußerster Haltbarkeit des Herdes erzielt werden, denn man muß bedenken, daß bei flüssigem Einsatz und kurzer Chargendauer die Herdbeanspruchung ganz ungeheuer ist; dann müssen aber alle etwa erforder lichen Herdreparaturen in den sich ergebenden äußerst geringen Zwischenpausen von 5 bis 10 Minuten geschehen können. Wenn man weiterhin bedenkt, daß eine Chargen zahl von 10 bis 15 im Tag immerhin in der Woche 60 bis 90 Chargen ausmacht, so erfordert der Betrieb, sofern er tatsächlich ein kontinuierlicher sein soll, eine Haltbar keit des Herdes von mindestens 1000 Chargen, wenn sie derjenigen des Martinofens mindestens gleichkommen soll.“ „Weil die chemischen Reaktionen zwischen Herd und Metall überaus stark sind und nur durch den Schlacken prozeß beherrscht werden können, so kann bei der Schwer schmelzbarkeit der Schlacke kaum eine andere als die Licht bogenbeheizung in Betracht kommen, und es bleibt von allergrößter Wichtigkeit, daß die spezifische Berührungs fläche zwischen Herd und Metall so klein wie möglich bemessen sei.“ „Da der saure Herd eine überaus wert volle Ergänzung des basischen bildet, so erachte ich ihn überall da für nötig, wo man gesonnen ist, die qualitative Richtung in jeder Beziehung wahrzunehmen. Es ist einfacher, zwei Herde für den gleichzeitigen oder abwechselnden Betrieb aufzustellen, als etwa in der Zustellung zu wechseln. Natürlich wird der sauer zugestellte Elektroherd auch ein unvergleichlich praktischer Ofen für die Anfertigung von Stahlformguß sein, und zwar ebensogut für den Klein als für den Großbetrieb. Daß es möglich erscheint, im Elektroofen auch den kristallinischen Aufbau und die daraus hervorgehenden physikalischen Eigenschaften mit Absicht zu beeinflussen, ist ein Vorzug, dessen Tragweite sich nicht ermessen läßt, ebenso wie derjenige, welcher sich aus der Möglichkeit ergibt, den metallurgischen Prozeß so weitgehend zu regeln und in den Dienst unserer Absichten zu stellen, wie in keinem andern metallurgischen Ofen. Weil es praktisch möglich erscheint, alle diese Beeinflussungen