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20. Juli 1910. Wirtschaftliche Rundschau. Stahl und Eisen. 1273 Man durfte daran denken, sich das große Absatz gebiet zwischen den mitteldeutschen Produktionsstätten und den Küsten der Nord- und Ostsee zu erschließen, in dem neben der böhmischen Braunkohle auch die englische Steinkohle in lebhaftem Wettbewerb mit der deutschen Kohle stand. Anfang der 90er Jahre kam dank der unab lässigen Bemühungen der Vertreter der Braunkohlen industrie ein 201-Ausnahmetarif für Braunkohlen und Braunkohlenprodukte zur Einführung, dessen Tarif sätze so gestellt waren, daß der Absatz von Braunkohlen briketts nach den Küstengebieten der Nord- und Ostsee endlich die dringend ersehnte Erweiterung erfahren konnte. Die Wirkung, die der Tarif auf die Entwicklung des Brikettabsatzes nach den Gegenden nördlich von Berlin, also nach einem großen Teile der Provinz Bran denburg, sowie Pommern und Mecklenburg, ausübte, war augenfällig. Der Tarif erfuhr in den folgenden Jahren eine weitere Ausdehnung auf die Stationen der östlichen Küstenprovinzen. Seine Sätze sind wesentlich günstiger als die des im Jahre 1897 auf Brennmaterialien aus gedehnten Rohstofftarifes, bei dem die Staffelung des Streckensatzes erst bei 350 km Entfernung eintritt, während sie beim 20 t-Tarif bereits bei 100 km ein setzt. Eine wesentliche Verschiebung der Frachtsätze zu gunsten der deutschen Braunkohle gegenüber der böh mischen Braunkohle und englischen Steinkohle trat im Jahre 1897 mit der Ausdehnung des Rohstofftarifes auf Brennmaterialien ein, da die ausländischen Kohlen von den Vergünstigungen dieses Tarifes ausgeschlossen blieben. Um die Verfrachtung von Briketts von den Häfen der Elbe und Weser seewärts zu ermöglichen, trat auf Antrag des Industrie-Vereins im Jahre 1899 ein weiterer 201- Tarif mit niedrigen Einheitssätzen in Kraft. In dem von deutscher und böhmischer Seite in den letzten 25 Jahren um das deutsche Absatzgebiet geführten Kampfe gelang es der deutschen Braunkohlenindustrie, dank der von ihr beeinflußten Tarifmaßnahmen der Eisenbahnen und der Vorzüge der Braunkohlenbriketts, die Einfuhr böhmischer Kohle, wenn auch nicht in ihrer absoluten Höhe einzu schränken, so doch in ihrem Verhältnis zum Gesamt verbrauch von Braunkohlen in Deutschland zurückzu dringen. Dieser Anteil betrug im Jahre 1885 19,2%; nachdem er bis zum Jahre 1890 bis auf 25,5 % gestiegen war, fiel er ständig bis auf 10,9 % im Jahre 1909. Dagegen gelang es den vereinten Bemühungen des deutschen Stein- und Braunkohlenbergbaues nicht, die englische und schot tische Kohle im deutschen Küstengebiete zurückzu drängen; namentlich im letzten Jahrzehnt gewann die britische Kohle stark an Boden. Für die Ausfuhr von Braunkohlenbriketts wurde Ende der 90er Jahre eine Reihe von Ausnahmetarifen eingeführt, u. a. nach Däne mark, Italien, der Schweiz und Oesterreich-Ungarn. Sie haben indes vorläufig noch keine große Bedeutung für den mitteldeutschen Braunkohlenbergbau erlangt. Immer hin zeigt die Ausfuhr steigende Zahlen; sie stieg von 68 000 t im Jahre 1885 auf etwas über 1 000 000 t im Jahre 1909, d. s. 1% % der deutschen Braunkohlen gewinnung. Die Ausfuhr deutscher Braunkohlen und Braunkohlenbriketts aus Mitteldeutschland hält sich wegen der zentralen Lage der Gewinnungsstätten in be scheidenen Grenzen. Etwas größere Bedeutung hat die Ausfuhr für den rheinischen Braunkohlenbergbau wegen der geographischen Lage dieses Reviers. Der Brikettabsatz nach Holland und der Schweiz beträgt jetzt 11 % des Gesamtabsatzes des Rheinlandes. Es dürfte von Interesse sein, daß im Jahre 1886 die rheinische Brikettindustrie fast eine reine Ausfuhrindustrie gewesen ist; es gingen nämlich in dem genannten Jahre 86,7 % des gesamten Eisenbahnabsatzes ins Ausland. Die Bestrebungen, die starken Preisschwankungen, die sich infolge des Wettbewerbs der Braunkohlenwerke untereinander wiederholt einstellten und eine gesunde und stetige Entwicklung des Braunkohlenbergbaues hinderten, nach Möglichkeit zu beseitigen, führten seit dem Jahre 1890 zur Gründung von Preisvereinigungen und Syndikaten. Einer einheitlichen Kartellbildung im deutschen Braunkohlenbergbau stand die große räum liche Trennung der einzelnen Braunkohlenreviere im Wege. Dagegen schlossen sich die Werke bezirksweise zusammen. Gegenwärtig werden durch die Preisvereinigungen und Syndikate 66 % der gesamten deutschen Braunkohlen- und 80 % der Brikettgewinnung vertrieben. Das Bedürfnis, die Gestehungskosten zu ermäßigen, um die Rentabilität der Werke nicht sinken zu lassen, führte zu einer allmählichen Entwicklung des Braun kohlenbergbaues zum Großbetriebe. Diese Tatsache tritt in Erscheinung sowohl in der Zusammenlegung kleinerer Grubenbetriebe als auch in der Vergrößerung der einzelnen Werksanlagen selbst. Während 1885 im Deutschen Reiche noch 633 Braunkohlenbergwerke im Betrieb standen, waren es 1908 nur noch 541. Die durchschnittliche För derung eines Werkes stieg in diesem Zeiträume von rund 24 000 auf 125 000 t, d. h. also um das fünffache der Leistung. Gleichzeitig stieg die durchschnittliche Beleg schaft eines Werkes von 44 auf 141 Mann. Auch in der Braunkohlenbrikettindustrie ist — sogar in noch stärkerem Grade als beim Bergbaubetriebe,— eine betriebstechnische Konzentration zu beobachten, die sich in der Zunahme der durchschnittlichen Pressenzahl der Fabriken geltend machte und eine Herabminderung der Gestehungskosten zur Folge hatte. Neben der technischen Betriebskonzen tration ist in den letzten fahren aber auch noch eine wirtschaftliche Zusammenfassung einer ganzen Reihe von leistungsfähigen Werksanlagen erfolgt, die zuerst im rheinischen Braunkohlenbergbau, in letzter Zeit aber auch in den anderen Braunkohlenbezirken zu erkennen war. Diesel wirtschaftliche Vorgang ist offenbar noch nicht zum Abschluß gekommen. Aus Rußlands Bergwerks- und Eisenindustrie. — Nach Mitteilungen der „Köln. Ztg.“ ist trotz der guten Ernte des abgelaufenen Jahres und der glänzenden Aussichten für die neue Ernte in der allgemeinen Lage der russischen Industrie keine Besserung zu bemerken. Manche Industrie zweige durchleben gegenwärtig Krisen wie nie zuvor. Besonders fühlbar ist die Krise in der Kohlenindustrie. Der Kohlenversand aus dem Donezbecken betrug im ersten Viertel des laufenden Jahres 185 000 000 Pud, hat also um 9 785 000 Pud oder 5 % gegen denselben Zeitraum des Vorjahres abgenommen. Im einzelnen ging der Anthrazit versand von 26 435 000 auf 24 629 000 Pud und der Stein kohlenversand von 148 135 000 auf 138 838 000 Pud zurück. Nur der Koksversand stieg wegen einer leichten Besserung in der Metallindustrie von 20 867 000 auf 22 185 000 Pud. Auch von der russischen Maschinenindustrie läßt sich nichts Günstiges sagen. Im abgelaufenen Jahre ging der Waggon- und Lokomotivversand stark zurück; für das laufende Jahr sind die Bestellungen vorläufig recht spär lich. — Einen lichten Punkt bildet die Metallindustrie. Die Preise sowohl wie der Verbrauch, insbesondere von Stab- und Formeisen, weisen eine leichte Besserung auf. Die Verschmelzung der Donez-Juriewer Metallurgischen Gesellschaft mit der Providence Russe in Mariupol und der Ural-Wolga-Gesellschaft ist kürzlich zur Tatsache geworden. Alle drei Gesellschaften sind bekanntlich für Stab- und Formeisen an dem Syndikat Prodameta be teiligt, wobei die Donez-Juriewer Gesellschaft die höchste Beteiligungsziffer von allen übrigen südrussischen Werken aufweist. Durch die Verschmelzung der drei genannten Werke macht das Syndikat einen Schritt zu seiner weiteren Vervollkommnung. Es ist anzunehmen, daß dieser Ver schmelzung bald weitere folgen werden. Dominion Steel Corporation, Ltd.* — In einer am 23. Juni in Montreal abgehaltenen Versammlung der Aktionäre der durch Zusammenschluß der Dominion Iron and SteelCompany und der Dominion Coal Company entstandenen Gesellschaft wurde nunmehr endgültig der obige Name als Firma des Unter nehmens gewählt, um Verwechslungen mit anderen Firmen zu vermeiden. ** * *The Iron Age“ 1910, 30. Juni, S. 1556. ** Siehe „Stahl und Eisen“ 1910, 25. Mai, S. 895.