Lngano zu Schiffe. Der See gewährt mit seinem Ufer einen sonderbaren Anblick; er erscheint wie Wasser, das in einem großen Becken steht. Die hohen Berge umher bilden den Rand; am Fuße der Gebirge liegen Dörfer, welche mit ihren Häusern wie Miniatnrgcmälde ausschen. Die Linien perspective ist cs, welche sie klein macht; denn da die Lustperspective fehlt und der Himmel hier eine reinere Klar heit ohne Dunst besitzt, so rücken die Gegenstände näher heran, als es wirklich ist. Wir fuhren an dem einen Ufer des Sees und sahen die Gegenstände an dem anderen mit der größten Deutlichkeit. Dies erschien uns um so merkwür diger, da wir eben erst aus Italien kamen, wo die Ferne fast immer in duftigem Nebel liegt, welcher einem nahen Gegenstände das Ansehen einer weiten Entfernung giebt. Hier war es nun umgekehrt: die Ferne schien nahe, aber in dieser Nähe wunderbar klein. Von Lugano aus nahmen wir Pferde zum Reiten und für unser Gepäck und setzten den anderen Tag unsere Reise durch das Livinerthal und über den Gotthard fort. — Nahe an der Brücke des Engen-Zolls stürzte von den Ber gen ein Felsenstück in den Weg, den wir eben gekommen waren, so daß unser Pferdeführer, der etwas zurückgeblieben > war, kaum hinüber konnte und weit später ankam, als wir. — Auf diesem Wege hat man nicht Augen genug, um die wun« samcn Schönheiten der Natur zu genießen, welche sich hier in der herrlichsten Mannigfaltigkeit darbieten, Höhen, Thä- ler, dunkle Waldungen, Abgründe, steile Bergspitzen, Ströme und Berggewäher, die von den Höhen herunter schäumen! — Wir übernachteten am Fuße deS Gotthards, stiegen am fol genden Morgen bergan und frühstückten bei dem fröhlichen Einsiedler, der uns trefflich bewirthete und mit gutem Weine stärkte. — Es war gerade der erste Mai des Jahres 1781