Die Komponisten und ihre Werke * Bachs Lied in Schemellis Gesang-Buch Ein Original Bach schrieb nicht alle Lieder selbst Noch heute rätseln die Musikforscher der Alten Musik, in welcher Besetzung Bach seine Orchestermusiken aufge führt hat, selbst die Stärke seines Chores in Leipzig bleibt ein viel disku tiertes Geheimnis. Eines ist klar: Eine Streicherbesetzung wie am heutigen Abend bliebe für Bach jenseits aller Vorstellung. Dabei war der Gedanke, bestehende Kompositionen in Klang oder Charakter zu verändern, Bach sehr vertraut. Eigene Konzerte wurden kurzerhand für andere Soloinstrumente umgeschrieben, Vivaldis Konzerte adaptiert und frei interpretiert, Arien eigener Kantaten mit anderem Text unterlegt oder neu instrumentiert. Das „Abliefem frischer Werke“ war späte stens für den heftig eingespannten Thomaskantor Routine. Stokowskis (siehe S. 14) Interesse an Bach resultierte aus seiner Verehrung für die Musik Bachs, die er mit seinem amerikanischen Orchester bekannt machen wollte. Wie behutsam er das zarte Lied „Mein Jesu“ für Streich orchester eingerichtet hat, läßt sich am Notentext des Liedes mitlesen - andere Werke von Bach für volles Orchester haben mit dem ursprünglichen Charakter nur noch wenig zu tun. Der Kölner Musikjournalist Michael Struck-Schloen: „Typisch für den Stokowski Sound war der seidig rau schende, leicht unscharfe Klang der Violinen, die er erstmals nebeneinan der (und nicht, wie lange üblich, gegenüber) platzierte und einer klang starken Bassgruppe konfrontierte.“ Die Dresdner werden ihren eigenen Klang für dieses raumgerecht arrangierte Werk finden. Das Lied stammt aus dem so genannten „Schemelli-Gesangbuch“, das der Zeitzer Hofkantor Georg Christian Schemelli aus Texten und Melodien zusammengetragen hatte. „Die in die sem Gesangbuche befindlichen Melo dien sind von Sr. Hochedl. Herrn Johann Sebastian Bach, Hochfürstl. Sächß. Capellmeister und Directore Chor. Musici in Leipzig, theils ganz neu componiret, theils auch von Ihm im General-Baß verbessert... worden.“ So lautet das Vorwort. Es erschien zur Leipziger Ostermesse im Jahre 1736. Unser Lied sollte speziell für das Buch gefertigt worden sein. Es handelt sich nicht - wie der Hörer speziell in der Orchesterfassung leicht vermuten könnte - um Choräle, sondern aus stimmführungstechnischen Gründen und in ihrer ganzen musikalischen Natur um geistliche Sololieder. Es han delt sich in dem Buch mit insgesamt 954 Liedern um 69 besonders in Kupfer gestochene Tonsätze. Rechts sehen wir eine eingerichtete Ausgabe von Max Seiflfert.