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Antworten findet, wie etwa in der „Xenos"-Werkreihe, gruppiert um das Musiktheater „Wüstenbuch", das 2010 in Basel uraufgeführt wurde. In diesen Stücken widmet sich Furrer explizit den Möglichkeiten der Textualität von Musik. Der griechische Begriff ^evog/Xenos umschreibt das Fremde, wird aber schon in der griechischen Mythologie erweitert als Integration des Fremden beschrieben. Hier setzt Furrer an, wenn er sich in Xenos auf den Gesang eines Imam in einer Moschee bezieht. Xenos entstand 2008 für das Ensemble Modern als Teil des „Into...lstanbul"-Projektes, in welchem Komponisten musikalisch das Wesen einer Stadt ergründeten und künstlerisch verarbeiteten. Beat Furrer schilderte aus Istanbul eindrückliche Erlebnisse - Xenos ist inspiriert von der Gewalt des Gesangs des Imam in der Blauen Moschee, der Prediger, Textausdeuter und Priester zugleich ist. Furrers Werk kommt ohne einen Sänger aus, doch im Mittelpunkt steht eine Melodie, ein Gesang, der durch spektrale Filter in den Instrumenten stetig verwandelt wird und durch Verfremdung oder Verzerrung Räumlichkeit erhält - erst am Ende ist die Melodie in der Bassflöte in Klarheit erkennbar. Dabei wirkt in Xenos keine Textausdeutung oder Botschaft, sondern dem Klang der Stimme und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten wird sensibel nachgespürt - zwischen Schrei und imaginärem Flüstern entsteht so ein ganzer Kosmos vokaler Instrumentalmusik, den der Komponist auch gegenwärtig in seinen Arbeiten weiter verfolgt. Hier sieht Beat Furrer einen ganz wesentlichen Sinn von Musik überhaupt: „Es soll mir niemand behaupten, dass es nicht ein Grundbedürfnis des Menschen ist, sich auszudrücken mit seiner Stimme." Bouchara Claude Vivier Dem franko-kanadischen Komponisten Claude Vivier (1948-1983) war nur ein kurzes, schöpferisches und auch extremes Leben beschieden. Eine allmähliche Renaissance seiner Werke ist erst in den letzten Jahren zu beobachten. Biografische Details und deren Mythologisierung sowie die bewusste Erforschung eines musikalischen „Randes" und die starke autobiografische Bindung seiner Musik verbinden sich zu einem außergewöhnlichen Künstlerbild. Obwohl Vivier ab 1971 Schüler von Karlheinz Stockhausen und Gottfried Michael Koenig war, beschritt er genau den entgegengesetzten Weg der im Diktum entpersonalisierten Musik der damaligen Avantgarde und versuchte über seine Kompositionen Antworten auf seine Herkunft - Vivier ist bei Adoptiveltern aufgewachsen -, seine Gefühlshaltungen, auch seine religiöse Orientierung zu finden. Trotzdem sind seine Stücke avanciert im Umgang mit Mikrotonalität, permutativen Strukturen oder Ringmodulationen. Auch Stockhausens in den 70er-Jahren beginnende Zulassung einer Spiritualität, die sich auch auf der Begegnung mit dem „Fremden" und hier vor allem mit asiatischen Kulturen gründet, ist bei Vivier auszumachen. Nach einer kürzeren Periode als Kompositionslehrer in Ottawa bereiste er den Iran, Indien, Japan und Indonesien und komponierte fortan Werke, die starken Bezug zu den Eindrücken dieser Reisen aufweisen. „Bouchara" für Sopran, Bläserquintett, Streicher und Schlagzeug entstand 1981 und ist nach der usbekischen Stadt benannt, die auch Marco Polo in seinen Memoiren beschreibt. Es gehört in eine Werkreihe weiterer Kompositionen für Stimme und Ensemble, die in ein