8 Hosokawa | Sternlose Nacht noch von seiner Elterngeneration miterlebten Geschichte. Augenzeugenberichte der beiden Kriegskatastrophen, gesprochen von Kinder oder Erwachsenenstimmen, sollten in einzelne Sätze des Oratoriums eingeblendet werden. Dies wäre kein Dresden-Oratorium und auch keine »Schöpfung«, sondern etwas anderes, etwas Drittes: »Wiederholte Spiegelungen« des von Menschen verübten Unheils im Zyklus der Na tur und zugleich ein Epitaph für die Hundert tausende von Menschen, die dem Krieg zum Op fer gefallen sind. Hosokawa hatte auch schon einen Titel dafür: »Grabsteine für Jahreszeiten«. Blieb die Aufgabe, Texte für den Jahreszei tenzyklus, das eigentliche Rückgrat der Kom position zu finden. Ein erster Baustein ergab sich durch Zufall, als er im Winter 2008/09 die in der Neuen Nationalgalerie in Berlin gezeigte Aus stellung der Bildwerke von Paul Klee besuchte. Lange verharrte er vor Klees Gemälde »Angelus Auszug aus »Über den Begriff der Geschichte« (1940), These IX[1], von Walter Benjamin »Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Sei ne Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unab lässig Trümmerauf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.«