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SächsischeSlaatszeilung Staatsaryeiger für den Zreiftaat Sachsen Dresden, Dienstag, 24. November Rr. 272 1925 Erscheint Werktags nachmittags mit dem Datum deS ErscheinungStage». Bezugspreis: Monatlich 3 Mari. Einzelne Nummern 15 Pf. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 21295 — Schriftleitung Nr. 14574 Postscheckkonto Dresden Nr. 2486. — Stadtgirolonto Dresden Nr. 140. Ankündigungen: Die 32 mm breite Grundzeile oder deren Raum 30 Pf , die 66 mm breite Grundzeile oder deren Raum im amtlichen Teile 60 Pf., unter Ein gesandt 90 Pf. Ermäßigung aus GeschäftSanzeigen, Familiennachrichten u. Stellen gesuche. — Schluß der Annahme vormittags 10 Uhr. Zeitweise Nebenblätter: Landtags-Beilage, Verkaufsliste von Holzpflanzen auf den Staatsforstrevieren. Verantwortlich für die Redaktion: I. B.: Oberregierungsrat Han- Block in Dresden. Auswärtiger Ausschuß des Reichstages. Berkin, 23. November. Ter Auswärtige Ausschuß des Reichstages, der Montag nachmittag unter dem Borsitze deS Abg. Hergt (Dnat.) zusammentrat, behandelte im Rahmen der Beratung über das Locarnoabkommen zunächst die Entwaffnungsfrage, Hu der die Vertreter der verschiedenen zuständigen Mini- sterien Stellung nahmen. Alsdann beschäftigte sich der Ausschuß mit den Auswirkungen des Locarnoabkommens auf das besetzte Gebiet. Die Redner der einzelnen Parteien gingen ausführlich auf die vorgetragene Materie ein. Am Schlüsse der ausgedehnten Debatte sprach der Reichsminister des Äußeren vr. Strese mann. Es wurde dann noch verkündet, daß das Gutachten der Reichsregierung darüber, ob das Locarnogesetz ein verfassungsändern des sei oder nicht, den Mitgliedern des Aus schusses mit der größten Beschleunigung in gedruckter Form zugeleitet werden wird, sodaß schon in den nächsten Tagen der Auswärtige Ausschuß über diese Fragen beraten wird. Die Handelsverträge mit Italien, Österreich und der Schweiz werden im Handelspolitischen Ausschuß des Reichstages beraten werden. Erhöhung der ErwerMosen- unterftii-unA. Berlin, 23. November. Im RejchSlagsausschuß für soziale Ange legenheiten stand am Montag der sozialdemo- kratische Antrag auf Erhöhung der Er- werbslosenunterstützung und Berlänge- rung der Unterstützung der Kurzarbeiter zur Beratung. Das Zentrum erklärte sich grundsätzlich mit dem sozialdemokratischen An träge einverstanden. Auch die Vertreter der Demokraten, der Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei äußerten sich zu stimmend. Die Kommunisten verlangten so fortige Verdoppelung der Erwcrbslosenunterstützung. Tns Reichswehrministerium gegen das Sieichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Berlin, 23. November. Tie „Berliner Volkszeitung" teilt mit, daß an der Beisetzung deS Kampffliegers v. Richt- hoscn sich nicht nur der Kyffhäuserbund, sondern mir!' allerlei rechtsradikale Bünde beteiligt Hakon, d'e mit ihren schwarz-weiß-roten Fahnen gegen Reich und Republik demonstrierten. Die von der Totenfeier erschienenen Bilder zeigen sogar Gruppen von rechtsradikalen Jugend- i ünden. Tie Abfindung der Lynnftien. Berlin, 23. November. Der Antrag der demokratischenReichs- tagsfraktion auf Erlaß eines Gesetzes zur Ab- sindung der Fürstenhäuser bringt folgenden Ge- setzentwurf: „8 1. Die Länder werden ermächtigt, die vermögensrechtliche Auseinandersetzung mit den früher regierenden Fürstenhäusern, soweit sie noch nicht stattgefunden hat, durch Landesgcsetz unter Ausschluß des Rechtsweges zu regeln. — § 2. Wird durch ein Landesgesetz eine Enteignung aus- gesprochen, so kann die Entschädigung ebenfalls durch Landesgesetz unter Ausschluß des Rechts- Weges festgesetzt werden. — 8 3. Soweit bereit« erlassene Landesgesetze eine Enteignung aussprechen, wird die Enteignung mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes wirksam. Die Entschädigung kann auch in diesen Fällen durch Landesgesetz unter Aus schluß deS Rechtsweges festgesetzt werden. — t 4. Bei der Festsetzung der Abfindungen und Sntschädigungen ist der Wegfall der Ausgaben zu berücksichtigen, die von den früher regierenden Fürstenhäusern für die Hofhaltung, für die Re- Präsentation, für die Unterhaltung der Hoftheater und für sonstige mit der Hofhaltung zusammen- hängende Zwecke getragen worden sind. — 85. Soweit die Fürstenhäuser bereit- rechtskräftig ab gesunden worden sind, erfolgt eine Aufwertung nach den Bestimmungen des AufwertungSgesetzes «it der Maßgabe, daß die Aufwertung, wenn sie nach diesem Gesetz über 25 Proz. hinaus zulässig iß, den Goldmarkwert der gewährten Abfindung»- jmnme nicht übersteigen darf. — § 6. Diese» Aesed tritt mit der Verkündung in Krakt." Die Reichstagsdebatte über Locarno. Berlin, 24. November. Die Debatte im Reichstage wurde mit der Rede des Abg. Wels (Soz.) eröffnet. Er führte aus: Mit ungetrübter Freude wird keiner die Vorlagen begrüßen. Jeder aber muß erkennen, daß wir am Scheidepunkte der europäischen Politik stehen. Es handelt sich darum, nach der kriegerischen Zerstörung derPeriode des Wieder- aufbaues die Wege zu ebnen und ein neues Verhältnis der Staaten zueinander zu schaffen. Es ist allgemein ein Bedürfnis nach Frieden vorhanden, das nur von denen verneint werden kann, die aus der wirt schaftlichen Unruhe und der politischen Unsicherheit Vorteile aus Kosten der Allgemeinheit ziehen wollen. Die deutsche Arbeiterschaft hat dieses Bedürfnis in erster Linie. Sie verlangt, daß das allgemeine Interesse vorangestellt werde den selbstsüchtigen Interessen von Gruppen und Parteien. Das gilt vor allem gegenüber der Agitation der Deutsch nationalen Volkspartei. Tie Deutschnationalen müssen aus der Denkschrift Chamberlains wissen, daß eine Ablehnung des Locarnovertrages durch Deutsch land zur Folge hätte, daß England eine neue Entente gegen Deutschland auf- richten würde. Die Kommunisten sollten be denken, daß der Locarnovertrag in keinem Punkte sich gegen Rußland richtet. Wir halten fest am Rapallovertrag. Wir wollen keine Isolierung Rußlands. Anderseits wäre aber ein Schutz- und Trutz bündnis Rußlands mit Deutschland gegen Westeuropa, ein Militärbündnis zwischen Reichswehr und Roter Armee, ein ganz unsin niger Gedanke. Ei» Bündnis, das über das schon im Rapallovertrag angestrebte wirtschaftliche Bündnis hinausgeht, wäre ein Bervrechen am enropäischen Frieden. Die rus sische Regierung steht dem Locarno vertrage nicht einmal so feindlich gegenüber wie die deutsche kommunistische Partei. Rußland wird immer mehr zur Abkehr von der eigenen Abenteuerpolitik der Bolsche- Wiki genötigt. Die sozialistische Inter- nationale hat immer den Plan bekämpft, den Völkerbund zu einem Instrument gegen Rußland zu machen. Rußland kann diese Gefahr am besten vermeiden, wenn es aus seiner freiwilligen Isolierung heraustritt. Wenn die Deutschnationalen jetzt behaupten, sie wären von Anfang an Gegner des Sicherheitspakles gewesen, so sagen sie die Unwahrheit. In einer Sitzung der konservativen Partei, deren Führer auch Graf Westarp ist, schätzte der deutschnationale Abgeordnete vr. Everling die Zahl der Gegner des Sicherheitspaktes in der deutsch nationalen Fraktion auf wenig mehr als ein halbes Dutzend. (Hört, hört!) Graf Westarp verteidigte in dieser Sitzung seine vorhergegangene Reichstags rede. Dabei erklärte er: Ich konnte mich doch nicht hinstelleu und sagen: Wir werden den Verzicht ans Elsaß-Lothringen niemals autzsprechen! (Hört! hört!) Graf Westarp sagte bei dieser Gelegenheit: Auch der Reichspräsident Hindenburg hat gewisse Enttäuschungen gebracht. Auch das Spiel der Vereidigung Hindenburgs vor der schwarz-rot-gol denen Flagge sei nicht hervorragend gewesen. Auf Hindenburg sei schwer Einfluß zu gewinnen und man müsse zunächst das Wort beachten: Dränge dich nicht zu deinem Für- sten, wenn du nicht gerufen wirst. So sprechen die Deutschnationalen von ihrem eigenen Präsidentschaftskandidaten (Hört.hört!) Wir besitzen dieses Protokoll und werden davon gelegentlich weiter Gebrauch machen. Auf dieser Tagung wurde festgestellt, daßdieAnnahme de» Sicherheits paktes zu einer Schädigung der Deutsch- nationalen Partei führen würde. Darum kam man schließlich zu der Ablehnung. Die Deutsch nationalen folgen der Parole: „Das Vaterland über die Partei". (Große Heiterkeit und lebhafte Zustimmung bei den Deutschnationalen. Der Redner verbessert sich: „Die Partei über da» Vater land".) Die Deutschnationalen arbeiten auf einen neuen Krieg hin. Wir wollen de« euro päisch en Frieden.und nehmen daraufhin den Locarnovertrag an. Dieser kann nur von einer Regierung durchgeführt werden, die von republi kanischem Geiste erfüllt ist. Wir müssen die Durchführung des Washingtoner Ab kommens übenden Achtstundentag verlangen. Denn der Geist von Weimar, Washing- ton und Locarno gehören zusammen. Über das jetzige Rumpfkabinett ist nicht mehr zu reden. Es ist nur noch ein Schatten vorhanden, der bald verschwinden wird. Wir nehmen Locarno an, weil wir damit den europäi schen Frieden dienen wollen. Präsident Löbe teilt mit, daß ein völkischer Miß trauens an trag und außerdem einA ntrag eingegangen ist, wonach bei Annahme der Vorlage die Verkündung auf zwei Monate aus gesetzt werden soll. Abg. Graf Wcstarp (Deutschnat.): Keineswegs propagieren wir einen neuen Krieg, auch wir wollen die Verständigung mit den Feinden und Nachbarn. Äber es muß eine sein, die den deutschen Boden von feindlichen Truppen säubert, die uns Frei heit und Gleichberechtigung bringt. All das offenbare Unrecht, die Gewalt, die sie Deutsch land angetan haben, muß doch schließlich einmal aufhören. Dennoch werden meine Freunde die Gesetzesvorlage einstimmig ablchnen. Nach unserem Eintritt in die Regierung wurde im Me- morandum des Außenministers ohne unser Vorwissen das Angebot des Sicherheits paktes gemacht. Wir behielten uns vor, den Ver trag so zu gestalten, daß er auch für uns annehm bar wäre. Wir stellen fest, daß das Berhandlungsergebnis von Locarno den ausgestellten Bedingungen nicht entspricht. Danach sollte jeder Verzicht auf deutsches Land, jede erneute Anerkennung von Versailles ausgeschlossen sein. Diese Be stimmung ist nicht erfüllt. (Widerspruch Stresemanns.) Der Vertrag enthält die ausdrückliche Anerkennung des status guo. Vanderveldes Äußerungen laufen darauf hinaus, daß Deutschland im .Locarno vertrag den von Versailles anerkenne. Weiter ist die Bedingung nicht erfüllt, daß Deutschland nicht in eine feind liche Stellung gegen Rußland ge drängt werden dar. Auf uns lastet immer noch die Kriegsschuldlüge. Diese ist in Locarno nicht von uns genommen worden. Man preist als Auswirkung von Locarno, daß deutsche Vertreter nunmehr gleichberechtigt be handelt werden. Ungleich größer an Bedeutung wäre, daß in der Frage der Abrüstung alle Länder gleich behandelt werden. Das aber ist uns nicht gegeben worden. Als Haupt vorteil des Vertrages wird gepriesen, daß alle Streitigkeiten dem Vergleichsverfahren unterworfen werden. Die Vermeidung von Kriegen in Paragraphen zu formulieren, ist ein Problem wie aus derQuadratur des Zirkels. Durch diese Verträge soll sich Deutschland auf unbestimmte Zeit der Entscheidung des Bölke rbundsrates unterwerfen, ob es als An gegriffener zu unterstützen ist oder nicht. Wir ver langen greifbare Vorteile und treffen uns hier mit der Regierung und den Regierungsparteien. Die Sitzung dauert fort. — * Mißtrauensvotum der Deutsch, nationalen. Berlin, 24. November. Die deutschnationale Reichstags fraktion hat folgendes Mißtrauensvotum eingebracht: Der Reichstag wolle beschließen, an gesichts der Erklärungen, die die Reichsregierung zur Locarno- und Völkerbundsfrage abgegeben hat, obwohl sie gleichzeitig ihren demnächst erfolgenden Rücktritt angekündigt hat, entzieht der Reichstag der Reichsregierung daS Vertrauen, besten sie nach Art. 54 der Reichsverfassung bedarf. Die Fraktion legt weiter folgenden Antrag vor: Der Reichstag wove beschließen, dem Art. 2 de» Gesetze» über die Verträge von Loearno und den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund folgenden Absatz2 hmzuzufügen: Zum Eintritt Deutsch, land» in den Völkerbund bedarf e» eine» besondere» Gesetze». Jugendschutz. Berlin, 23. November. Der Reichstagsausschuß für Jugend schutz und Jvgendpflege begann am Mon tag die Beratung des Gesetzentwurfes über den Schutz der Jugend bei Lustbarkeiten. Die deutsch nationalen Abgeordneten Mumm und Frau Müller-Otfried verlangten eine wirksamere Kontrolle auf diesem Gebiet als bisher. Frau vr. Lüders von den Demo kraten wies vor allem auf die schweren Miß stände und die Gefahren für die Jugend auf den sogenannten Rummelplätzen hin. Die Abgg. Bohm-Schuch und Wurm (Soz.) gaben dem Ausschuß zur Erwägung, diesen und ähnlichen Mißständen einmal ganz allgemein, nicht nur vom Standpunkt des Jugcndschutzes aus, entgegen zutreten. Alle Mitglieder des Ausschusses waren einverstanden mit einem Schutzalter bis zu 18 Jahren. Die Wiederzulaffnug ausgeschlossener ReichStagSabgeordueter. Berlin, 23. November. Die im Laufe des Sommers ausgeschlossenen kommunistischen Reichstagsabgeordneten dürften voraussichtlich in diesen Tagen durch eine Änderung der Geschäftsordnung des Reichstags wieder zu gelassen werden. Die Fraktionen wollen einen gemeinsamen Antrag einbringen, der be stimmt, daß ausgeschlossene Abgeordnete nach Ablauf von drei Monaten wieder zu gelassen werden, selbst wenn in dieser Zeit nicht die Sitzungen stattgefunden haben, auf die sich der Ausweisungsbeschluß bezog. Die Reichsbahn. Berlin, 23. November. Der Bericht über die Betriebsverhältnisse, Verkehrsleistungen und Geschäftsergebnisse der Reichsbahn im dritten Kalend erviertel» jahr 1925, der dem Reichstag zugcgangen ist, stellt fest, daß der Personenverkehr in der zweiten Hälfte des September stark zurückging; nur in Bayern war im Zusammen hang mit dem Oktoberfest und der Verkehrs ausstellung die Leistung der Reichsbahn noch sehr hoch. Im Güterverkehr wurden die Kar- löffel- und Rübentransporte glatt abgewickelt. Im Juni standen 319 536 M. Ausgaben 390 642 M. Einnahmen, im Juli 356178 M. Ausgaben 419 884 M. Einnahmen und im August 337 271 M. Ausgaben 415 954 M. Einnahmen in der Be- triebsrechnung gegenüber. Die Einnahmen dienten neben der Bestreitung der außerordentlichen Aus gaben für werbende Anlagen zur Erfüllung der Reparationsverpflichtungen. Ende August wurde die zweite Halbjahrsrate mit 9 9 8 4 0 M. gezahlt. Weitere Beträge dienten zur Bildung der gesetzlichen Rücklage. Der zweite mecklenburgische Feme mordprozeh. Schwerin, 23. November. Der Prozeß gegen den bekannten Fememörder Boldt wegen Ermordnng des Ehrhardt mannes Beyer hat begonnen. Der Ermordete wurde am 15. Dezember 1923 bei dem Dorfe Mecklenburg von dem Feldwebel Boldt erschossen. Beyer soll dem Eindruck erweckt haben, daß er im Auftrag der Abteilung deS Berliner Polizeipräsidiums nach Mecklenburg geschickt worden sei. Das genügte, um ihn ohne weitere Klärung des Sachverhalts kaltblütig umzubringen. Er handelt sich bei dem Schweriner Mordprozeß aber nicht so sehr um den Fememörder Boldt, der bereit» mehrfach wegen Betrug und schwerer Urkundenfälschung vorbestraft ist, sondern mehr um die Mithelfer und Anstifter de» Ver- brechen», die ausnahmslos Offiziere sind. Der Staatsanwalt beantragte bereits nach der Verlesung der Anklageschrift, die Öffentlichkeit wegen „Gefährdung der Staatssicher heit" auSzuschließen. Die Verteidigung schloß sich diesem Anträge an. Zugelasse» sind lediglich Vertreter der mecklenbur gischen Regierung und ein Hauptman« der Reichswehr.