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SächsischeSlaalszeilung -ea Freistaat Sachsen Staatsan^eiger für Zeitweise Nebenblätter: Landtags-Beilage, Verkaufsliste von Holzpflanzen auf den Staatsforstrevieren. Ankündigungen: Die 32 rum breite Grundzeit« oder deren Raum 30 Pf , die 66 wm breite Grundzeile oder deren Raum im amtlichen Teile 60 Pf., unter Ein gesandt 90 Pf. Ermäßigung auf GefchästSanzeigrn, Familiennachrichten u Stellen gesuche. — Schluß der Annahme vormittag- 10 Uhr. Erscheint Werktag» nachmittag» mit dem Datum de» Erscheinung»tage». Bezug»prei»: Monatlich 3 Mark. Einzelne Nummern 15 Pf. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 21295 — Schriftleitung Nr. 14574 Postscheckkonto Dresden Nr. 2486. — Stadtgirokonto Dresden Nr. 140. Verantwortlich für die Redaktion: I. B.: Oberregierungsrat HanS Block in Dresden. Dresden, Dienstag, 6. Oktober 1925 Nr. 233 Die Eröffnung der Locarno Konferenz. Die erste Sitzung. Locarno, 5. Oktober. Uber die Eröffnungssitzung ist folgendes gemeinsam vereinbartes Kommunique auS- ggeben woiden: Die Ko ferenz trat heute vormittag 11 Uhr im Justizgcbäud: in Locarno zusammen. Auf den Willkommensgruß des Bürgermeisters von Locarno antwortete im Namen d r Delega- tione» Chamberlain u. a: Wir haben keineswegs durch Zufall auf der Siche nach einem Zusammenkunfisorte überein stimmend unsere Blicke nach dir Schweiz ge richtet. Durch ihre Tradition und durch ihre Ge- schi-bte ist si das Land der Befriedung und des Friedens. Dem übereinstimmenden Wun sche entsprechend, den Cie sreundscha-tlich geäußert haben, habe ich kte Veiantwortung dafür über nommen, unsere erste Zusammenkunft einzuberufen, da irgend jemand unter uns notwendigerweise die Initiative übernehmen mußte, daß dre Zusammen künfte <inen so freien und so wenig formalistischen Charakter wie möglich tragen müßten. Sobald die großen Linien des Vorgehens sestgestellt und die Dispositionen für die Zusammenberufung der Zusammenkünfte getroffen s.in werden, erlaube ih mir anzurezen, daß auf die Förmlichkeit eines Vor sitzes verzichtet werde und man sich auf dem Fuße völliger Gleichheit trifft, wobei jeder noch bestem Können für den Erfolg des gemeinsamen Werkes beitragen soll, das d:n Frieden und die Wohlfahrt Europas anstrebt. Vor Eintritt in die Arbeiten der Konferenz wurde beschlossen, der schweizerischenBundes- regierung telegraphisch oen Dank auszu- sprechen für die Gastfreundschaft und die freund liche Aufnahme der Delegationen in Locamo. Es wurde einstimmig beschlossen: von ciner Generaldisknssion abzusehen und sofort in eine Erörterung der einzelnen Artikel des von den Rerbtssat verständigen in London ausgearbeiteten Paktentwurfes ein- zutreten. Hinsichtlich einiger Artikel, gegen deren Fassung Wider spruchnicht erhoben wurde, konnte sofort Übereinstimmung sestgestellt werden. Andere Artikel gaben zu ErgSn uugsanträgen Anlaß. Diese Anträge wurden den Juristen zur eingehenden Erörterung überwiesen. Schließlich wurden einige wettere Artikel der sernrrcn Erörterung der Konferenz vorbedalien. Die erste Zusammenkunft der Regierungsoer treter dauerte etwa 1-4 Stunden. Sie verlief zwanglos und sachlich und umfaßte nach Er ledigung der notwendigsten Formalitäten, gegen seitigen Vorstellungen usw., eine erste kurze Aussprache. Dabei wurde insbesondere der Londoner Juristen entw urf erörtert und u. a. auch die Bemerkungen, welche die deutsche Delegation zu den einzeln n Punk ten zu machen hatte, hier vorgebiacht. Für heute nachmittag ist keine zweite Vollsitzung ver abredet worden. Dagegen treten bereits um 3 Uhr die juristischen Mitglieder der fünf Delegationen zusammen, um die heute vormittag aufgeworfenen Etnzelfragen deS EntwuifeS zu er örtern. Nach Schluß der Sitzung verließ zunächst die französische Delegation daS Justizgebäuve, und hielt mit gutem Humor dem Schnellfeuer einer ganzen Schar von Photographen stand, wobei Briand durch mehrere scherchafte Bemerkungen beifälliges Gelächter erziel e. Als zweite folgte die belgische Abordnung, geführt von Vandervelde, dicht dahinter die deutsche Delegation, bei deren Erscheinen sich da- Knrpsen zu einem wahren Massenangriff ver dichtete. Die allgemeine Zwanglosigkeit, der Verzicht auf Vorsitz und Geschäftsordnung, die gegenüber den herkömmlichen Konferenzen geringe Feierlichkeit der Zusammenkunft haben eine ver hält ni mäßig Helle Atmosphäre geschaffen. De« Verhandlungen dient nur eine große quadratische Tafel mit gleichmäßig ver teilten Plätzen. * Unpäßlichkeit Stresemanns — Verschiebung der 2. Sitzung. Locarno, 5. Oktober. Die zweite Vollsitzung sollte Dienstag vor mittag ^11 Uhr stattfinden. Sie ist auf den Na l mittag verschoben worden wegen einer leichten Unpäßlichkeit des Ministers vr. Stresemann, die auf die Wirkung des Klimas zurückzuführen ist und voraussichtlich morgen behoben sein wird. Die juristischen Berater der Delegationen traten heute nachmittag zu einer Besprechung über die ihnen von der heutigen Plenarsitzung zu gewiesenen Materien zusammen. Über Vas Er- gebnis dieser Beratung daben sie ihren Dele gationen Bericht erstattet. Zugeständnisse Briands? London, 5. Oktober. Der Sonderkorrespondent der „Morning- post" schreibt: Tie Meldung über den russisch, deutschen Handelsvertrag scheint durchaus nicht eine ähnliche Wirkung erzielt zu haben, wie seinerzeit die vom Abschlusse de» Vertrages von Rapallo auf der Genueser Konferenz, wenn auch in französischen Kreisen noch ein Ele ment deS Mißtrauens besteht. Briand ist aber bereit, bedeutsame Zugeständ nisse zu machen. ES verlautet: Briand habe Stresemann und Luther versprochen, daß Frankreich den jetzigen Charakter der Rh rin land» besetzung abändern, dteZahl der vc- amten im Saargebiet in writcm Maße herabsetzen, der Räumung Kölns durch die Engländer zustimmen und schließlich sogar mit der Volksabstimmung im Saar gebiet und einer Verminderung der dortigen Streitkräfte sich einver standen erklären werde. Als Gegenleistung werde Frankreich verlangen, daß Deutschland einenSchiedS- gerichtSvertrag mit Polen abschließe und den Danziger Korridor garantiere, sowie daß die bestehenden Grenzen nicht mit Gewalt geändert werden dürften.! Deutschland müsse auch einem ähnlich em Ver-i trage mit der Tse chos low atei znstimmen/ während Frankreich auf seinem Rechte eines Paktes zur gegenseitigen Unterstützung mit den östlichen europäischen Staaten beharren werde. * Preffeempsang durch Chamberlain. Locarno, 5. Oktober. Bei dem der Konferenzeröffnung vorangehenden Presseempfang des englischen Ansenministers Chamberlain gab dieser nach einer Reihe von mehr allgemeinen Ertläiungen über den guten Willen aller Beteiligten, üb.'r die Hoffnungen, mit denen sie nach Locarno gelommen seien, und über die Erwartungen der Weit diesem Ereignis gegenüb-r, auf rinzelne Fragen Antwort. Am stärksten be tonte er dabei auf die Fiage nach seiner Auf fassung über die jüngsten deutsch.russischen Besprechungen, daß er außerordentlich erfreut sei über die klaren Äußerungen, dis gestern bereits der Außenminister vr. Stresemann gemacht habe und wonach die Freiheit der deutschen Regierung in bezug auf ihre Politik auf der Konferenz voll- kommen gewahrt sei. Die fünf vertretenen Nationen kämen zusammen zu einem Gedanken- auslausch, der di? gegenseitigen Beziehungen aus eine festere und glücklichere Grundlage als in den letzten Jahren bringen solle. Alle Nationen hätten unter dem Weltkriege und seinen Folgen gelitten. Jetzt handle es sich darum, frei von Animosität und Bitterkeit die Grundlagen für eine friedliche Zukunft zu legen. Die Konferenz unterscheide sich von fast allen vorangegangenen Zusammenkünften, die Deutschland und die Alliierte i seit Friedens- schluß gehabt hätten. Es würden keine Be dingungen und keine Forderungen ge stellt. Die Vertreter freier und gleich- berechtigter Nationen suchten einen Aus weg aus den gemeinsamen Schwierigkeiten. Es wüide unklug sein, vor der eisten Zusammen kunft mit der Sicherheit des Erfolges zu rechnen. Aber die Ergebnisse der Londoner Kon ferenz seien jo ermutigend, daß man auf die Beilegung etwa noch bestehender Diffe renzen rechnen könne. Chamberlain schloß, er selbst und seine Regierung wie sicherlich auch die anderen Delegationen seien von dem ehr lichen Wunsche beseelt, die Gegenwart sund die Zukunft besser zu gestalten und !fül di- Zukunft die Schrecken der Ver gangenheit auszuschließen. Chamberlains Stellung zu den polnischen Wünschen. London, 6. Oktober. Der Sonderberichterstatter des „Daily Tele graph" m Locarno sagt: Aus den Gesprächen, die er mit verschiedenen Außenministern ge- führt habe, sehe er, daß es an gutem Willen nicht fehle. Zur Frage von Deutichlands Ost grenzen, mit anderen Woiten Polen, könne er positiv erklären, daß der britische Außen minister fest auf seinem Standpunlte verharre, keinerlei neue Garantien bezüglich Polens außer den in Artikel 16 der Völkerbundssatzung enthaltenen zu geben, die auf alle Mitglieder des Völker bundes Anwendung fänden. Londoner Pressekommentare. London, 5. Oklvber. Die bicherigen englischen Presjekommentare zur Konferenz in Locarno kennzeichnen die Lage als eine undurchsichtige. Es ist be- merkenswert, daß die gesamte englische Presse, die über die deutsche Erklärung zur Kriegsschuld- frage seinerzeit stillschweigend hinweggegangen war, nunmedr m>t größter Entschiedenheit die englische Stellung zu dieser Frage erörtert. Außer dem befü chtet man in den offiziellen Kcrisen Londons, daß die deutsche Delegation diese Frage auch vor der Konferenz auf rollen wird. Man wünscht deutlich, und zwrr unter vffziöser englischer Beeinflussung, einem solchen Schritt, der nach allgemeiner Auffassung die Konferenz sprengen könnte, vor zubeugen. Außer der Kr egeschuldf-age hat der Besuch Tschitscherins, desfln gesamte Politik in London als antibritische Intrige gewertet wiid, großes Unbehagen und Be- fürchtungen erweckt. Man weist auf die peinliche Parallele mit Rapallo hin. Der der Regierung nahestehende „Telegraph" fordert geradezu die deutsche Delegation auf, eine Erklärung abzugeben, um diese eng lischen Befürchtungen zu beseitigen. Ganz deut lich herrscht am Montag nachmruag in London der Eindruck vor, daß Stresemanns Er klärungen vor der Presse die Bedenken in London noch nicht beschwichtigt haben. Italiens Rolle. Locarno, 5. Oktober. Der Führer der italienischen Delegation Scialoja erllärte, die italienische Delegation werde die Frage des Schutzes der Brenner- grenze nicht auf der Konferenz zur Sprache bringen, da Italien nicht beabsichtige, eme so wichtige Frage zum Gegenstand deS Feilschens zu machen. Jedenfalls aber werde Italien ein Abkommen unterschreiben, da» durch freie Verhandlungen zwischen den beteiligten Nationen erzielt worden sei. Dieses zwischen Frankreih, Belgien und Deutschland zu erzielende Abkommen müsse die Sicherstellung des Frieden- gewähr leisten. * Polnische Preffeftimmen. Warschau, 5. Oktober. „Kurjer Poranny" sagt: E- kann al- sicher gelten, daß zwischen dem Rheinpakt und den östlichen SchiedSver trägen eine Ver bindung geschaffen wird, die dem Rhein pakt jede antipolntsche Spitze nimmt. Dadurch wird ein Teil der polnischen Befürch tungen hinfällig, aber eine Teilnahme Polen- an dem -weiten Tel der Konferenz allein be nimmt nicht die Zweifel, die durch den Sieg der GauSthese in London bezüglich der Neutralisierung der Rheinland« und der französischen Garantie der Ost verträge entstanden. Die Aufgabe Skrzy nSkiS in Locarno ist sehr verantwortungs- voll, va er die polnischen Interessen vetreidigen muß, ohne auf dem Wege zum F ied.-n durch «ine d.utfch fianzvsiiche Annäh rung Hindsrmffe anszurichten. Die Lage oer Tschechoslo- Die Tagung der Interparlamentarischen Union Washington, 5. Oktober. Im Laufe der gestrigen Sitzung der Konferenz der Interparlamentarischen Union entspann sich eine lebhafte Debatte zwischen dem Dele gierten deS irischen Freistaates General Mulcahy und Roberl Horne. Letzteier wandte sich gegen den Boischlag eines anderen Mitgliedes der irischen Delegation, Thomas Johnson, baß man jeder britischen Kolonie, wenn sie es wünsche, gestatte» solle, in einein Kriege zwischen Groß britannien und einer fremden Macht neutral zu bleiben. Mulcahy erklärte: Wir können unS nicht der Tatsache verschließen, daß es inner- politische Fragen gibt, die bei jedem Plane auf Abjchasfung des Krieges in Betracht gezogen werden müssen. Devri eS- E iland wies auf die G.fahr hin, die den Frieden mehr bedrohe, al- allgemein angenommen werde, nämlich auf den Grundsatz „Macht geht vor Recht". Dieser Grundsatz herrsche in all den Lindem, wo rassenmägiae oder kulturelle Minder heiten unterdrückt würden. ES seien außerhalb Rus land» SL öS» «ommunisten am »er«, die Welt- redolnlion herbeizufähren. Die Gefahr, daß der Bolschewismus sich zu seiner Ausbreitung der unterdrückten Minder heiten bediene, sei keine nationale, sondern internationale Angelegenheit. Von vem Kongreßmitglied Burton wuroe die von E. Root ausgearbeiiete Entschließung vorgelegt, die einen umfassenden Plan zur Festlegung der Grundlinien der zwischen den Völkern aufzu richtenden Friedensordnung enthält. Der Plan sieht ein Verfahren zur Erledigung solcher Streitigkeiten vor, die eine Gefahr für die internationale Rechtsordnung für eine etwa nötig weidende Verhängung von Voll- ziehungs- und Strasmaßnahmen bedeuten. An genommen wurde eine von Polla-Rumänien eingebrachte Entschließung zur Schaffung eines ständigen Unterausschusses des juristischen Komitees. Dieser Unterausschuß hat die Unter suchungen über die gesamten sozialen, politischen, wirtschaftlichen und sittlichen Ursachen von An griffskriegen anzustellen, eine gangbare Lösung zur Verhindemng dieses internationalen verbrechens zu finden, sowie den Vorentwurf zu einem internationalen Gesetzbuch auszuarbeiten. Auf Antrag Lafontaine-Belgien wurde be schlossen, zur wirksamen Förderung deS Emp- findens für Ordnung, Gerechtigkeit und Verant- Wörtlichkeit im Völkerleben eine Erklärung der Rechte und Pflichten der Nationen au-zuarbeiten. Die Entschließung fordert daS juristische Komitee auf, unter Berücksichtigung der wirischnftlichen Verhältnisse und Lebentnotwendig- kenen der Staaten bi» zur nächsten Tagung den . mwurf ein-r solchen E klärung vorzubereiien.