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Werkeinführung ♦ Wagners „Tristan“ und „Götterdämmerung“ Unbegreiflich neu Wagner sprengte in seinen Werken in mehrfacher Hinsicht Grenzen Hand in Hand mit der Entwicklung von der Oper zum Musikdrama in Wagner schern Sinne geht die Ablösung der Ou vertüre durch das Vorspiel. Vorspiele können bei Wagner auch einzelne Akte einleiten. Grundsätzlich werden sie als fester musikdramatischer Bestandteil einem Werk vorangestellt. So gilt in ex tremer Sicht der Ring-Vorabend Rhein gold als Vorspiel zum Ring des Nibelun gen. Am Beispiel des Tristan-Vorspiels - Wagner nannte das Vorspiel in diesem speziellen Falle Einleitung - fasst Wag ner die musikalischen Hauptgedanken musikdramatisch zusammen. Mit dem Tristan-Stoff hatte sich Wagner bereits in Dresden beschäftigt. 1854 schrieb er Franz Liszt: „Da ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich die sem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem von Anfang bis zum Ende diese Liebe sich einmal so richtig sättigen soll: ich habe im Kopfe einen Tristan und Isolde entworfen, die einfachste, aber vollblütigste musikali sche Conception; mit der schwarzen Flagge, die am Ende weht, will ich mich dann zudecken, um - zu sterben.“ Wie sehr sich Wagner in diese Dramatik hineinwarf, beichtete er seiner Freundin Mathilde Wesendonck, die an den thea tralischen Gedanken Wagners entschei denden Anteil hatte: „Ich liess zum ers tenmal das Vorspiel zu Tristan spielen; und - nun fiel's mir wie Schuppen von den Augen, in welche unabsehbare Ent fernung ich während der letzten acht Jahre von der Welt geraten bin. Dieses kleine Vorspiel war den Musikern so un begreiflich neu, dass ich geradewegs von Note zu Note meine Leute wie zur Ent deckung von Edelsteinen im Schachte fuhren musste.“ Und da lauerte gleich im zweiten Takt eine Konstellation von Noten, die absolutes Neuland versprach: der berühmte Tristan-Akkord, der Schlüssel für den Aufbruch in alle mög lichen harmonischen Richtungen, ein früher Wegweiser in die Atonalität. Minna Wagner mit Hund Peps, 1853