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sich mit der Rhythmik des Motivs die Ideenverbindung eines an die Pforte po chenden Schicksals eingestellt, so wal tet über dieses Pochen hinaus doch nur die Kunst ihres Amtes, nicht mehr das Schicksal. Und wollte man auch her meneutisch deuten, es ringe Beethoven mit dem Schicksal den ganzen Satz ent lang, so wäre am Ringen eben nicht nur das Schicksal allein beteiligt, sondern auch Beethoven, nicht aber allein der Mensch Beethoven, sondern noch mehr Beethoven der Musiker. Rang Beetho ven also in Tönen, so genügt keine der Legenden und keine hermeneutische Deutung, um die Tonwelt zu erklären, wenn man nicht eben mit den Tönen denkt und fühlt, wie sie gleichsam sel ber denken.“ Dass Beethoven mit dieser Sinfonie etwas ganz besonderes geschaffen hatte, darüber waren sich alle Fachleute sicher. Die Aufsätze von Berlioz, von Schu mann oder von Wagner sind ganz be nommen von der Wirkung dieses Wer kes. Und der Beiname „Schicksals-Sin fonie“ fand schnell Verbreitung, wurde auch für das Konzertpublikum greifbar verständlich. Bei einer Aufführung 1828, ein Jahr nach Beethovens Tod, war die Wirkung dieser Musik hochdrama tisch. Berlioz berichtet: „In den Logen des ersten Ranges verbargen sich viele junge und anmutige Gesichter, um ein hemmungsloses Schluchzen zu unter drücken. Einige junge Menschen lachten laut, andere zerrten an ihren Haaren und krümmten sich in den absonderlichsten Stellungen. Madame Malibran erlitt einen so heftigen Nervenanfall, dass sie aus dem Saal getragen werden musste. Im gleichen Augenblick musste eine weitere Dame in Tränen aufgelöst das Theater verlassen...“ Das ist wahre Größe der Musik. Volker Scherliess drückt dies so aus: „Die Musik wendet sich nicht wie im 18. Jahrhundert an Kenner oder Liebhaber, sie unterscheidet nicht zwischen geistig anspruchsvollen und unterhaltenden Zügen, sondern wird zur umfassenden, verbindlichen Sprache des Menschen. Hier liegt der humanistische Aspekt die ser Partitur.“ Igor Markewitch, der große Dirigent, hat in seiner großen Beetho ven-Studie darauf hingewiesen, dass Beethoven in dieser Sinfonie „den Be reich musikalischer Konzeption erwei tert;...die Grenzen des dem Geiste Er reichbaren hinausgerückt und das Selbstverständnis des Menschen vergrö ßert...Die Fünfte Sinfonie hat, wie nur wenige Werke, den Menschen zum Be wußtsein seiner eigenen Größe geführt“. Erste Skizzen zu diesem Werk finden sich bereits 1803/04, beendet wird das Werk Anfang 1808. Damit umfasst sie einen Beethoven-typischen Produktions zeitraum, denn der Bonner Meister ar beitete und feilte an seinen Werken pa rallel. Widmungsträger der Sinfonie wur den Fürst Rasumowsky und Fürst von Lobkowitz, zwei große Gönner und Freunde Beethovens.