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Joseph Haydn Fast sein ganzes Leben lang war Joseph Haydn dem Hof der Fürs ten Esterhazy verbunden, als Kapellmeister eines kleinen ausge zeichneten Orchesters für beinahe dreißig Jahre bis 1790, dann - nach dem Tod von Nikolaus I. - als titulierter Esterhäzyscher Ka pellmeister mit einer lebenslangen Pension. Als Pensionär waren ihm anfangs keine Verpflichtungen erwachsen, später jedoch soll te er jährlich eine Messe für die Namensfeste der Fürstin kompo nieren. Da er auf dem Gebiet der Kirchenmusik große Erfahrung hatte, konnte er diese Aufträge ohne nennenswerte Mühe aus führen, obwohl die Arbeiten schließlich doch zu Lasten seiner bis dahin vielgerühmten Instrumentalkompositionen gingen. Trotzdem ist es als ein weiteres Wunder in der wundersamen schöpferi schen Biografie des Komponisten anzusehen, dass der immerhin schon 64-jährige Haydn begann, seine gesamte Schaffenskraft auf die Chormusik zu legen. Er war, wie sich herausstellte, sogar in der Lage, neue Großwerke zu vollbringen, die seinen ohnehin großen Ruhm noch mehren konnten. So entstanden die sechs nachgerade berühmten Hochämter: »Paukenmesse« (1796), »Hei ligmesse« (1796), »Nelsonmesse« (1798), »Theresienmesse« (1799), »Schöpfungsmesse« (1801), »Harmoniemesse« (1802) und darüber hinaus die beiden großen Oratorien »Die Schöp fung« (1796/98) und »Die Jahreszeiten« (1799/1801). Haydns Name war längst in der gesamten musikalischen Welt bekannt. So kam es auch zu der Einladung nach England. Haydn war zweimal dort, 1791/92 und 1794/95. Hierfür hat te er zwölf »Londoner Sinfonien« komponiert und war - um etli ches reicher und hoch geehrt, reich aber auch an neuen musika lischen Erlebnissen - nach Wien zurückgekehrt. Während seiner ersten Englandreise hatte Haydn Gelegen heit, in der Londoner Westminster Abbey ein großes Händel-Festi val zu erleben und u. a. auch den »Messias« zu hören. Georg Fried rich Händel hatte bekanntlich einen Großteil seines Lebens in England verbracht, wo er als Komponist große Verdienste erwarb und sowohl die Oper als später auch das Oratorium zu einer wah ren Blüte entwickelte. Haydn ließ sich bei diesen Oratorien-Festen von gigantischen Chor- und Orchesterbesetzungen beeindrucken. Von 885 Mitwirkenden wird berichtet. Haydn schien - wie sich später zeigen sollte - nachhaltig animiert, ähnlich große Chor werke zu schaffen. Bald schon nach der Rückkehr von seiner zweiten Eng landreise war es so weit. Er begann, das große Oratorium »Die Schöpfung« zu komponieren und damit sein Händel-Erlebnis zu