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- 817 — Die neue parlamentarische Freiheit in Frankreich. ES ist ein merkwürdiges Kennzeichen der Zeit, daß Pariser CorresppndeNlen ernstlich die Behaup tung ausgesprochen, es habe die Erweiterung der Rechte der französischen National-Vertretung nur den Zweck, den reaktionären Plänen LouiS Napo leons Vorschub zu leisten. ES ist diese Lhatsache ein Kennzeichen für die Art und Weise,, wie die Menschen einmal gewöhnt sind, hinter Allem, was LouiS Napoleon thut, das Gegentheil von dem zu suchen, was eS eigentlich scheinen will. Wir hof fen, daß unsere Leser uns nicht als Schwärmer für Louis Napoleon ansehen werden; wir sind aber nicht so mißtrauisch zu glauben, daß darum Alles, was Louis Napoleon thut, Täuschung sein müsse. Wir meinen vielmehr, daß er, wo eS sei, nen Vortheil gilt, sehr unparteiisch in seinen Sympathien ist und nvthigenfalls nicht blos etwas Kluges, sondern auch etwas Gutes und Wahres thun kann. In diesem Sinne glauben wir, daß die Erweiterung der Rechte der französischen Ra tional-Vertretung von LouiS Napoleon ernstlich im Sinne des nationalen Fortschritts gemeint ist, nicht weil er ein begeisterter Schwärmer für die parlamentarischen Rechte der Nation isi, sondern weil er dieser Rechte als Stütze bedarf, wenn «t nicht in den Consequenzen seiner seitherigen Politik stecken bleiben will! Diese Consequenzen sind fol gend«: Die Bedeutung der jetzigen Lage sehen wir, darin, daß Louis Napoleon bald genöthigt sein wird, die ehrliche und wirkliche öffentliche Mei nung Frankreichs für sich herauszufordern, statt sich von der unlautern und bezahlten der Hofzei tungen fortan noch bedienen zu lassen! Schon jetzt beginnt der süße Zrömmlerton, mit welchem man den Papst einzuschläfern gedachte, seine Macht zu verlieren. Rom versteht die Sprache und ließ sie sich gefallen, so lange sie im treuen Liebes dienst des heiligen Stuhles Petri" die Welt blen dete, sobald man aber nicht dem heiligen Stuhle dienen, sondern ihn meistern will, dann zeigt Rom sein wahres Gesicht unV zwingt den Gegner, mit der Wahrheit aufzutreten. Louis Napoleon wird bald gewahr werden, daß Rom trotz der Klemme, in welcher es augenblicklich steckt, noch Anhänger zählt, welche aus wirklicher Ueberzeu- gung seine Macht und seine Rechte vertreten. Wie feige auch die römische Kirche in Frankreich sich , benommen hat, als sie sich dem Imperator zu Füßen legte, um von ihm gehuldigt zu werden, so ist sie doch noch in den Wurzeln deS GemütheS stark genug, um selbst allen Künsten der Präser, trnmaßreg^kw Widerstand zu leistem I« Dienst» der Ultramontanen befindet sich noch eine Schck« hartgesottener Charaktere mit zum Märtyrerthunt geeigneter Schwärmerei, denen Vie Soldpreffe k» ihrem verächtlichen Charakter weder an Talent noch an Muth gewachsen ist. Dem feilen Grame» de Caffagnar'S gegenüber, die Alles schreiben, waS ihnen von der Regierung befohlen wird, find in der Lhat die Montalembert'S charakterfeste Frei heits- und Wahrheitshelden, auch wo sie irren. Den Kampf gegen Rom werden die Solddiener des Imperator» nicht siegreich durchfechten. Ist es aber richtig j daß dieser Kampf in Frankreich durchgefochten werden muß, so folgt daraus, daß daS System des jetzigen Imperators einen Um schwung erleiden mußte. Frankreich ist nicht arm ' an Geistern, an freien, heldenkühnen Männern. Es ist nur der Geist zeither niedergedrückt worden aber nicht unterdrückt. Die französische Nation ist begabt und ihre Begabung ist nicht auSgestos- ben, aber unter einem Regiment, daS Geist und Talent zum Lohndiener der Macht erniedrigte, ist die natürliche Begabung momentan verstummt. In ihrem Verstummen- ist — waS sollen wir eS leugnen — auch ein großer Theil von Europa mit in eine Dumpfheit versenkt worden, die viel der Lüge und der Läuschurig und Heuchelei her- votgebracht hat. Wir werden eS zuversichtlich bald erleben, daß die Nothwrndigkeit Napoleon zwingen wird, den schlummernden Geist der Nation ernst lich zu wecken, um durch ihn mit neuem LebenS- gelst, den man seit langer Zeit in Frankreich »er mißt hat, ein neues Regiment im neuen Kampf zu beginnen, um Roms Anhang und dem kraft vollen Auslände gewachsen zu sein. Ob sich die freien^ charaktervollen Geister schnell sammeln wer den, mag fraglich sein. Wahrscheinlich wird der . Prinz Napoleon dazu die Hand bieten, der zu dieser Rolle schon von 18L2 an ausbewahrt und auSersehen ist. Nur das können wir jetzt schon * sagen, daß die allgemeine Amnestie die Einleitung des Umschwungs war und der rege und leichte Sinn der Franzosen ein langes Schmollen der Geister nicht voraussehen läßt. Das aber — das zur Nothwrndigkeit werdende Erwecken und zu versichtlich erfolgende Erwachen einer wirklichen öffentlichen Meinung in Frankreich — daS ist die bedeutsame Thatsache, die Europa nun bevorstehk In dieser Epoche wird Vieles wechseln und nur den Staaten ein sicherer Halt verbleiben, die in sittlicher Aufrichtung des Geistes schon vorher: sich emporgehoben aus einer Versunkenheit, ehkdaS Signal zum Erwachen der B-lker von FrenchHch auSgeht! Um so dringlicher daher istunsertFrech«