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einer bedeutenden Maschinenbauanstalt erzählt Fol gendes: „In Petersburg siebt es jetzt wahrhaft grausig aus, in- und auswendig. Die sonst so schöne und belebte Stadt ist nicht wiederzucrkennen. Die Paläste sind in Kasernen verwandelt, Brü cken abgebrochen, die Straßen mit Zelten bedeckt; denn über 40,000 Baschkiren sollen aus dem per» mischen und orenburgischen Gouvernement auS ih ren Steppen und Nomadcnlagern in Petersburg zum Schutz der Stadt eingerückt sein und einen schauerlichen Eindruck machen. Ob die Zahl der selben nicht etwas zu hoch angegeben ist, stelle ich dahin; doch könnte sie bei Wegraffung auch des letzten ManneS wohl sohoch kommen, da im Jahre 1853 die Baschkiren auf 29,000 Familien abge- schätzt wurden. Sie haben noch die tatarischen Waffen, Bogen, Pfeile, mitunter auch Lanzen und Beile. Die stolze, schöne Garde aber ist abgezo gen, theils nach Polen, thcils nach Finnland, und so ist, bei dem totalen Mangel an Leben, Han del und Wandel, die Stadt wie verödet, und auf dem breiten, prächtigen Newastrom, der sonst wäh rend der Hellen Sommernächte einen der schönsten Anblicke gewährte und auf seinen dunkeln Fluthcn Lausende von Schiffen und Barken trug, schleppt sich höchstens ein träges Ziegclschiff heraus oder eilt ein Dampfer mit Soldaten nach Kronstadt. Da die Stadt im Kriegszustände sich befindet, so ist Niemandem erlaubt, sich nach 9 Ubr Abends auf der Straße zu zeigen: ein harter Schlag für die armen Nordlinge, die so schon die größte Hälfte des Jahres in die Stube gebannt sind. Die höhern Elasten der Gesellschaft sollen sehr mißgestimmt sein; denn immer freiwillig und ge zwungen opfern müssen und nichts einnchmen, ist eben nicht sehr erbaulich. Das gemeine Volk aber ist fanalisirt. „Unser Batzuschka-Zar (Vater-Kö nig) weiß cs am besten", ist sein Wahlspruch, und grimmiger Zorn ersüllt es gegen die Auslän der, die auf offener Straße von ihm insultirt werden und von der Polizei häufig gewarnt wor den sind, sich ja nicht außerhalb der Sastawa (Schlagbäume an den Thoren) zu begeben, weil man sie dort nickt mehr zu schützen vermöchte; außerdem haben die Ausländer ein Gedrucktes un terschreiben müssen, wonach sie sich verpflichten mußten, sich in Allem den Landesgesetzen zu un terwerfen und in Uebertretungsfällen nach denselben verurtheilt werden zu wollen. Der Handel, wie gesagt, stockt; alle Fabriken stehen still, denn es fehlt hauptsächlich auch an Kohlen. Die noch vorhandenen Borräthe sind von der Kriegsbehörde für die Dampfer in Beschlag genommen worden und sehr hoch im Preise gestiegen. Daher die meisten ausländischen Fabrikinspectoren, Gehülfen rc. bas Ausland suchen. Der Andrang zur Post nach Memel ist so groß, daß man schon sechs Wochen früher seinen Platz nehmen muß, wenn man fort will. Den Fremden, die Gelder in der Bank haben, macht es viel Schwierigkeit, diesel ben zu heben; denn die Bank zahlt an kein In dividuum täglich mehr als 50 R. S., sodaß ein armer Franzose, der das Gesammtersparniß seines mehrjährigen Fleißes von 1500 R. S. heben wollte, mehr als einen Monat lang täglich hin- laufen und täglich den ganzen Morgen lgng sich drängen lassen mußte und dabei seinen längst vor her genommenen Platz auf der Post einbüßte." Argram, 3. Juni. Die Feindseligkeiten, mit welchen Montenegro die benachbarte Türkei be drohte, sind in Raub- und Mordzüge ausgeartet. Zucht- und zügellose Banden blut- und beutegie riger Abenteurer durchziehen von blindem Fanatis mus getrieben die Gefilde der friedlichen Herzego wina und tödten Hirten, Bettler und wehrlose Leute, um nur ein Menschenhaupt im Triumph herumtragen zu können. Das sind vorbedachte Mordlhaten, welche der Menschlichkeit Hohn spre chen. Kürzlich wurden 15 avgehauene und ge spießte Menschenköpfe, spater S, dann 7, und erst vorgestern wieder 2 nach Cetlinje gebracht. Wahr- scheinlick gehörten sie zum größten Theil christli chen Unlerlhanen der Türkei, armen Hirten oder Bauern. Wien, 20. Juni. Soeben trifft eine Mel dung aus Bukarest vom 17. Juni hierein. Nach derselben haben sich die Entsatztruppcn mit der Besatzung Silistrias vereinigt, die Russen hätten die Belagerung ausgegeben und hätten sich größ- tentheils schon über die Donau zurückgezogen. Berlin, Dienstag, 20. Juni. Aus Kopen hagen ist heute die Meldung hierher gelangt, daß ein Angriff der Engländer aus Gamla Carleby mißlungen ist. Den Engländern sind hierbei 3 Ossiziere und 28 Matrosen gctödtet, 2 Offiziere und 14 Matrosen verwundet worden. Eines der angreifenden englischen Boote soll von den Russen genommen worden sein. (Gamla Carleby oder Alt-Carlrby ist eine Seestadt am bottniscken Meer busen, südlich von Uleaborg, nördlich von Chri- ftinestad — zwischen Wasa und Brahestad — ge legen, hat etwa 3000 Einwohner, einen guten Hafen und Schiffswerfte. Aus Kalarasch schreibt man, daß der Gesund heitszustand des Fürsten-Feldmarschalls Paske- witsch der schon bei seiner Ankunft in dasiger Stadt sehr angegriffen war, nach seiner Uebersie- delung an das Donauuser sich noch ungünstiger