Volltext Seite (XML)
lichkeit bereits die sechste Sinfonie DvoTdks, die Sinfonie d-Moll op.70, bezeichnet als zweite, war eigentlich die siebente, die Sinfo nie F-Dur, herausgegeben als dritte und op.76, war als ursprüngliches op.24 die fünfte, und ihre Entstehung ging den beiden eben ge nannten voraus. Viele andere Werke Dvoräks bekamen die endgültigen Opuszahlen bzw. Numerierungen erst bei der Drucklegung, und zwar auf Wunsch des Verlegers und ent gegen dem Willen des Komponisten. Mit der 1874 komponierten, jedoch erst 1892 uraufgeführten 4. Sinfonie d-Moll op.13 endet die Reihe der sogenannten frühen Sin fonien Dvoräks. Auch diese teilte das Schicksal der drei vorangegangenen: sie wurde nicht zur Kenntnis genommen und somit auch nicht numeriert. Der Autor selbst hat sein Werk ge wissermaßen unterschätzt; denn in der gleichen Tonart schrieb er später die 7. Sinfonie op.70, was er bei zyklischen Kompositionen nur dann tat, wenn ihn die vorherige nicht befriedigt hatte. Wenn heute die frühen Sinfonien des Meisters insgesamt mehr Aufmerksamkeit verdie nen, so gebührt diese dem Opus 1 3 in beson derem Maße, da es einen weiteren großen Schritt nach vorn in Dvoräks Sinfonik darstellt. Am Vorbild Smetanas wurde sich der Kom ponist bewußt, daß es notwendig war, einen eigenen, national ausgeprägten Ausdrucksstil zu schaffen. Man spürt deutlich, wie sich in der Sinfonie Dvoräks Stil von dem vorher starken Einfluß der deutschen Neuromantik (hauptsäch lich Wagners) frei macht. Dafür kommt mehr und mehr tschechischer Geist zur Geltung. Dem ganzen Werk ist als Grundton eine unruhevoll bewegte, düster gefärbte Stimmung zu eigen. Diese Tönung ist jedoch nirgends in der Sinfo nie endgültig, denn es wird von Anfang an gegen sie angekämpft. Der Charakter des ersten Satzes (Allegro) wird von drei zusammenhängenden Themen des Einleitungsteils bestimmt. Das Grundthema er wächst aus einem einfachen, rhythmisch knap pen Motiv. Es hat zunächst den Ausdruck einer dumpfen Unruhe, hellt sich aber rasch auf und drückt bald energische Entschlossenheit aus. Das zweite Thema zeigt melodisch und rhyth misch eine reiche Gliederung und besitzt leiden schaftlichen Charakter. Die Entschlossenheit des ersten Themas bekräftigend, schließt sich, fast wie ein Nachsatz, das dritte Thema an. Das musikalische Geschehen der Einleitung wird durch die Einbeziehung zweier weiterer Themen noch bereichert. Die Durchführung arbeitet mit allen eingeführten Themen, stimmungsmäßig überwiegen die kämpferische Energie und leidenschaftliche Erregung. Die Reprise schließt unmittelbar an die Durchführung mit dem dritten Thema an. Der energische, straffe Schluß bringt dann nur noch kurze Intermezzi. Der zweite Satz dieser Sinfonie (Andante e molto cantabile) ist in Dvoräks Schaffen da durch von besonderer Bedeutung, daß er die ersten selbständigen Variationen des Meisters enthält. Die ernste, tiefe Stimmung dieser Va riationen wird durch den Charakter des choral artigen Themas bestimmt. Alle fünf Variationen halten sich an die Grundstimmung, nur die vierte ist voller Unruhe. Das Scherzo (Allegro feroce) überrascht im Anfang durch stürmische und rhythmisch be schwingte Melodik. Der Mittelteil des Scherzos ist ein gemächlich-schwerfälliger Marsch, der allmählich dynamisch an Stärke zunimmt, wie der leiser wird und schließlich verstummt. Der Schluß des Satzes ist düsterer in der Stim mung, vereinzelt tauchen Reminiszenzen an den ersten Satz auf. In der Coda erscheint nochmals das Marschmotiv. Der Schlußsatz (Allegro con brio) bringt nicht sogleich hellen Siegesjubel. Wie bereits das Hauptmotiv erkennen läßt, hat auch er zu nächst kämpferischen Charakter, der nicht ein mal durch das im Ausdruck etwas gemäßig tere Nebenthema beeinträchtigt wird. An die erregte Durchführung knüpfen die in lebhafter Bewegung fortschreitende Reprise und zum Schluß die in freudigen Jubel ausbrechende Coda an. Prof. Dr. Dieter Härtwig