Volltext Seite (XML)
sogar über das stolze England errungen, und was die ferne Zukunft von Amerika aus über Europa noch bringen wird — wissen wir.nicht — ahnen es blos; jetzt aber vernehmen wir, daß von Ame rika aus sich eine Revolution in dem Reiche der Frauenröcke vorbereitet hat, die ihr Haupt schon in der alten Welt, zu London und Paris, erhoben hat — eine gefährliche soriale Propaganda, und es nimmt uns Wunder, daß Deutschland, wel ches doch sonst einen so starken Nachahmungstrieb besitzt, noch keine Anzeichen der Teilnahme an dieser Verschwörung genommen, sowie daß deutsche Regierungen noch keine Maaßregeln gegen diese neue Art von Propaganda angeordnet haben, denn eS steht ja Alles auf dem Spiele — das Beste hende — der Absolutismus der Pariser Mode! La ist nämlich in Amerika eine Madame Bloo mer ausgetreten und hat gesagt: „Eure wetten, langen, gaffenkehrenden Kleider, ihr Mädchen und Frauen, find doch eigentlich sehr unpraktisch und, was für uns Frauen das Wichtigste ist, auch sehr unschön. Ueder den Hüften schnüren wir uns der maßen zusammen, daß es scheint, als sollten wir zerbrechen und daß wir beinahe das Ansehen eines Jnsects gewinnen. Unsere netten kleinen Füße, unter dem bauschigen, faltigen Rock versteckt, wer- den eigentlich gar nicht gesehen und von der Un bequemlichkeit, welche die jetzige Kleidung bei schmutzigem Wetter verursacht, will ich erst noch gar nicht reden." So sprach Madame Bloomer und sie ließ den Worten das gute Beispiel auf dem Fuße folgen. Sie und ihre reizenden Jün gerinnen erschienen nun überall in folgender Tracht: Die kleinen Füße mit graziösen Stiefelchen be deckt, weite an den Knöcheln zusammengezogene Beinkleider, wie bei der türkischen Tracht, eine bis unter die Kniekehlen reichende, den famosen häßlichen Taillenschnitt bei der jetzigen Mode ent behrende, naturgemäß an den Körper sich anschmie gende Tunica und über diese eine kürzere Polka — um den Hals ein einfacher weißer Halskragen, auf dem hübschen Köpfchen aber ein aus der Ver schmelzung- des männlichen und weiblichen Hutes entstandenes luftiges Hütchen — dazu schöne lange Glacehandschuh und einen troddelflatternden Son nenschirm. Die nicht bloomeristisch gekleideten Frauen in Amerika rümpften die Nase, ärgerten sich aber, daß die neue Tracht den hübschen Mädchen so hübsch stand, und die Männer — namentlich wenn sie die aus den Schnitthandlungen anlangenden Rechnungen für so und so viel zwanzig Ellen Klei derstoff zu bezahlen hatten — sagten Ja und Amen und fqnden das neue Costüm Mr kleidsam. Di« Wogen des atlantischen Meeres vermoch ten das Umsichgreifen der Propaganda gegen die neur Kleidung des schönen Geschlechts zum großen Schrecken der europäischen Schnitt- und Mode händler alten Stils nicht auszuhalten. Am 15. September d. I. trat in London eine Madame Dexter als Verkündigerin der Kleiderreformation auf und hielt unter großem Andrange, namentlich von männlichen Zuhörern, und unter lebhaftem Beifall einen begeisterten Vortrag über die neue FraHentracht. Dies war für London ein Ereig- niß und von da an das Stadtgespräch, die Zei tungen theilten die Rede der Madame Dexter ent weder vollständig oder auszugsweise mit. Das Auftreten der neuen Apostolin war für England ein nationales Ereigniß. Um dies zu begreifen, muß man wissen, daß der Engländer, in politi schen Dingen der freieste Mensch, in seinen socia len Verhältnissen und besonders in sülchen äußer lichen Sachen der allergrößte Sclave und Pedant ist. Das gebildete Altengland, die hohe Aristo kratie nicht minder wie der Mob, Pöbel, sind empört über den Angriff, welcher von Amerika auf die altenglische Frauentracbt gemacht worden ist, was im Interesse der Aesthetik indeß nicht zu beklagen ist, da bekanntlich die Toilette einer Engländerin in den allermeisten Fällen den guten Geschmack unversöhnlich beleidigt. Nichtsdestoweniger wagten es die Jüngerinnen der Madame Dexter sich wiederholt in der neuen Tracht zu zeigen, natürlich, nur im Messend und in der Gegend des Glaspalastes, da dieser Stadt, theil durch die Fremden in dem Stabilitätsprin- zipe der Kleidertracht am meisten erschüttert ist; sie trotzten dem Hohne und dem Geschrei der Gas senjungen so lange als nur immer möglich mit dem Muthe des Märtyrerthums. Altengland ist in seinen Grundvesten erschüttert, schon wagen ei nige zu behaupten, daß die Bloomeristinnen nicht nur selbst schön seien, sondern daß die neue Tracht äußerst kleidsam sei und die natürliche Schönheit der Damen noch, erhöhe. Wenn die weibliche Welt erst allgemein diese Ueberzeugung gewonnen haben wird, so darf man sich versichert halten, den Bloomerismus, wie man diese Kleideragita tion zu nennen pflegt, bald zum Siege gelangen Zu sehen. Auch in Paris hat die Propaganda Wurzel geschlagen und bereits haben sich mehrere Damen in der neuen Tracht auf den Boulevards gezeigt. Es ist nicht mehr zu zweifeln, daß das neue Zeitalter mit vollen «Legeln hcrankommt. Ein neuer deutscher ungenähter Männerrock — neue erfundene Winterbeinkleider für Männer — Fraueu in halbtürkischem Kostüm, wie vormals nur auf den Maskeraden — was will man mehr? Aber Spaß bei Seite, die Sache hat auch ihren prak tischen Nutzen. Warum giebt es jetzt so vielt Hagestolzen, die das Rosenjoch der Ehe beharrlich ' verschmähen? Weil sie sich vor dem Regiment