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234 halblauten Rufe: „Therese, nimm dich zusam men, es kommt Jemand." Zusammennehmen sollte sich das arme Mädchen, uttv war außer sich vor unaussprechlichem Herze leid. Sie zitterte jetzt noch mehr, denn sie konnte nicht anders denken- als daß der verhaßte Deurer eine Botschaft sende. Jndeß suchte die Mutter sie mit einigen Worten zu beruhigen und strich ihr dabei über das seidenweiche gescheitelte Haar, sicher lich nicht blos aus Zärtlichkeit, sondern zugleich aus mütterlicher Eitelkeit. Sie wollte, daß ihr schönes Kind nicht unschön erscheine. Inzwischen trat der Vater wieder herein, mit ihm eine Dame, gegen die Kälte wohl durch Pelz verwahrt und gefolgt von einem Bedienten in weitem Mantel. „Ihrer Tochter gilt eigentlich mein Auftrag," begann die Dame, „treffe ich sie zu Hause?" — „Hier ist sie," sprach der er staunte Vater und deutete auf die halbdunkle Ecke, in welcher Therese zitternd an ihre Mutter ge lehnt stand. „Komm her Therese!" Mit nieder geschlagenen Augen gehorchte das Mädchen, hielt aber die Mutter fest an der Hand. Die Dame warf einen prüfenden Blick auf die hübsche schlanke Gestalt und das schöne blaffe Gesicht des armen Kindes und sagte: „Therese, Sie scheinen kei nen fröhlichen Weihnachtsabend zu haben, waö fehlt Ihnen?" Therese, die als fleißige und geschickte Stickerin viele vornehme Damen in der Stadt kannte und ^'vielen vorgezogen wurde, weil sie einem po litischen Gefangenen von guter Familie zur Flucht verholfen und dadurch sammt ihren Aeltern un- glücklich geworden war, glaubte eine dieser Damen vor sich zu haben; auch Vater und Mutter waren derselben Meinung. Ehe nun das Mädchen ein Wort erwiedern konnte, fuhr der Vater kurz her aus: „gnädige Frau, sie soll einen braven wohl habenden Mann heirathen und sträubt sich dage gen. Ist das vernünftig?" Das Mädchen warf einen Blick auf die Dame, unts diese sah die großen Augen mit Thränen ge füllt. Sie schien zartfühlend genug, auf die Frage Des Eiseümeisters nicht einzugehen, sondern trat näher, ergriff des Mädchens Hand und sagte: „Kommen sie her, liebes Kind, ich habe den Auf trag, ihnen ein kleines Christgeschenk zu überbrin gen." Sie winkte dem Diener und dieser zog unter seinen Mantel ein Kästchen von eingelegter Arbeit hervor, stellte es auf den Tisch und zog sich wieder an die Thür zurück. Therese wußte, daß ein Verein von Damen brave und fleißige Mädchen alljährlich mit kleinen Wrihnachtsgaben bedachte, und daß sich die Mit glieder des Vereins nicht selten daS Vergnügen machten, die Gaben selbst abzuliefern. Obgleich sie nun an diesem Abend so tief und schmerzlich litt, so war sie eben doch ein Mädchen und fühlte als solches einige Freude bei der Ueberraschung. Die Ueberraschung sollte aber noch größer werden. Die Dame schloß das Kästchen auf; dieses legte sich nach vier Seiten auseinander und in der Mitte stand ein silbernes Christbäumchen von sehr schö ner Arbeit. Die Mutter that einen lauten Schrei vor Entzücken; Therese sah die Dame verwundert an, konnte sie aber nicht erkennen. Vielleichtwa ren die Thränen daran schuld. — „Treten sie näher, liebes Kind," sagte jene, „es hängen einige Kleinigkeiten am Bäumchen." Stumm folgte das Mädchen dem Winke, wischte sich die Thränen ab und sah am silbernen Baume zwei kleine goldene Feilen und ein Seil, von Golddraht gewunden. Wie ein Dolchstich fuhr cs ihr durch's Herz. Mit einem unterdrückten Schrei aber fuhr sie zurück, als ne ein in Gold gefaßtes Miniaturbild erblickte, das einen jungen Mann mit schönem bärtigen Gesichte darstellte. Sie drohte umzusinken, aber in demselben Augen blicke flogen Hut und Mantel des Dieners weg und mit dem Ausrufe: „Therese, geliebte The rese!" sing das Original des Miniaturbildes sie in seinen Armen auf und hielt sie fest umschlun gen. Dann nahm er die schöne weiße Rechte des Mädchens, das sein Gesicht zitternd an seine Brust verbarg, hielt sie der Dame hin und sagte: „Mut ter, sieh, das ist die Hand, die mir in der vori gen Christnacht das größte Opfer der Liebe ge bracht, indem sie mir die Werkzeuge zu meiner Befreiung reichte." Die Dame nahm die Hand und wandte sich zu den sprachlos staunenden Aeltern, „darf ich sie in die meines Sohnes legen, der soeben über's Meer zurückgekehrt ist? Darf ich diese Hand in die eures Flüchtlings legen, damit sie ihn als ih ren Gefangenen festhalte und es ein fröhlicheres Weihnachten für uns werde, als das vor einem Jahre?" — „Nun," sagte der Eisenmeister, „sie mag ihn jetzt festhalten, gnädige Frau, er hat ja auch fester gehalten, als ich ihm zutraute. Gott segne sie!" — Und jetzt war's ein rechter Weih nachtsabend voll süßer, seliger Freude. in Als die Ueberreste des Bem'schen und Guyon'- schen Armeecorps abzogen, drang die österreichisch-