Volltext Seite (XML)
ponisten zu seiner bis dahin eindringlichsten und zwingendsten Charaktergestaltung inspi rierte. Die beiden Arien der Lady im er sten und vierten Akt — die im zweiten wurde bei der Neufassung 1865 nachkompo niert — umreißen gleichsam die extremen Grenzsituationen ihres Daseins: grenzenlose Selbstüberhebung und tiefste seelische Zerrüt tung. Mit weit ausgreifender melodischer Geste werden in ihrer Auftrittsarie unbändiger Ehr geiz und leidenschaftlich aufbegehrender Stolz in einprägsame musikalische Gestalt gefaßt. Nach wenigen Takten steht die Lady in dieser Arie vor dem Hörer als ein großer, von unbe zähmbaren Leidenschaften durchglühter Cha rakter, den eben die Gewalt dieser Leiden schaften zu Ruchlosigkeit, maßloser Hybris und schließlich ins Verderben treibt. Dieses Verder ben hat sich erfüllt im unheimlichen Wahnsinn der großen Nachtwandelszene; hier bewahrt ihr Charakter doch auch bei aller heillosen Zerstörung eine dämonische Größe. Man kann die psychologische Meisterschaft Ver dis nicht genug bewundern, mit der es ihm ge lang, trotz fast klinischer Genauigkeit in der Erfassung der Symptome geistiger Zerrüttung die Zeichnung der Lady dennoch vor einem Absinken in peinlichen Naturalismus zu bewah ren. Diese in jeder Hinsicht ungewöhnliche Szene, die wohl schon Verdi selbst als eigent liches Zentrum des Werkes empfand und an der er bei der späteren Überarbeitung der Oper keine Note änderte, ordnet sich einem traditionellen Formschema nicht mehr unter. Bewundernswert ist die kompositorische Öko nomie, mit der Verdi im ersten Teil dieser Szene die „Charakterbegleitung" ganz aus der Durchführung zweier hartnäckig beibehaltener, scharf geprägter und stark gegeneinander kon trastierender Instrumentalmotive gewinnt: ei nem chromatisch aufsteigenden der Celli und einem antwortenden Seufzer des Englischhorns. Das Festhalten dieser Motive die ganze Szene hindurch suggeriert zwingend die monomani sche Fixierung der Lady auf den Gedanken an ihre Schuld. Es gibt im „Macbeth" eine weitere Szene von vergleichbar abgründiger, letzte seelische Tie fen auslotender musikdramatischer Kunst: das Duett Lady — Macbeth des ersten Aktes, unmittelbar nach der Ermordung Duncans. Hier werden der von seinem Gewis sen gefolterte Macbeth und die ihn beschwich ¬ tigende, ihren Triumph nur schlecht verbergen de Lady einander musikalisch gegenüberge stellt. Die mühsam und schwer sich aufrichten de Kantilene Macbeths kontrapunktiert die in famen Staccato-Koloraturen der Lady. Ein gro ßer Wurf ist auch die Bankettszene mit dem Trinklied der Lady (Finale II): eine für Verdi typische Szene, in der eine temperamentvolle, aber situationsmäßig „neutrale" Tanzmusik — hier eine unheimlich-ungemütliche Polonaise — als stärkster Gegensatz gegen ein grausiges Geschehen gesetzt ist. Suggestiv wirkt die Er scheinung Banquos und nahezu gespenstisch die Wiederaufnahme des Trinkliedes unmit telbar danach. Und überlegene Meisterschaft verrät der Aufbau des abschließenden En sembles, das sich aus Macbeths gedämpfta^ ohnmächtigem Stöhnen entwickelt und sch^^ ste dynamische Kontraste hart gegeneinander setzt. Hervorhebung verdient auch die ein drucksvolle Introduktion des ersten Aktes mit den in eine ganz fahl-unwirkliche Atmosphäre getauchten drei Prophezeiungen der Hexen — Verdi macht aus den drei Hexen Shakespeares drei Chöre —, von denen zwei sofort in Erfüllung gehen, während die eine noch offene in Macbeth eine bange, beklem mende Erwartung hervorruft, die sich im fol genden Duett mit Banquo in merkwürdig ge drückter, engschrittiger Melodik äußert. Hin gewiesen sei des weiteren auf die große Szene der Erscheinungen im drit ten A k t, in der Macbeth mit Hilfe der Hexen einen Blick in die Zukunft tut. Sie ist eine Art ita lienische Wolfsschluchtszene, die ihre grausige Atmosphäre vorwiegend aus verminderten Septakkorden bezieht. Das ganze letzte F i n a - I e hat Verdi 1865 neu geschrieben. Seinem Ver leger Escudier teilt er darüber mit: „Sie wer den lachen, wenn Sie hören, daß ich für die Schlacht eine Fuge geschrieben habe!!!! Eine Fuge? Ich, der ich alles hasse, was nach Schule riecht, und es ist wohl dreißig Jahre her, daß ich eine schrieb!!!! Aber ich sac^fc nen, daß diese musikalische Form in dem^M angebracht ist. Das Durcheinanderlaufen, das die Themen und Gegenthemen hervorbringen, der Zusammenprall der Dissonanzen, der Lärm usw. können wohl hinreichend den Eindruck einer Schlacht vermitteln .. ." So verwandelte der Komponist die ursprünglich farblos schema tische Schlachtmusik in eine Nummer, die ein Novum in ihrer Art bildet. Programmblätter der Dresdner Philharmonie Chefdirigent: Jöra-Peter Weiale — Spielzeit 1987/88 Redaktion: Dipl.-Phil. Sabine Grosse Reproduktionen: Erwin Döring Verwendete Literatur: Ernst Krause, Oper von A—Z, Breitkopf und Härtel, Leipzig, 1969; Horst Seeger, Musiklexikon, DVfM, Leipzig, 1966; Musikgeschichte — Ein Grundriß, Teil II, DVfM, Leipzig, 1985; Wolfgang Marggraf, Giuseppe Verdi, DVfM, Leipzig, 1982; Wolf gang Seifert, Giuseppe Verdi, Breitkopf und Härtel, Leipzig, 1955; Herbert Gerigk, Giuseppe Verdi, Aka demische Verlagsgesellschaft Athenaion, Potsdam, 1932. Druck: GGV, BT Heidenau 111-25-16 3,5 JtG 009-32-88 EVP -.50 M