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482 Stahl und Eisen. Aus Fachvereinen. 28. Jahrg. Nr. 14. und wohltätig sein könnten. Redner meint, der Zen tralverband würde heute vielleicht den Gewerbe gerichten gegenüber eine andere Stellung einnehmen müssen. Bevor er etwa in gleich freundlicher Weise zu dem uns heute beschäftigenden Gesetzentwurf sich äußere, müßte man erstens die Grundlagen, den Um fang und die Zusammensetzung der geplanten Arbeits kammern ins Auge fassen und dabei die Frage er örtern, wie sich diese Zusammensetzung im Laufe der Dinge gestalten könnte. Zweitens müssen die Auf gaben und Ziele dieser neuen Organisation betrachtet und drittens muß geprüft werden, ob von ihnen die Lösung der ihnen gestellten Aufgaben, die Errichtung des gesteckten Zieles zu erwarten ist. Schließlich sind die Nebenwirkungen des Gesetzes zu berücksichtigen. Redner geht diese Fragen im einzelnen durch. Die Arbeitskammern sollen in Anlehnung an die Berufsgenossenschaften fachlich gegliedert werden. Nach den Wahrnehmungen des Redners scheint die Industrie die fachliche Gliederung für richtig zu halten. Im übrigen herrscht große Meinungs verschiedenheit. Zu dem die Vorschriften über den Umfang der Arbeitskammern enthaltenden § 7 be merkt Hr. Bueck u. a.: Die Begründung, daß die im Handwerk arbeitenden Personen ausgeschlossen werden, weil sie in ihren Gesellenausschüssen bei den Innungen usw. ihre Vertretung hätten, werde von allen Seiten als unzutreffend bezeichnet. Die Mitwirkung der Gesellenausschüsse ist auf ein enges Gebiet be grenzt. Der Ausschluß des Handwerks dürfte über haupt zu sehr unklaren Verhältnissen führen, da sehr zahlreiche handwerksmäßige Betriebe den gewerblichen Berufsgenossenschaften angehören, und eine bestimmte Grenze zwischen ihnen und den Fabrikbetrieben nicht besteht. In ihrer Gestaltung und mit dem vorgeschrie- benen Wahlverfahren werden die Kammern in der öffentlichen Erörterung des Entwurfes als solche der Großindustrie, des Bergbaues, der Eisen- und Stahl industrie und der Textilindustrie bezeichnet. Die „Soziale Praxis“ drückt ihre außerordentliche Befrie digung aus, daß gerade diese „in ihrem sozialen Sinn zurückgebliebenen Kreise“ von der Einrichtung be troffen würden, und hebt dabei unter besonderer Prei sung des Tarifs im Buchdruckereigewerbe die Ab neigung jener Großindustrie gegen Tarifverträge hervor. Bueck bemerkt dagegen, daß die Buchdrucker unter die Herrschaft der Arbeiterorganisation kommen, und , daß der Buchdruckertarif auf die Großindustrie abschreckend wirken muß. In dem Wahlmodus des Entwurfes sieht Bueck erst recht die Bestätigung der Ansicht, daß die Re gierung die Vorlage, die sie nun einmal unter dem Druck der Parteien mache, so ungefährlich wie mög lich zu gestalten suche. Jede allgemeine Wahl fördere die Sozialdemokratie. Die Ansichten über die Zweck mäßigkeit der Arbeiterausschüsse, die zum Teil als Wähler fungieren sollen, sind in der Industrie ge teilt, sie sind daher auch nur stellenweise eingeführt. Und da kleinere Betriebe überhaupt kaum Arbeiter ausschüsse haben, würden deren Arbeiter von der Wahl zur Arbeitskammer ausgeschlossen sein und damit kaum Vertrauen zu dieser Einrichtung haben. Aus alledem folgt, daß die Regierung aufs äußerste gedrängt werden würde, die Arbeiterausschüsse obligatorisch zu machen, was der Zentral verband immer bekämpft hat. Bueck weist anderseits auf den erhobenen Einwand hin. daß die Arbeiteraueschüsse sich nicht zu Wahlkörpern eigneten, weil sie der Be einflussung durch die Arbeitgeber und Angestellten ausgesetzt seien, indem mißliebigen Mitgliedern stets die Arbeit gekündigt werden könne. Die zweite Hälfte der Vertreter soll von den Arbeitervertretern für die Unfallverhütung gewählt werden, die aus einer fünfmal gesiebten Wahl hervorgegangen sind. Bueck hält für verständlich, daß dieser Modus von den Arbeitern und ihren Organisationen mit Ent rüstung zurückgewiesen wird, wennschon er das Be streben der Regierung, die Sozialdemokratie und die agitatorischen Organisationen von den Arbeitskammern fernzuhalten, anerkennt. Bueck glaubt trotzdem nicht, daß das gelingen wird. Wo die Arbeiter-Organi sationen Fuß gefaßt haben, stehen auch die Ar- beiterausschüsse unter ihrem Einfluß. Bei der Be deutung der Arbeitskammern wird die Sozialdemo kratie alles tun, um in ihnen zu dominieren. Der politische Kampf wird nicht nur in die Arbeiteraus schüsse, sondern in die Betriebe selbst eindringen. Man denke einmal, wie die Verhältnisse werden, wenn in einer Arbeitekammer Sozialdemokraten, Christliche, Hirsch-Dunckersche, Lokalorganisierte, Gelbe usw. zusammensitzen. Wird da Frieden und Vertrauen herrschen? Kaum! Wohl aber gegenseitiger Wett kampf zum eigenen Vorteil. Die Aufgaben der Kammern aber sind un- gemein weitreichend. Bueck bemerkt u. a., daß die sozialistische Presse jeder Richtung dabei noch die Befugnis vermißt, den Abschluß von Tarifverträgen zu dekretieren. Höchst bedeutungsvoll und bedenk lich hält Bueck die im Entwurf vorgesehene An rufung der Arbeitskammern als Einigungsämter. Noch dazu wird versucht, den Verhandlungszwang einzu führen und den Schiedsspruch obligatorisch zu machen. Jedenfalls können die Arbeitskammern alles mögliche vor ihr Eorum ziehen. Glaubt die Regierung wirk lich, bei ihnen die besten Informationen und Rat schläge zu bekommen, so wird sie andere gesetzliche Organe, Handelskammern usw. künftig um so weniger befragen, da diese dann erst recht als einseitige Unternehmerorganisationen angesehen werden. Für die freien, industriellen Vereine, speziell den Zentral verband, teilt Bueck die Befürchtung einer solchen erheblichen Beeinträchtigung nicht; der Zentralver band sei selten um seine Meinung gefragt worden, freiwillig aber habe er in sehr bedeutenden Dingen mitgewirkt und bedeutende Erfolge erzielt. Ein sol ches Ergebnis freiwillig geleisteter ernster Arbeit werde wohl auch ferner bleiben. Uebergehend zu der Frage, wie die Arbeitskammern ihre Aufgabe erfüllen werden, glaubt Bueck, daß den Arbeitervertretern ver schiedentlich die nötigen Kenntnisse abgehen werden ; die hinter ihnen stehenden Führer geben es ihnen ein. So wird sich daher meist ein Gegensatz zwischen Ar beitern und Arbeitgebern zeigen, mehr Kampf als Frieden herauskommen. Im günstigsten Falle werden Kompromisse geschlossen. Bueck ist aber überzeugt, daß es besser sei, wenn in den unteren Instanzen die Ansichten und Forderungen der einzelnen Interessenten gruppen klar und unabgeschwächt znm Ausdruck ge langen. Sie gegeneinander abzuwägen, sei Sache der höchsten Instanz. An den wichtigsten zur Entschei dung stehenden Fragen sind die beiden Parteien in entgegengesetztem Sinne interessiert. Vereinigt man sie in einer Körperschaft, so stoßen sie aufeinander. Bueck legt sodann dar, daß ebensowenig Erfolg von ihrer Tätigkeit als Einigungsämter zu erwarten ist. Die meist bei den vorkommenden Streitigkeiten um die Arbeitsbedingungen, Lohnhöhe usw. für die Arbeitgeber in Betracht kommenden Wettbewerbsver- hältnisse und wirtschaftlichen Fragen können die Ar beiter nicht genügend beurteilen. In Dingen, wo die Arbeitgeber verantwortlich sind, werden sie Bedenken tragen, erst mit unverantwortlichen Arbeitern zu ver handeln. Die durch den Druck der Arbeiterorgani sationen erzeugten Arbeitgeberverbände werden nicht geneigt sein, die vitalen Interessen ihrer Mitglieder durch die Arbeitskammern entscheiden zu lassen. Der Redner bemerkt zu den Kosten, es sei schwer einzusehen, weshalb die Arbeiter, welche an die sozial demokratischen Gewerkschaften durchschnittlich für den Kopf 24,62 K im Jahre spenden, bei einer ledig-