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Sinfonischem und Oratorischem, stand. „Die Welt macht mir zwar täglich viele Komplimente über das Feuer meiner letzteren Arbeit, aber niemand will mir glauben, mit welcher Mühe und Anstrengung ich dasselbe hervorsuchen muß", schreibt Haydn unter dem 12. Juni 1799 an den Verleger Breitkopf in Leipzig und gesteht damit indirekt ein, daß die Größe der Aufgabe ihm das Äußerste an Kraft abverlangt hatte. Das Piinzip der sinfonischen Dialektik äußert sich im Groben in widersprüchlich konzipierten musikalischen Charakteren, deren Bewegung und Entfaltung ein Lösungszwang innewohnt. Wie sich in der Frage bereits die Antwort abzeichnet, beruhen diese sinfonischen Konfliktgestaltungen auf einander bedingenden Gegensätzen. Die musikalische Gestaltung des Chaos schließt bereits dessen Überwindung und Ersetzung durch eine neue Ordnung ein. Dreimal hintereinan der gestaltet Haydn programmatisch diese das Jahrhundert der Aufklärung be seelende Idee zu Beginn des Oratoriums, zuerst in der Einleitung, der „Vorstei lung des Chaos", komponiert im nachtschwarzen c-Moll, das zu den Worten „. . . und es ward Licht" sich in strahlendes C-Dur ergießt, danach in der Arie Uriels, „Verwirrung weicht, und Ordnung keimt empor", und schließlich in fes selnder dramatischer Gestaltung des Sturzes der „Höllengeister Schar in des Abgrunds Tiefen hinab zur ewigen Nacht", der vom Chor in heftigen klanglichen Gebärden im Fugato „Verzweiflung, Wut und Schrecken begleiten ihren Sturz" durchgeführt, vertieft, vereindringlicht wird, so daß sich die daraus nach mehr facher Steigerung nun hervorwachsende Lösung davor um so beschwörender abzeichnet: „Und eine neue Welt entspringt . . Die Nähe der Ideen Rousseaus ist offenbar. Denn diese neue Welt ist eine natürliche, in der der Mensch harmonisch lebt und in der er sich seinem eigent lichen menschlichen Wesen nach entfalten kann. So ist dem Naturbild stets auch der gesellschaftliche Bezug immanent. In stürmischen, aufgewühlten Sechzehntel- Läufen in d-Moll „bewegt sich ungestüm das Meer", aus dem zum Klange von F-Dur „Hügel und Felsen erscheinen", in deren stillen Tälern endlich die ge bändigten Wasser in hellen Bächen leise rauschend fortgleiten. Wie sich ein gangs das c-Moll ins C-Dur ergoß, so löst sich hier die bedrohlich anrennende Gewalt des d-Moll mit der Errichtung der neuen Welt zuletzt im lichten, idylli schen D-Dur-Gesang auf. Alles gewinnt eine dem Menschen nützliche und ihn erfreuende Ordnung. Diese drei Teile des Werkes stehen in einem Sinnbezug zueinander wie die Sätze einer Sinfonie: Diesem von Dramatik gezeichneten Werden der neuen Welt, vergleichbar ersten Sinfoniesätzen, folgt die friedvolle Belebung und Beseelung durch Mensch und Tier. Auch dem zweiten Teil steht das Symbol der unterdrück ten und um eine neue Welt ringenden Menschen dieses Jahrhunderts in einem Bilde von kraftvoller Plastizität programmatisch voran: „Auf starkem Fittiche schwinget sich der Adler stolz und teilet die Luft im schnellsten Fluge zur Sonne hin . . ." Im Glanze dieser freien, sonnenhellen, friedlichen Welt entfaltet sich dos wahre Leben, das dem neuen Menschen zur Tat und Freude offensteht. Die Ideal gewordene Sehnsucht nach einem neuen Menschenleben läßt Haydn in einem sich in Fanfarenmelodik erhebenden Hymnus erklingen, dessen Worte in knappen Zügen das Menschenbild der gesamten Epoche umreißen: „Mit Würd und Hoheit angetan, mit Schönheit, Stärke und Mut begabt, gen Himmel aufge richtet, steht der Mensch, ein Mann und König der Natur". Dem singt der letzte Teil, vergleichbar einem Sinfonie-Finale, das Lob. Wie glühend diese Sehnsucht gebrannt hat, spüren wir aus der Verheißung auf diese harmonische Welt, an deren Schwelle sich das revolutionäre Bürgertum des 18. Jahrhunderts wähnte, die in der Einleitung zum dritten Teil glutvolle Musik geworden ist: „Aus Rosen wolken bricht, geweckt durch süßen Klang, der Morgen jung und schön. Vom himmlischen Gewölbe strömt reine Harmonie zur Erde hinab." Diesem Tage singt die Schöpfung das Lob. Der sich auf die Gewißheit der Verwirklichung gründende mitreißende Optimismus des Werkes erschüttert, wenn man bedenkt, wie fern die in Klassen gespaltene Bürgerwelt diesem Ideal noch gewesen ist, als diese Musik geschrieben wurde. Mehr als einhundert Jahre noch sollten vergehen, bis diese ersehnte, erhoffte, erlittene und erkämpfte Menschenwelt in ihre reale Existenz trat. Um so näher sind uns deshalb gerade diese Werke, welche die Menschheitsgeschichte so entschieden vorangebracht haben, indem sie dem Men schen den Blick auf eine solche Welt als Zielvorstellung und damit als Motor des Strebens und Handelns eröffneten und wach hielten. Um diesen Weg zu gehen, brauchte der Mensch Klarheit. Für die Musik bedeutete das, im besonderen jene musikalischen Bereiche zu beleben, die aus der uralten Beobachtung der musikali schen Widerspiegelung der Welt im Bewußtsein als konkret und breitesten Krei sen verständlich verwurzelt sind: Geschäftig in Trioienbewegung wirkt der im Tale fortgleitende helle Bach, Jagdklänge bringen die Bedeutung des Hirsches für den Menschen nahe, und für das jagende Vorwärtsstreben des Rosses hat Haydn eine kräftige Scherzopassage fragmentarisch knapp, aber unzweideutig in ihrem Charakter ersonnen. Das und anderes ist keine billige musikalische Be bilderung des Textes, sondern Ausdruck einer realistischen Gesinnung, die sich um so mehr in der musikalischen Eifindung und im Mühen um Konkretheit an gestrengt hat, je stärker sie sich als menschenbildend im Geiste dieser revolu tionären Bewegung begriff. VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 21., und Sonntag, den 22. Juni 1975, jeweils 18.00 Uhr, Schloßpark Pillnitz 1. SERENADE Dirigent: Christian Kluttig, Karl-Marx-Stadt Mitwirkende: Bläsersolisten der Dresdner Philharmonie A-cappella-Chor des Philharmonischen Chores Werke von Gabrieli, Mozart und Finke Freier Kartenverkauf (•Nltnarnnonio Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1974/75 — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Die Werkeinführung schrieb Dr. sc. Gerd Schönfelder Druck: GGV, Produktionsstätte Pirna - 111-25-12 2 T. ItG 009-56-75 10. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1974/75