Volltext Seite (XML)
aufbau und Längen des Stückes an Schubert denken lassen. Besonders die Stilarten seiner Lieblinge Mozart (im 1. und 2. Satz) und Bach (im 3. Satz) haben sich in der Feder des jungen Tonsetzers gemischt, zu dessen Lebzeiten übrigens nur eine Aufführung des Werkes nachzuweisen ist: am 20. Februar 1827 in Stettin mit Mendelssohn und Carl Loewe als Solisten. Die Berliner Allgemeine Musikalische Zeitung schrieb dazu u. a.: „Eine heiter- anmuthige Komposition, ohne Uebermässiges und Vermindertes, deren Werth in dieser überreizten Zeit dem nicht entgehen wird, der bedenkt, wohin die überhand nehmenden Modevorhalte die Komponisten und die Dreschpassagen die Klavierspieler führen sollen . . . Auch dieses Konzert zeigte in der Anlage der Komposition Genialität, Geschmack, Lieblichkeit, und vor allem eine gute Schule des gebildeten Verfassers, die nicht im Ueberbieten von Klaviereffekten den reichen, köstlichen Orchester-Körper vergisst; sondern überall, am rechten Orte, theilnehmende Gefühle der Bläser singen läßt, reiche Stimmenführung des Streich-Quartettes entfaltet, und somit alle vorhandenen Mittel zweckmässig, bis zur Pauke herab, verbindet. Ueberdem bilden die beiden konzertirenden Klaviere auch noch verschiedene Karaktere, damit jeder Spielende seine Eigen- thümlichkeit genügend entwickeln kann." Die erste Wiederaufführung des Doppelkonzertes erfolgte am 22. November 1959 durch das Berliner Rundfunksinfonieorchester unter Rolf Kleinert mit Günter Kootz und Dieter Zechlin als Solisten. Zu den großartigsten Schöpfungen aus Wolfgang Amadeus Mozarts früherer Zeit gehört das Anfang 1779 in Salzburg entstandene Konzert für zwei Klaviere und Orchester Es-Dur KV 36 5. Die tech nischen Ansprüche des meisterlichen, glanzvollen Werkes „lassen vermuten, daß es Mozart nicht für seine Schüler, sondern für sich selbst und seine Schwester komponiert hat. Tatsächlich ziehen die beiden Solisten auch einträchtig und vergnügt zusammen ihres Weges, wie die Mozartschen Geschwister: sie unter halten sich eifrig über dieselben Themen, wiederholen ihre gegenseitigen Ein fälle, variieren sie, fallen einander ins Wort und disputieren auch gelegentlich schalkhaft miteinander, aber ohne daß das gute Einvernehmen jemals durch ernst liche Meinungsverschiedenheiten gestört würde. Trotz einigen Freiheiten im Bau, zu denen namentlich die geistreich veränderte Reprise des ersten Satzes gehört, verläuft alles klar und wohlgegliedert. Der Grundcharakter des Konzertes ist schwungvolle Heiterkeit, die sich im Schlußrondo unter Vorantritt eines alten, schon in einem früheren Divertimento (KV 252) benutzten Volksliedes zu necki schem Humor steigert. Das Orchester verrät in Behandlung und Dynamik Mann heimer Einfluß und verhält sich nach französischem Vorbild den Solisten gegen über ziemlich zurückhaltend, bringt jedoch mit seinen gehaltenen Bläserakkorden in der Begleitung einen neuen, wirksamen Zug hinein" (H. Abert). Das 1910 in Paris durch das Djagilew-Ballett uraufgeführte Ballett „Der Feuervogel" gehört zu den beliebtesten Schöpfungen Igor Stra winskys, des am 6. April 1971 im Alter von 89 Jahren in New York ver storbenen Meisters. Die aus diesem Werk zusammengestellte Konzertsuite hat sich wegen ihres bestrickenden Klangzaubers und ihrer lyrischen Verhalten heit, die mit barbarischer Wildheit wechselt, einen Stammplatz im Repertoire vieler Orchester der Welt errungen. Von der Suite gibt es drei Fassungen: die von 1910 für sehr großes Orchester, die heute erklingende von 1919 für mitt leres Orchester, ganz dem Zuge der Sparsamkeit nach dem ersten Weltkrieg und der Entwicklung Strawinskys folgend, und die von 1945 für normales Orchester mit einigen Instrumentationsretuschen. Die Fabel des Balletts folgt einem russischen Märchen vom Prinzen Iwan, der im Zaubergarten des Menschenfressers Kaschtschei dem Feuervogel begegnet, ihn einfängt und gegen Überlassung einer Feder wieder freiläßt. Gefangene Prinzessinnen tanzen im mondbeschienenen Park, Prinz Iwan verliebt sich in eine von ihnen, der er trotz aller Warnungen ins Schloß folgen will. Der Zauberei Kaschtschei tritt ihm entgegen, um ihn in Stein zu verwandeln. Der durch die Feder herbeigerufene Feuervogel verrät dem Prinzen das Lebensgeheimnis des Zauberers. Der Prinz tötet ihn und befreit dadurch alle Gefangenen und Ver zauberten. Die geliebte Prinzessin ist eine Zarentochter, mit der er sich verlobt. Die Suite gibt die wichtigsten Episoden des Balletts wieder. Die Introduktion (Einleitung) läßt den Zaubergarten oufblühen. Eine Figur wächst aus dunkler Tiefe (Violoncello, Kontrabässe) zu einer lyrischen Melodie der Oboe. Die Far bigkeit, durch eine zauberhafte Instrumentation hervorgerufen, versetzt den Hörer sofort in eine märchenhafte Stimmung. Ein bunter Vogel, der Feuervogel, schwirrt plötzlich in diesem Zaubergarten umher. Das Schwirren, durch spielerische Figuren zweier Flöten und einer Klarinette, durch Tremoli und das Pizzicato der Streicher, durch Glissandi des Klaviers und der Harfe unterstrichen, ist musikalisch äußerst suggestiv gestaltet. In einem Pas de deux (Tanz zu zweien) wird die Begegnung des Prinzen mit dem Feuervogel geschildert. Dann tanzen die ver zauberten Prinzessinnen (Scherzo). Ein Rondo erzählt von der aufkeimenden Liebe des Prinzen zu der schönsten Prinzessin. Hier hat Strawinsky eine Oboen melodie von anmutiger Süße geschaffen. Ihr steht eine Violinmelodie von ähn licher Lieblichkeit und lyrischer Verhaltenheit zur Seite. Aber der Zauberer Kaschtschei bannt zunächst alle in seine höllischen Fänge; der barbarisch-wilde Tanz, in dem, nach einem Wort Debussys, die „rhythmische Gewaltherrschaft" der Musik beginnt, hat etwas Brutales an sich, durch Schlagzeugpassagen und synkopische Melodiefetzen gekennzeichnet. Hier sind die Ansätze, die später im „Sacre du Printemps" zur Vorherrschaft gelangen, die den Rhythmus in den Vordergrund rücken. Strawinsky läßt auf dieses entfesserte Stück ein Wiegenlied des Feuervogels folgen, das nicht nur durch den gewaltigen Kontrast, sondern auch durch den bestrickenden Liebreiz der Melodie (Fagott) einen tiefen Eindruck hervorruft. Eine Hymne krönt die Ballettsuite, in der er allen moskowitischen Prunk und Reichtum aufleuchten läßt, so wie ihn auch viele der alten Märchen Rußlands enthalten. Die Hornmelodie steigt über die Violinen und Flöten immer höher empor, wird immer reicher harmonisiert und immer verführerischer im Klang ausgestattet. Sie wird metrisch vom Drei-Halbe-Takt zum Sieben-Viertel-Takt umgewandelt, und vor der endgültigen Steigerung werden durch Klavier- und Harfenakkorde, durch Pauken und tiefste Instrumente Glockeneffekte erzielt. Musikalisch wird der Eindruck einer gewaltigen, feierlich-großartigen Prozession im alten Rußland hervorgerufen. Strawinsky ist in diesem Werk Folklorist, nicht nur, weil seine Melodien Volkslied charakter haben, sondern auch, weil die Harmonik so spezifisch russisch ist, der Klang (trotz aller impressionistischen Anklänge, die aber auch bei Rimski-Korsa- kow zu finden sind) den Zauber des Rußlands der alten Märchen beschwört und der Rhythmus die Kraft dieses großartigen Landes und Volkes zum Ausdruck bringt. Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1971/72 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. habil. Dieter Hartwig Die Einführung in Strawinskys Feuervogel-Suite stammt von Prof. J. P. Thilman Druck: veb polydruck Werk 3 Pirna - 111-25-12 3 ItG 009-95-71 Inilharnnoni 2. PHILHARMONISCHES KONZERT 1971/72