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nichts anzufangen. Und gar der letzte Satz - das ist mir ein verschlossenes Buch. -Was nun tun! Mir graust es, wenn ich daran denke, wie diese Nachricht auf unseren Freund wirken wird! Ich kann ihm nicht schreiben. Soll ich ihm vorschlagen, er möge sich das Werk einmal in einer Probe hier an hören? Ich habe in meiner Not einem mir befreundeten guten Musiker die Partitur gegeben - auch der meinte, eine Aufführung sei unmöglich. Bitte schreiben Sie mir gleich, wie ich mich Bruckner gegenüber verhalten soll. Wenn es damit abgetan wäre, daß er mich für einen Esel, oder was noch schlimmer, für einen Treulosen hielte, so wollte ich mir dies ruhig gefallen las sen. Aber ich fürchte Schlimmeres, fürchte, daß ihn die Enttäuschung ganz niederbeugen wird. Kennen Sie denn die Sinfonie genau? Und können Sie da noch mit? Helfen Sie mir, ich bin ganz ratlos!" Levi hatte nur zu recht, wenn er an die Wirkung seiner Zweifel auf Bruckner dachte. Als dieser nach einem kurzen brieflichen Dialog zwischen Levi und Schalk dann doch über den Stand der Dinge informiert werden mußte, fiel er in eine der tiefsten Depressionen sei nes Lebens. Dennoch entschloß er sich, wie Josef Schalk bezeugt, recht schnell zu einer Revision insbesondere der Instrumentation, die Levi ihm mit den Worten nahegelegt hatte, „daß in den letzten Jahren der Isolirung und des fortwährenden Kampfes mit der Welt Ihr Sinn für Schönheit und Eben maß und Wohlklang sich einigerma ßen getrübt habe", worauf Levi noch abschließend hinzusetzte: „...vielleicht läßt sich durch eine Umarbeitung viel erreichen." Auf Levis Einwände geht es zurück, daß Bruckner die Achte nun nicht nur neu instrumentierte, sondern eine we sentlich veränderte zweite Fassung schuf. Und Levi ist letztlich auch ver antwortlich dafür, daß Anton Bruck ners Neunte unvollendet blieb. Denn der Komponist legte nicht nur zuguns ten der Revision der Achten die bereits begonnene Partiturskizze zum Kopf satz der Neunten zurück, sondern zeigte sich durch Levis Ablehnung der originalen Achten innerlich so tief ver unsichert, daß sein Mut, an dem neuen Werk weiterzuarbeiten, auf Jahre hinaus blockiert war. Am 27. Februar 1888 schrieb Bruckner an Levi: „Freilich habe ich Ursache, mich zu schämen - wenigstens für die ses Mal - wegen der Achten. Ich Esel!! Jetzt sieht sie schon anders aus." Dies war allenfalls ein Zwischenbericht, denn die Umarbeitung nahm immer größere Ausmaße an und wurde zu dem noch durch Revisionsarbeiten an der dritten und vierten Sinfonie unter brochen. Erst am 10. März 1890 war die Neufassung beendet. Für die ers ten drei Sätze hatte Bruckner ganz neue Partituren geschrieben, für das Finale die Änderungen in die vorhan dene Partitur eingetragen. Vergleicht man die beiden Fassungen, so stellt man fest, daß kaum ein Takt des anderthalb Stunden Aufführungs dauer einnehmenden Werkes unbe rührt blieb. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich dabei allerdings um kaum hörbare Details. Erhalten blieb fast durchgängig die thematische Substanz, abgesehen vom Haupt thema des neu komponierten Scherzo- Trios, doch die Instrumentation wurde