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„Anton Bruckner und die Wiener Kritiker Eduard Hanslick, Max Kalbeck und Richard Heuberger“. Gerade der „Kritiker papst" Hanslick war zu einem entschiedenen Gegner Bruckners geworden und hat oftmals bitterböse Galle über den ! Komponisten ergossen. 20 Simon Sechter (Wien), und zwar von 1855 bis 1861.“ Man bedenke, er war älter als dreißig, als er seine monatlichen Fahrten nach Wien auf nahm, um bei Sechter zu studieren! Später ver vollkommnete er sich noch unter Anleitung des Linzer Kapellmeisters Otto Kitzler. Mit einund vierzig begann er seine erste Sinfonie - obwohl Sechter ihn längst einen „geborenen Meister“ ge nannt hatte. Doch Bruckner litt an einem Min derwertigkeitskomplex, auch wenn dieser Begriff erst später erfunden wurde. Der hinderte ihn dar an, sich jemals in Wien wahrhaft einzugewöhnen oder gar wohlzufühlen, obwohl es an Anerken nung nicht fehlte und der ein wenig linkische, scheue Mann mit der Zeit höhere Posten einzu nehmen berufen wurde: Orgel- und Kontra punktprofessor, Hofkapellorganist, Komposi tionslehrer. Richard Wagner wurde zum Leitstern seines Schaffens. Im wagnerfeindlichen Wien be deutete dies einen schweren Stand und viele bos hafte Angriffe, dazu die natürliche Feindschaft der Brahms-Hanslick-Gruppe. Was Hanslick Bruckner vorzuwerfen hatte, war musikalisch fundiert: „Wagnersche Orchestereffekte, wie das Tremolo der geteilten Violinen in höchster Lage, Harfen-Arpeggien über dumpfen Posaunenak korden, dazu noch die neueste Errungenschaft der Siegfried-Tuben“. Kurt Pahlen formulierte das so: „Bruckner hatte diese Mittel gewählt, um sich ausdrücken zu können, um die Überfülle der Bilder, die in seiner Seele lebten, in Musik zu ver wandeln. So gerieten ihm seine Werke romanti scher als etwa die seines Zeitgenossen Brahms, und vielleicht weniger formstreng. Hanslick meinte auch, in Bruckners Sinfonien bestünde ein ,unvermitteltes Nebeneinander von trockener kontrapunktischer Schulweisheit und maßloser Exaltation'. Die .maßlose Exaltation' ist vorhan den, wenn auch vielleicht nicht in dem von Hans lick gemeinten negativen Sinne; es ist die Exalta tion eines Gottgläubigen, eines Mystikers, eines Menschen mit überreichem Innenleben, der sich Eduard Hanslick (1825 bis 1904) war über viele Jahre sowohl hoch geschätzter als auch stark gefürchteter Musikkritiker in Wien und Autor des oft miß verstandenen Buches „Vom Musikalisch- Schönen" („Der Inhalt der Musik sind tönend bewegte Formen"). Er fühlte sich dem Wiener Klassizismus und der Romantik verbunden, damit zu Brahms hinge zogen und lehnte Wagners und in dessen Gefolge Bruckners Schaffen ab. nie im Alltag, sondern immer nur in seinen Wer ken auszusprechen verstand. Ernst Decsey, Wiener Musikschriftsteller der auf Bruckner folgenden Generation, hat ihm diese echt romantischen Worte gewidmet: .Bruckner ist das Lied vom ho hen Berge, in ihm spiegelt sich die Sonnen aufgangspracht, der Schauer der Weiten und Tiefen und die abendliche Verklärung, über die der ausgestirnte Nachthimmel wächst ...‘ 21