ZUR EINFÜHRUNG Der französische Komponist Jules Masse net, dessen 150. Geburtstages und 80. Todestages im vergangenen Jahre zu gedenken war, hat in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg erhebliche Erfolge gehabt. Von seinen zahlreichen Opern gingen vor allem „Manon" (1884), „Werther" (1891), „Das Mädchen von Navarra" (1894) und „Der Gaukler unserer lieben Frau" (1902) über viele Bühnen, während heute Auf führungen seiner Bühnenwerke an deut schen Opernhäusern Seltenheitswert besit zen. Auch seine Orchesterwerke, darunter sieben Suiten, sind fast gänzlich aus deut schen Konzertsälen verschwunden. Umso verdienstvoller ist es, daß der Gastdirigent des heutigen Abends mit einer wirkungsvol len Ouvertüre zu Konzertbeginn an den Komponisten erinnert. Jules Massenet trat 1851 in das Pariser Conservatoire ein, wo er in der Komposi tion von Ambroise Thomas unterwiesen wurde. Für seine Kantate „David Rizzio" er hielt er den Rompreis. Während seines dreijährigen Aufenthaltes in Rom freundete er sich mit Franz Liszt an. Reisen durch Ita lien, Deutschland und Österreich-Ungarn schlossen sich an. Die ersten Erfolge als Komponist errang er auf sinfonischem Ge biet, doch Weltruhm erwarb er mit seinen meist in Paris uraufgeführten Bühnenwer ken, insbesondere mit „Manon", „Werther" und „Thais" (1894). Zeigte er sich zu nächst deutlich von der Musik seines Leh rers Thomas und danach seines Freundes Georges Bizet beeinflußt, fand er bald zu einem persönlichen Stil, der Elemente des französischen Musiktheaters und des Wag- nerschen Musikdramas sinnvoll miteinander verband. Besondere Aufmerksamkeit wid mete der Komponist der psychologischen Zeichnung vor allem der weiblichen Prota gonisten seiner Opern. Im Jahre 1 878 wurde Massenet Leiter der Pariser Opera und Professor für Komposi tion, Kontrapunkt und Fuge am Conserva toire, womit die von ihm verfochtenen Ideen Hector Berlioz' und Richard Wag ners auch an dieser Institution einzogen. Ebenfalls 1 878 wurde er Mitglied der Aka demie der schönen Künste und 1889 Grand Officier der Ehrenlegion. Zu seinen Schülern gehörten Komponisten wie Alfred Bruneau, Gustave Charpentier, George Enescu, Charles Koechlin und Gabriel Pierne. Massenet hat auch zahlreiche Schauspiel musiken geschrieben, die zur Tragödie „Phedre" des klassischen französischen Dramatikers Racine wurde am 8. Dezem ber 1900 im Theätre de l'Odeon in Paris uraufgeführt. Die Ouvertüre zu „Phedre" stammt bereits aus dem Jahre 1874. Sie hat die schon von Euripides behandelte lei denschaftliche Liebe von Theseus Gattin zu ihrem Stiefsohne Hippolyt und die hieraus sich ergebenden Konflikte zum Gegen stand. Ein viermal wiederholtes, kurzes, pa thetisches Thema (Andante molto sostenuto) figuriert als eine Art dramatischen Prologes, es ist dem Beginn des nachfolgenden Alle gros vorweggenommen. Eine sanfte, ruhige Klage der Holzbläser dürfte Phedres Ge ständnis ihrer tragischen Liebe zum Sohne des Gatten auszudrücken haben. Das - nach einer Wiederholung des „Prologes" - plötzlich einsetzende Allegro appassionato weist auf die in ihrer Leidenschaft verzwei felnde Königin und auf ihre, aus diesem