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ZUR EINFÜHRUNG Das musikalische Schaffen George Enes- cus, des ersten rumänischen Komponisten von europäischer Geltung, der auch als Geiger und Dirigent Weltruhm erlangte, beginnt mehr und mehr außerhalb der Grenzen seines Hei matlandes bekannt zu werden. Dem 1881 in Liveni (Rumänien) geborenen und 1955 in Paris verstorbenen Komponisten gelang es, die Bemühungen der im 19. Jahrhundert in Rumä nien wirkenden Komponisten um eine natio nale Kunstmusik zusammenzufassen und zum musikalischen Klassiker seines Landes zu wer den, mit seinem Lebenswerk nicht nur den Ausgangspunkt, sondern zugleich auch Weg weiser und Wertmesser für die spätere Ent wicklung der rumänischen Kunstmusik bildend. Enescus Laufbahn begann als Wunderkind, von seinem siebenten bis elften Lebensjahr wurde er in Wien ausgebildet (Violine bei Heilmesberger, Klavier, Theorie und Kompo sition bei R. Fuchs). 1895 übersiedelte er nach Paris, um seine Studien (Violine bei Marsick, Komposition bei A. Thomas, Massenet und besonders bei A. Gedalge) fortzusetzen. Um die Jahrhundertwende begann seine weltum fassende Virtuosenlaufbahn (als Geiger be sonders durch sein Bach-Spiel geschätzt). Sei nen Wohnsitz nahm er wechselnd zwischen Paris und seiner Heimat. Seit 1931 war er Mitglied der rumänischen Akademie; außer dem stand er an der Spitze der Genossen schaft rumänischer Komponisten, überhaupt hat Enescus Tätigkeit, selbst wenn er sich zeit weilig in Paris aufhielt, enorm auf das Musik leben Rumäniens einaewirkt. Sein Schaffen, anfänglich von Wagner, Brahms und der französischen Schule um die Jahrhun dertwende beeinflußt, gewann unter der Be rührung und Auseinandersetzuna mit der ru mänischen Volksmusik mehr und mehr Selb ständigkeit und ausgesprochen nationales Pro fil. Enescu war iedoch kein „folkloristischer" Komponist. Eigentlich nur in dem ..Rumäni schen Poem" oo. 1 (1897) und in den zwei ..Rumänischen Rhapsodien" oo. 11 (1001/02) begegnen authentische Volksliedzitate. Von der ersten Orchesteesuite op. 9 (1903) ab. die Gu stav Mahler 1905 in Amerika uraufführte, prägte Enescu einen eigenen Stil, der wie bei den Vertretern anderer nationaler Schulen — Janäcek. de Falla. Kodäly, Bartbk — zwar in der Volksmusik seines Landes wurzelt, deren charakteristische melodische und rhythmische Elemente organisch assimiliert und persönlich, schöpferisch verarbeitet sind, der aber zu gleich eine Synthese mit westeuropäischem harmonischem Denken erstrebt. Dabei war Enescu kein musikalischer Revolutionär. Seine Musik ruht in der klassisch-romantischen Tra dition — kennzeichnend ist seine Vorliebe für klassische, großangelegte Architektonik. Ein fachheit und Kraft des Ausdrucks vereint sich mit Tiefe und Reichtum des seelischen Inhalts. Enescus musikdramatisches Hauptwerk „Oedi- pe" erlebte 1937 in der Pariser Großen Oper seine Uraufführung. Von seinen Orchester werken seien außer den Suiten die drei Sinfo nien (in Es, A und C) genannt, die zu seine^ gehaltvollsten Kompositionen zählen. Die Sinfonie Nr. 1 E s - D u r o p. 1 3 aus dem Jahre 1905 widmete Enescu dem italieni schen Komponisten Alfredo Casella. Das einen großen spätromantischen Orchesterapparat be schäftigende dreisätzige Werk weist eine üp pige Klanggebärdik sowie eine teils epische, teils dramatische Gestik auf. Die Harmonik ist stark chromatisch gefärbt. Der erste Satz (Ziemlich lebhaft und rhythmisch) beginnt mit dem sehr markanten Hauptthema, das die Blechbläser anstimmen und das sofort vom Streichkörper aufgegriffen wird, sodann vom Tutti des Orchesters. Dieses, eine führende Rolle im Satzverlauf spielende Thema erfährt eine breite Entwicklung. Schließlich kristallisiert sich — nach einer Pianissimo-Episode — zunächst in den Oboen das betont chromatische, aus drucksvolle zweite Thema heraus. Der Gedanke erscheint in allen Instrumenten und erfährt ebenfalls eine breite Darstellung. Die Durchfüh rung arbeitet mit diesem Material, insbeson dere mit dem impulsiven Hauptthema, das zu großen hymnischen Steigerungen geführt wird. In der Reprise kehrt auch das zweite Thema wieder. Strahlend verklingt der großangeleale Satz. M Beim zweiten Satz (Langsam) handelt es sT~. um ein ausdrucksstarkes, stimmungsvolles rhapsodisches Gebilde, das mit seiner engstu- figen Melodik deutlich auf die rumänische Folklore verweist. Nach kurzer Einleitung füh ren die gedämpften Streicher, Flöten, Eng lischhorn und Hörner das Hauptthema ein, das zu einem farbigen Bild gestaltet wird. Den zündend-kraftvollen Abschluß von rasan ter Wirkung bringt der Schlußsatz (Lebhaft und kraftvoll). Aus unaufhörlichen Beweaungsim- pulsen entfaltet sich die melodische Hauotae- stalt. Auch in diesem rhythmisch fesselnden ♦ IDIL BIRET stammt aus Ankara, wo sie von Mithat Fen- men ausgebildet wurde. Später waren Jean Doyen, Nadia Boulanger, Jacques Fevrier, Alfred Cortot und Wilhelm Kempff ihre Lehrer. Ihre Studien beendete sie am Pariser Conservatoire. Sie konzertierte in den Musikzentren Europas, Amerikas sowie in verschiedenen Ländern Afrikas und Amerikas und nahm auch an namhaften Festivals teil. Mit Yehudi Menuhin spielte sie 1973 während des Istanbul Festival alle Beetho- venschen Violinsonaten. Ihre Schallplattenaufnahmen genießen hohe Wertschätzung. Verschiedentlich übte sie Jury-lätigkeiten bei internationalen Klavierwettbewer ben aus. Idil Biret trägt seit 1973 den Titel eines Staatskünstlers der Türkei und wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, so bereits 1959 mit der Harriett- Cohen- und Dinu-Lipatti-Goldmedaille.