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29. Mai 1907. Referate und kleinere Mitteilungen. Stahl und Eisen. 791 Flächeneinheit als auch auf die Kopfzahl der Bevöl kerung verrechnet, seine Eisenbahnlänge mit ihren 1398 km bei weitem hinter derjenigen der englischen und französischen Besitzungen, zum Teil aber auch hinter derjenigen der portugiesischen und italienischen Kolonien zurückhleibt, eine Tatsache, die schon viele ausländische, besonders französische Kolonialpolitiker veranlaßt hat, die Langsamkeit der Entwicklung deut scher Kolonialeisenbahnen als unverantwortlich zu brandmarken. Was die Baukosten der afrika nischen Bahnen anlangt, so ergibt eich, daß Deutsch land unter Berücksichtigung der Spurweite den eigentlich afrikanischen Bahntypus am billigsten ge baut hat. Ale dieser Bahntypus muß die 1,067 m- Spur anerkannt werden; denn die neueste Entwick lung des afrikanischen Eisenbahnwesens weist darauf hin, daß wenigstens die Haupterschließungsbahnen nicht in einer zu kleinen Spurweite gebaut werden dürfen, wohingegen die europäische Normalspur für afrikanische Verhältnisse als ungeeignet erachtet wird und tatsächlich auch nur in sehr geringem Maße zur Ausführung gekommen ist (in Algier und Aegypten). Von höchstem Interesse sind die Untersuchungen der Denkschrift über die Zweckmäßigkeit der Unter- nehmungsform der afrikanischen Kolonialbahn. Von den in Betracht kommenden Formen: Staats unternehmung des Mutterlandes — die seltenste Form des kolonialen Eisenbahnbaues in Afrika —, Privat unternehmung und Unternehmung der Kolonie selbst als mehr oder weniger autonomen Gemeinwesens — wozu noch Mischformen treten können —, gibt die Denkschrift auf Grund ihrer Untersuchungen un bedingt der Koloniebahn den Vorzug. Die Vorherr schaft des Privatbahnsystems ist nur noch in Algier, Tunis und im Kongostaat zu finden, aber auch in diesen Gebieten mehr oder weniger im Schwinden be griffen; in den englischen und den meisten fran zösischen Kolonien jedoch herrscht das System der Kolonie-Eisenbahn unbedingt vor. Die Erfahrung lehrt, daß sowohl technische wie wirtschaftliche Vor teile für das Kolonie-Eisenbahnsystem sprechen, dessen Ausgestaltung natürlich von der seitens des Mutter landes der Kolonie gewährten Selbstverwaltung und dem damit verbundenen Rechte, Anleihen aufzunehmen, abhängig ist. England ist hierin, wie in den meisten kolonialen Fragen, vorbildlich; es hat nicht das Streben nach hohem fiskalischen Gewinn des Mutterlandes zur Richtschnur genommen, sondern die Erzielung einer finanziellen Selbständigkeit der Kolonien und für das Mutterland nur die Chance des Gewinnes aus dem Handel mit den Kolonien. Wir müssen — darauf laufen die Betrachtungen der Denkschrift über diesen Gegenstand hinaus — auch für unsere Kolonien finanzielle Autonomie unter Einführung von Anleihen für außerordentliche Zwecke erstreben. „Es ist an uns, den richtigen Zeitpunkt dieser wichtigen Frage nicht zu verpassen und uns nicht auch noch von Portugal in der Anwendung zweckmäßiger Grund sätze der kolonialen Verwaltungspolitik in Afrika überholen zu lassen, was bei den für die portu giesischen Kolonien angekündigten Reformen recht bald der Fall sein könnte. — Ist die Frage der kolonialen Selbstverwaltung gelöst, so ist die Grund lage für die wichtigste Unternehmungsform des kolonialen Eisenbahnbaues in Afrika geschaffen — Zwar haben wir mit unseren kolonialen Eisenbahn privatunternehmungen nicht so schlechte Erfahrungen gemacht wie andere Nationen, und es wird auch künftig keineswegs auszuschließen sein, daß Privat unternehmungen neben den Koloniebahnen an der wirtschaftlichen Erschließung unserer Schutzgebiete mitarbeiten, aber auch für unsere Kolonien kann für eine zielbewußte und großzügige Eisenbahnpolitik nur die Unternehmungsform der kolonialen Verwaltungs- Unternehmung die geeignete Grundlage bilden. Bei der Kolonieeisenbahn wird es auch möglich sein, die Rentabilität von weiteren Gesichtspunkten zu beurteilen, als es sowohl bei der Privatunter nehmung wie auch bei der Staatsunternehmung des Mutterlandes möglich ist. „Nichts aber“ — sagt die Denkschrift — „wäre verkehrter, gerade in den Kolo nien, wo noch alle Werte im Werden sind, als den Eisenbahnfiskus wie einen Staat im Staate und seine Ausgaben und Einnahmen isoliert zu betrachten. Ob die koloniale Finanzwirtschaft einen Einnahmezuwachs aus Betriebsüberschüssen der Eisenbahn oder aus Ueberschüssen der Zollverwaltung durch die Wirkung der Eisenbahn erhält, ist für den Erfolg gleichgültig.“ Ueberdies können für die Rentabilität einer Kolonie bahn auch noch indirekte Vorteile in die Wagschale fallen. Die bedeutenden wirtschaftlichen Wirkungen einer Kolonialbahn werden ja wohl kaum bezweifelt; immerhin beschäftigt sich die Denkschrift eingehend mit ihnen. Ein Beispiel, für uns freilich ein wenig erfreuliches, von dem Einflüsse einer Bahn auf Handel und Wandel haben wir in der Deutsch-Ostafrika be nachbarten englischen Ugandabahn, die einen sehr großen Teil des Verkehrs unseres Schutzgebietes auf englisches Gebiet hinüberzog; diese Erfahrung im Norden Ostafrikas bleibt eine Warnung für uns, daß wir uns durch Konkurrenzbahnen in Nachbargebieten nicht überflügeln lassen dürfen. Die Denkschrift erblickt nun zwar nicht ihre Aufgabe darin, für einzelne Bahnprojekte Stimmung zu machen, sie hält sich im Gegenteil von allem Eingehen auf Tracenfragen frei; dennoch schenkt sie den Bahn projekten nicht nur in unseren Kolonien, sondern in Afrika überhaupt vollste Aufmerksamkeit, so ins besondere auch dem Projekte einer Kap-Kairobahn als der Wirbelsäule eines künftigen kontinental-afri kanischen Eisenbahnsystems. In unseren Kolonien ist der Stand der Eisenbahnen vorläufig noch der der Stichbahnen von der Küste in das Innere. Bei den deutschen Projekten handelt es sich demgemäß durchweg um die notwendigsten Erschließungsbahnen, sei es mittels ganz neuer Bahnen oder durch Fortsetzung der Stichbahnen, und zwar haben unsere Projekte nachgerade einen dringenden Charakter angenommen wegen Wettbewerbs durch Nachbarprojekte. — Daß eine tatkräftige Eisenbahnpolitik für die gedeih liche Entwicklung unserer Kolonien durchaus not tut, daß wir auch nicht mehr lange mit der Ausführung der Erschließungsbahnen zaudern dürfen, daß aber mit dem Bahnbau wie überall in Afrika so auch in unseren Schutzgebieten ein wirtschaftlicher Aufschwung und eine befriedigende Entwicklung Hand in Hand gehen muß, das naebgewiesen zu haben, ist das Verdienst der vorliegenden Denkschrift. —r. Oesterreich. In der Beschreibung der Hütten werke der Priv. k. k. österr.-ungar. Staats-Eisenbahn- Gesellschaft in R e s i c z a und Anina* erwähnte Dr.-Ing. h. c. Fritz W. Lürmann, daß in Resicza zwei Elektro-Reversiermaschinen, jede zum Antrieb von zwei Walzenstraßen, in Vor bereitung wären. Es handelt sich, wie man uns jetzt mitteilt, um zwei genau gleiche Antriebe, jeder An trieb unterteilt in zwei Motoren** von zusammen * „Stahl und Eisen“ 1906 Nr. 22 S. 1363. * * Der in „Stahl und Eisen“ 1907 Nr. 4 (S. 121) und 5 (S. 162) beschriebene erste elektrische Re- versierstraßen-Antrieb auf der Hildegardehütte, eben falls nach dem System Jlgner-AEG., ist für dieselbe Leistung, wie die zwei Resicza-Antriebe, aber in drei Motoren unterteilt. *