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reiche Uraufführung — unter Prof. Horst Förster, damals noch als Gastdirigent, mit Dieter Zechlin als Solisten - im Januar 1962 durch die Dresdner Philharmonie erlebte. Das Werk, das inzwischen auch auf Schallplatte erschienen ist, wird heute in einer gegenüber der Urgestalt leicht überarbeiteten Fassung vorgestellt. Aus einer vom Komponisten autorisierten Einführung Harry Goldschmidts seien nachstehende Auszüge zitiert: „Es handelt sich um ein Klavierkonzert mit obligatem, sinfonisch geführtem Orchesterpart. Das wäre an sich nicht neu, man denke nur an das 5. Klavierkonzert von Beethoven oder das 1. von Brahms. Auch daß der erste Satz über die Hälfte des ganzen Werkes für sich allein in Anspruch nimmt, kommt in der Konzertliteratur oft genug vor. Dennoch sind die üblichen Proportionen aufgegeben. Das traditionelle drei- sätzige Schema „rasch — langsam — rasch“ wird nicht befolgt. In den ausgedehnten ersten Satz selbst ist etwas von der dreiteiligen Gesamtanlage eingegangen - allerdings mit umgekehrter Reihenfolge (langsam - rasch — langsam). An zweiter Stelle steht ein energischer Scherzo-Satz mit vorangehender Einleitung und zwei Zwischensätzen mit Trio-Charakter. Der dritte Satz, Adagio maestoso, besteht aus einem einzigen großen Rezitativ. Insofern kann er als Einleitung zum letzten Satz aufgefaßt werden, der von allem am meisten „aus dem Rahmen fällt“. Von einem bewegten Finale keine Spur! Statt dessen werden wir von einem sanften Andante tranquillo entlassen. - Diese unge wöhnliche Anlage ist zweifellos konzeptionsbedingt. Zwischen den finsteren Spannungen und Katastrophen des ersten und der zarten ungetrübten Lyrik des letzten Satzes besteht ein unzerreißbarer Zusammenhang. Die Frage nach der Programmatik des Werkes wird uns also förmlich aufgezwungen.“ Wie viele Instrumentalkompositionen E. H. Meyers hat auch die Konzertante Sinfonie eine Verbindung zur dichterischen Lyrik und zwar zu einem Gedicht von Louis Fürnberg: „Jahrhundert der Erstgeborenen“. „Fürnbergs visionäre Verse, entstanden um 1949 nach der Verwüstung durch die Hitlerbarbarei, hat Meyer auch in einer Kantate vertont, die dem Klavierkonzert sogar unmittelbar vorausging. Aber in dem Instrumentalwerk gab er ihnen einen anderen Sinn als in der Kantate; auch hielt er sich nicht mehr an alle Verse; mottohaft griff er einzelne auf, um sie durch eigene Gedanken zu variieren. Es ist vor allem eine Versgruppe, die bei ihm in den Mittelpunkt rückt und zum Leitgedanken des ersten Satzes wird: Ach, und des Blut’s ist noch lang kein Ende und nicht der Klagen, Nicht der Mütter Tränen und der Gemarterten Qual. Damit verbindet sich im dramatischen Allegroteil des ersten Satzes eine weitere Strophe: Wehrt sich der Tod? Wie sollt’ sich der Tod nicht wehren? Schlägt er um sich, der Drache, die tödliche Wunde im Herz? Schien ihm die Erde und ihr Jahrtausende-Schmerz Nicht für die graue Ewigkeit anzugehören? Mit erstaunlicher motivischer Geschlossenheit wird diese tief bewegende Gedankenwelt zu episodenreicher musikalischer Entfaltung gebracht. Auf den schwer lastenden Eingangsteil folgt der vehemente martialische Mittelsatz, der hier anstelle der Durchführung steht. Ein zweites selbständiges Allegrothema erscheint mit seiner Durchführung. Der Satz teil ist mit furioso überschrieben. Der Schmerz bäumt sich auf. Der zweite Allegro-Teil wird als Kampf auf Leben und Tod ausgetragen. Im Höhepunkt (Generalpause!) erscheint jedoch nicht der Sieg, sondern die Wiederkehr des tragischen Leitgedankens, erst in Hörnern, dann in Trompeten und Posaunen, erbarmungsloser als jemals zuvor. Der verhaltene Eingangsteil wird zum erschütternden Epilog umgestaltet. Das Haupthema, der Leitgedanke, wiederum vom Solisten vorgetragen, verhallt als ungelöste Frage. Erst der zweite Satz, Allegro energico, verheißt mit Gewißheit die Lösung. Ihm liegt eine weitere Strophe von Fürnbergs Gedicht zugrunde: Aber der Tod hat längst seinen Sinn verloren, Und das Leben ist jung und singt und beginnt, Und die Lebenden sind zum Leben geboren, Und sie wissen, daß sie der Anfang sind. Gedankenvoll wird die erste Verszeile von den übrigen drei abgehoben: Das hochgemute Quartenthema des Hauptsatzes erscheint zunächst in einer kurzen Einleitung zu vermin derten Quinten heftig entstellt. Erst hierauf fügt es sich zum schwungvollen Thema zusammen. Der Gesang auf das Leben wird durchaus sinfonisch angestimmt. Viermal kehrt dieser zurück, jedesmal anders, in neuer Steigerungsform gestaltet. Erst wird er in der bekannten klassischen Anlage Solo-Tutti vorgetragen. Das zweite Mal kehrt er im Kanon als Ausdruck erhöhten Gemeinschaftserlebnisses wieder. Beim dritten Mal erklingt er zum klassischen Fugato gesteigert, und zuletzt beschließt er den Satz, indem er Solist und Orchester im stürmischen Unisono vereinigt. Dazwischen liegen die verschiedenen Trioteile eingebettet. In diesen lockeren, geschmeidigen und schwärmerischen Trioteilen variiert der Komponist den Dichter als Ton-Dichter. Alles, was ihm Jugend, Glück und I.iebe bedeutet, hat er hier einfließen lassen. Es ist bezeichnend für die auf dem Gedicht fußende zyklische Einheit des Werkes, daß der zweite, dritte und vierte Satz ohne Unterbrechung ineinander übergehen. Nur nach dem tragischen ersten Satz ist ein tieferer Einschnitt zu bemerken. Dadurch entsteht ein unerwartetes Gleichgewicht. Der ausgedehnte erste Satz und die drei kommunizierenden übrigen Sätze halten sich gleichsam als zwei Abteilungen die Waage. An das Allegro energico schließt sich das Adagio maestoso. Hier gilt die Gedichtsstrophe: Alle Tiefen sinken zurück, es steigt der Planet! Siehe, die Erde, um die der Urnebel geht, Schließt sich dröhnend den Schmerzen Und er trägt die Verlorenen in die Geborgenheit. In einem mächtig wogenden Quasi-Rezitativ (Siehe, die Erde . . .) wird das variierte Themenmaterial des vorausgegangenen Satzes zu einem weltumspannenden musikalischen Gleichnis geweitet. Mit dem Eintritt in den lyrischen Schlußsatz (Andante tranquillo) gehen die wogenden Trioien in ein sanftes Wiegen über. Auf ihrem ostinaten Figuren teppich breitet sich eine zarte G-Dur Kantilene aus. Die Verlorenen werden hinüber in die Geborgenheit getragen. Tatsächlich vereinigt sich in der Coda der elegische Haupt gedanke und das revoltierende Durchführungsthema aus dem ersten Satz, um mit liebe voller Geste in zartester Lyrik aufzugehen. Wo das Leben siegt, da erst blüht die wahre Liebe auf.“ Die 1. Sinfonie (D-Dur) Gustav Mahlers, aus den Jahren 1884-1888 stammend, wurde am 20. November 1889 in Budapest uraufgeführt. Der Komponist hatte der Sinfonie, zu der er durch Jean Pauls Roman „Der Titan“ angeregt worden war, für die zwei nach folgenden Aufführungen in Hamburg und Weimar ausführliche programmatische Erläu terungen beigegeben, die er jedoch später nicht mehr vertrat, da er sie (nach einem Brief vom März 1896) einerseits für nicht erschöpfend hielt und andererseits fürchtete, das Publikum dadurch auf falsche Wege zu leiten. Bei der Uraufführung trug das Werk noch die Bezeichnung „Sinfonische Dichtung in zwei Teilen“. „Die Sinfonie hat die typische einmalige Gewalt des genialen Jugendwerkes im Überschwang des Gefühls, im unbedingten und unbewußten Mut zur Neuheit des Aus drucks, im Reichtum der Erfindung; es blüht in ihr von musikalischen Einfällen, und es pulst in ihr das heiße Blut der Leidenschaft - sie ist Musik und sie ist erlebt“, so charak terisierte der Mahler persönlich eng verbundene große Dirigent Bruno Walter dessen erste sinfonische Komposition. In sehr vielen Zügen ist dieses Erstlingswerk aber auch bereits typisch für den späteren Stil des Komponisten. Wir finden hier die freie Erwei terung und Überspielung der Sonatensatzform im Sinne der sinfonischen Dichtung, die starke innere Verbindung einzelner Sätze miteinander in Stimmung und Thematik; wir finden schon den engen Zusammenhang zwischen Mahlers Sinfonik und seinem Lied schaffen, die bewußte, von romantischer Sehnsucht getragene Hinwendung zur Natur, zum Volkstum, seine im höchsten Maße ethische Auffassung der Musik als seelisches und weltanschauliches Bekenntnis. Wir finden jedoch ebenso bereits die tiefe Zwiespältigkeit