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Ludwig van Beethoven (1770-1827) Sinfonie Nr. 5 c-Moll, op. 67 Man spricht von der „Fünften“. Jeder weiß, daß damit die 5. Sinfonie Ludwig van Beethovens gemeint ist, sein opus 67 aus den Jahren 1807/08. Damit wird ausgesagt, daß dieses Werk in den geistigen Besitz aller Musikgebildeten, ja darüber hinaus wohl in das Bildungsgut des Abendlandes übergegangen ist. Diese c-Moll-Sinfonie, die, nach einem eigenen Ausspruch Beethovens, der auf die vier Einleitungsakte anspielt („So pocht das Schicksal an die Pforte“), auch die Schicksalssinfonie genannt wird, enthält allerdings auch einen Satz, den ersten nämlich, der wohl zum Geschlossensten gehört, was die Tonkunst bis her hervorgebracht hat. Diese Größe und Einheitlichkeit dieses erstaunlichen Satzes ist auf die enge Angleichung des thematischen Materials zurückzuführen, bei der sich von vornherein das zweite Thema den immerfort klopfenden Achteln des Schicksalsthemas unterwirft. Goethe hat ausgerufen, als ihm der junge Mendelssohn diesen Satz vorspielte: „Das ist sehr groß, ganz toll, man möchte fürchten, das Haus fiele ein; und wenn das nun alle die Menschen zu sammen spielen!“ Im Andante con moto variiert Beethoven mehrere Themen. Das erste ist das entscheidende Thema, die Bratschen und Celli tragen es vor. Manchmal hat dieser Satz eine Trauermarschstimmung, und bisweilen klopft in ihm drohend das Schicksalsmotiv des Beginns. Beethoven, der sich nicht gern in ausgefahrenen Geleisen bewegte, sondern der seit je eigene Wege ging, brachte in dieser Sinfonie eine Neuerung: Die Ver bindung von Scherzo und Finale durch eine Überleitung, also die Zusammen fassung des dritten und vierten Satzes. Auch das Scherzo bringt, rhythmisch dem Dreivierteltakt angepaßt, das pochende Schicksalsmotiv. Sein Hauptthema jedoch, der gebrochene c-Moll-Akkord, klingt stark an das Finale-Thema der g-Moll-Sinfonie von Mozart an. Die Überleitung zum Finale halten manche für eine der genialsten Eingebungen Beethovens. Busoni meinte, diese Stelle sei eine der wenigen, die wahre Musik zeigt, eine Musik, die nicht in Formen, Formeln und Schematas eingezwängt und erstarrt sei. Das Finale erfreut immer wieder durch seinen jubelnden Optimismus. Die vier Themen, die das gedank liche Gerüst dieses Satzes bilden, der in klarem C-Dur geschrieben ist, sind diesem freudigen Charakter angepaßt. Jhr Bau ist so einfach, so schlicht, daß jeder Mensch sie begreift, sie versteht, von ihnen sofort angesprochen wird. Von hier aus erklärt sich die weltumspannende Wirkung dieser Sinfonie, die die tiefsten Gedanken ausspricht und dennoch die breiteste, ja fast populärste Wirkung hervorruft. Johannes Paul Thilman 111 9 13 410 I 352 58