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Beethoven führte seine I. Sinfonie im Jahre 1800 in einem eigenen Konzert seinen Mitmenschen, dem Wiener Konzertpublikum, vor. Die Kritik (wir nehmen zu ihren Gunsten an, daß Irren menschlich sei) schrieb damals: „Die Sinfonie ist ein bis zu Karikatur hinaufgetriebener Haydn.“ Sie spricht weiter von den „ziemlich konfusen Explosionen dreisten Ueber- mutes eines jungen Mannes von Talent“. Heute erscheint uns das „Hinauf getriebene“ und das „Explosive“ als das eigentlich Beethovensche; es ist das, was uns heute an diesem Werke besonders interessiert. Jedenfalls ging das Werk im Jahre 1800 weit über das Gewohnte hinaus — man sollte aus dieser geschichtlichen Tatsache lernen, Kunstwerken gegenüber nicht zu engherzig zu sein. In diesem Opus 21 in Beethovens Schaffen steckt für uns noch nicht ganz der eigentliche Beethoven, der in seiner III. Sinfonie erst die Töne findet, die seine nur ihm eigene Sprache ausmachen. Die Einleitung zum ersten Satz stieß damals auf heftigsten Widerspruch, weil das Werk nicht in C-Dur, sondern mit dem Septimenakkord der Unterdominattonart, also mit einer Dissonanz, begann. Dafür ist aber das eigentliche 1. Thema klar in seiner C-Dur-Besessenheit. Das 2. Thema wird zerlegt in gleiche Motive, die abwechselnd Oboe und Flöte aufgreifen. In der Durchführung der geistvollen Verarbeitung der beiden Themen, die das klassische Ideal vom Komponisten fordert, beweist der noch junge Beethoven schon eine erstaunliche Meisterschaft der Orchesterbehandlung. Der zweite Satz hält an der einmal angeschlagenen schlichten, aber poetischen und anmutigen Stimmung bis zu seinem Ende fest. Im Menuett, das an dritter Stelle der Satzfolge steht, wendet sich Beethoven entschieden von der bis damals üblichen Art, ein Menuett zu komponieren, ab. Für ihn ist dieses Musik stück kein graziös-höfischer Tanz mehr, ebenso auch kein volkstümlich derbes Tanzstück — Beethoven findet hier einen neuen drängenden und auf Ueberraschungen bedachten Ton, der damals anstößig und aufreizend wirkte. In dieses Menuett hat er ein der Idylle verhaftetes Trio eingebaut, an das sich das impulsive Menuett wiederholend anschließt. Eine tolle, lustige, ausgelassene Lebensfreude sprudelt im Schlußsatz, dem Finale. Hier hört jeder die Anklänge an seinen großen Vorgänger, Zeitgenossen und Lehrmeister Haydn. Die Musik dieses Satzes hat etwas ausgesprochen Helles, Durchsonntes an sich, etwas also, was wir bei Beethoven selten wie derfinden. Seinen Reichtum an Witz (das Wort kommt von „Wissen“) be weist Beethoven an einer Fülle von satztechnischen Kombinationen, die uns zeigen, daß er schon ein meisterliches Handwerk besitzt. Den klassischen Meistern ging es sehr um das Handwerk, das ihnen die Grundlage für ihre großartigen Schöpfungen bot. Das sollte man von ihnen lernen — und das kann man schon an Beethovens I. Sinfonie in C-Dur, Opus 21, genau sehen und erkennen. (11) MDV Bi. IV-2-23 681654/51—750—3007