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Zu Besuch bei unseren polnischen und tschechischen Nachbarn Die allgemeinen musikalischen Kenntnisse von unseren Nachbarn, der polnischen und tschechischen Volksrepublik, sind beschämend einseitig. Fragt man nach polnischer Musik, wird als einziger Name Chopin genannt, und die Frage nach tschechischen Komponisten wird mit der Nennung Dvoraks und Smetanas beantwortet. Diese drei Meister vertreten das 19. Jahrhundert, doch damit wird auch nicht annähernd die musikalische Geschichte beider Völker umspannt. Bis zu den Anfängen der Musik zurück läßt sich die Musikgeschichte Polens verfolgen: Beispiele vom Beginn der Polyphonie über die Instrumentalmusik des 17. Jahrhunderts bis in die Gegenwart lassen sich in den Werken eines Nikolaus von Radom, Joseph Xaver Elsner (Chopins Lehrer), Anton Rud- zuwill und Szymanowsky nachweisen. Der Einfluß heimatlicher Lieder und Tänze (Polonäse und Masurka) wurde bestimmend für die gesamte polnische Musik seit 1700. Moniuszko schuf mit seiner ,,IIalka“ — ähnlich dem „Freischütz“ in Deutschland — die polnische Nationaloper. Durch Chopin errang die polnische Musik Welt geltung. Von den zeitgenössischen Komponisten seien Michael Spisak, Jan Krenz und Gracina Bacewicz genannt. Lange dauerte es, bis sich aus der tschechischen Volksmusik eine selbständige Kunstmusik entwickelte. Czernohorski und die Brüder Benda sind uns (im Gegensatz zu den Deutschböhmen Michael Weiße, Andreas Hammer schmidt und Johann Stamitz) nur noch dem Namen nach bekannt. Sie waren die ersten rein tschechischen Komponisten. Allerdings läßt sich erst bei Jan Ladislav Dusik so etwas wie ein nationaler Eigenklang in der Musik spüren. Tatsächlich waren es Dvorak und Smetana, die die tschechische Nationalmusik schufen. Ihnen folgten in dichter Reihe Fibich, Novak, Foerster, Suk und Nedbal, später Janacek, Martinu und Dobias. Nach Frederie Chopin gilt Karol Szymanowsky als der bedeutendste polnische Komponist, dessen Werke heute in aller Welt aufgeführt werden. Er war in Warschau als Dirigent, Professor für Komposition und Direktor des Staatskonservatoriums tätig. Szymanowsky ist ein ausgesprochen sensibler, feinnerviger Komponist, dessen Musik von den nervösen Reizklängen der Spätromantik bestimmt wird, wobei auch des öfteren Einflüsse des Impressionismus und der Atonalität eine wesentliche Rolle spielen. Seine konzertanten Werke zeichnen sich durch ausgeprägte Virtuosität aus. Das gilt auch für das 1923 veröffentlichte Violinkonzert Opus 35, dessen reichbesetztes Orchester bemerkenswert ist: Die Streicher werden vielfach geteilt, ihr Klang wird gleichsam gespalten und zerfasert, die Holz- und Blechbläser sind dreifach besetzt, hinzu treten reiches Schlagwerk, Harfen, Klavier, Celesta, Englischhorn, Baßklarinette und Kontrafagott.