Der Komponist und seine Umwelt Läßt sich ein Komponist durch äußere Vorkommnisse und Begebenheiten zum Schaffen anregen? Oder sitzt er nur sinnierend am Schreibtisch, allein in sein Denken vergraben? Beides ist möglich, und beides wird sich oft miteinander ver flechten. Handwerkliches Können, menschliche Schöpferkraft und die Persönlich keit des Komponisten müssen ergänzend wirken, müssen sich ebenfalls durch dringen. Der eigentliche „Einfall“ kann sowohl durch äußere Anregung entstanden sein als auch durch eine rein gedankliche Vorstellung. In jedem Fall sind die formende Hand und der ordnende Geist des Komponisten notwendig, daß aus dem „Einfall“ ein Kunstwerk entsteht. Die Anregungen, die zum Einfall führen, können höchst unterschiedlich sein: Carl Maria von Weber ließ sich durch das unerträgliche Falschsingen einiger alter Weiber bei einem schläfrigen Nachmittagsgottesdienst in der Pillnitzer Kapelle zu seinem Lachchor im „Freischütz“ anregen, und Igor Strawinsky studierte während einer Autofahrt im Regen die rhythmische Unregelmäßigkeit des Scheibenwischers. Ähnliche Beispiele ließen sich in beliebiger Zahl anführen. Hätte Max Reger ohne die nächtlichen Eisenbahnfahrten durch don Thüringer Wald seine „Romantische Suite“ komponiert? War als Ergänzung die tägliche Arbeit mit dem Meininger Orchester notwendig? Und Mozart: Fast alle seine Werke wurden durch Bestellungen und Aufträge angeregt. Wären dem Salzburger Meister gleichbedeutende Kunstwerke gelungen, wenn er nicht auch als ausübender Pianist Anregungen von der Technik und klanglichen Eigenart dos Instrumentes empfangen hätte? Erinnerungen an Reisen sind in Roussels Musik nicht zu überhören: Indische Tonarten und Anklänge an die Musik des Fernen Ostens. Würde seine Musik so geklungen haben, wenn er nicht die geistige Zucht der „Sehola cantorum“ durch laufen hätte? Noch schwieriger wird das Problem bei Beethoven. Natürlich bildete das Textbuch zu „Fidelio“ die eigentliche Anregung zur Schaffung der Leonoren- Ouvertüren. Und dennoch: Was wäre für eine Musik entstanden, hätte sich der Meister nicht so nachhaltig von den Ideen der Französischen Revolution durch - dringen lassen? Fragen über Fragen überfallen uns, die aufs engste mit dem Komplex „Musik und Gesellschaft“ verquickt sind. Es ist gut, wenn uns diese Fragen bewegen, denn das musikalische Kunstwerk setzt sich nicht allein aus den rein musikalischen Elemen ten zusammen, sondern wird auch durch die Persönlichkeit des Schaffenden be stimmt, den wiederum Zeit und Umwelt formen. Versuchen wir— ausgehend von diesen Gedanken — die Werke des heutigen Abends so zu hören und nachzuorieben. Im Konzertwinter 1911/12 trat Max Reger als Pianist und Dirigent in nicht weniger als 115 Konzerten auf, und auch für das nächste Konzertjahr 1912/13 war das „Reger-Trio“ bereits „ausverkauft“! Um so mehr genoß der Meister die er holsame Ruhe des Meininger Sommers 1912. Nach der Hölderlin-Hymne „An die Hoffnung“ entstand hier in kürzester Zeit die „Romantische Suite“, eine inter essante und persönliche Auseinandersetzung mit der impressionistischen Welt eines Claude Debussy. Man darf Regers Ausspruch: „Opus 125 ist also mein erster Ausflug in die Pro grammusik!“ nicht allzu ernst nehmen. Gewiß, die den Sätzen vorangestellten Verse von Eichendorff lassen an ein Programm denken, doch wurden sie erst nachträglich den drei Stimmungsbildern angefügt. In Wirklichkeit ging es Reger vor allem um die Wiedergabe lyrischer Stimmungen, um die Widerspieglung von Natureindrücken in Tönen. Die thematisch-formale Gestaltung läßt erkennen, daß Reger auch in diesem Werke „nur Musik machen wollte.“ Angeregt wurde er zu diesen musikalischen Bildern auf seinen nächtlichen Eisen bahnfahrten von Leipzig nach Meiningen durch den von Mondlicht durchwobenen