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Schubert schrieb schon mit 17 Jahren seine erste Messe in großer Orchesterbe setzung, die zur Hundertjahrfeier der Lichtenthaler Kirche bestimmt war, dort von Freunden und Bekannten unter seiner Leitung aufgeführt wurde und dem jungen Meister zu einer kleinen Berühmtheit in seiner engeren Heimat verlialf. Dieser Jugendmesse folgten in den nächsten Jahren drei weitere Messen und andere kirch liche Werke, 1822 seine Messe Nr. 5 in As-Dur, in der sich die innere Reifung des Komponisten zeigt. Die Deutsche Messe, im Originaltitel ,,Gesänge zur Feier des heiligen Opfers der Messe“, entstand Ende des Jahres 1826. Der Verfasser der Texte, Joh. Phil. Neu mann, zahlte Schubert für die Komposition 100 Gulden. Das Werk wurde aber für kirchliche Verwendung nicht genehmigt und konnte deshalb erst 1846 durch Schu berts Bruder Ferdinand aufgeführt werden. Auch das ist ein Zeichen dafür, wie die Metternichsche Reaktion sich auf alle Gebiete des Lebens auswirkte, denn das schlichte Werk war im Sinne der aufklärerischen Bestrebungen Josephs II. geschrie ben; die Autoren strebten durch den deutschen Text und einfache liedhafte Kom position nach einer Humanisierung und Popularisierung auch des kirchlichen Lebens. Aber gerade diese Gedanken wurden nach dem Tode des Kaisers allenthalben als gefährlich für den monarchistischen Gedanken unterdrückt Schubert komponierte die acht Gesänge, die den Ablauf der Messehandlung beglei ten sollen, in einfachem akkordischen Satz für vierstimmigen Chor und Bläser, wobei diese durchweg mit den Singstimmen gemeinsam gehen und nur kurze ab schließende Takte selbständig zu spielen haben. In den fast protestantisch schlich ten Melodien erweist sich die Vertrautheit des Meisters mit dem Volkslied seiner Heimat. Messe Nr. 6, in Es-Dur, für Chor, Soli und Orchester I111 Jahre seines Todes, dessen 125. Wiederkehr am 19. November überall beson deren Anlaß zur Ehrung des Meisters gibt, entstand die Es-Dur-Messe. Hier ent faltet sich in der Musik eines zu hoher Meisterschaft gelangten, an den bitteren Er fahrungen der Welt innerlich gereiften Menschen eine gewisse Gläubigkeit, die die traditionellen Texte der katholischen Missa von aller äußeren Zweckbestimmt heit befreit und zur tiefen persönlichen und allgemein menschlichen Aussage erhebt. Mit feierlichen Bläserakkorden beginnt leise das Kyrie. Der Chor wiederholt diese Akkorde und steigert sich bei der Anrufung von Christus, von tremolisierenden Streichern gestützt, zu einem ersten Höhepunkt. Jubelnd, kraftvoll ist das Gloria, die Lobpreisung Gottes, mit strahlendem Bläser klang. Wirkungsvoll konstrastiert dazu die Besinnlichkeit des „Friede auf Erden“. Im ,,Agnus Dei“ wechseln stärkste Akzente mit leise deklamierten Chorstellen, überlagert von einer choralartigen Melodie in den Posaunen. Eine breit ausgeführte Fuge über „Cum sancto spiritu“ beschließt diesen majestätischen Teil. Das Credo beginnt verhalten in breiten vokalen Linien. Im „Incarnatus est“ singt das Cello dem Solotenor die innige Melodie vor. Wie vom heiligen Schauer er griffen, erklingen im Chor zu erschütternden Bläserakkorden die Worte der Kreu zigung. Ein kunstvoll komponiertes, ausgedehntes Amen krönt diesen Satz. Stärkste Klanggegensätze auf engem Raum bewegte Rhythmen und kühne Harmonien machen den Beginn des Sanctus-Satzes zu einem der wirkungsvollsten Teile der Messe. Das „Osanna (( wird zu einer kunstvollen Fuge gestaltet. Mit schönen fließenden Melodien in romantischen weichen Harmonien singen die Solostimmen das „Bene- dictus“. Dunkel in den Farben folgt das „Agnus Dei“, das leise verklingend zum „Dona nobis pacem“ hinüberleitet, einer demütigen, aber mit innerer Kraft aus gesprochenen Bitte um Frieden. Gerhard Schwalbe, Bln-Alt-Glienicke, Köpenickerstr. 36