Volltext Seite (XML)
scheinbar immer mehr ermattenden und fast verlöschenden Klavier und der stän dig leise das punktierte Motiv wiederholenden Pauke schließt das Konzert nach einem plötzlichen Aufschwung des Soloinstrumentes endlich doch wieder in jubelndem Tutti. Johannes Brahms war bereits 43 Jahre alt, als er 1876 seine 1. Sin fonie c-Moll op. 68 vollendete. Schon neun Jahre später schuf er seine vierte und letzte Sinfonie. Sein sinfonisches Schaffen umspannt also zeitlich gerade ein Jahrzehnt. Aber welch eine Fülle herrlichster Musik, welch eine einzigartige Weite und Wärme musikalischen Ausdrucks verbirgt sich hinter dieser nüchternen Feststellung. Brahms fiel die Auseinandersetzung mit der großen zyklischen Form des 19. Jahrhunderts nicht leicht (allein sein schmerz volles Ringen um die 1. Sinfonie bestätigt dies: lag der erste Satz bereits 1862 vor, so konnte doch das gesamte Werk erst vierzehn Jahre später vollendet wer den). Mit seiner „Ersten" lieferte der Komponist ein hervorragendes Beispiel schöpferischer Aneignung der sinfonischen Tradition eines Beethoven (dessen „Fünfte" sie an Tiefe des Ausdrucks und Größe der Problemstellung verwandt ist), Schubert und Schumann. Von dem berühmten Dirigenten Hans von Bülow stammt das bekannte Bonmot, das Brahmsens „Erste" Beethovens „Zehnte" genannt werden könne. Damit ist die musikgeschichtliche Stellung dieser Sin fonie als bedeutendster Beitrag des 19. Jahrhunderts seit Beethoven klar umris sen. Und nichts anderes stellte auch der gefürchtete Wiener Kritiker Eduard Hanslick fest, als er nach der ersten Wiener Aufführung schrieb: „Mit den Wor ten, daß kein Komponist dem Stil des späteren Beethoven so nahegekommen sei wie Brahms in dem Finale der 1. Sinfonie, glaube ich keine paradoxe Behaup tung, sondern eine einfache Tatsache zu bezeichnen." Die am 4. November 1876 in Karlsruhe unter Max Desoff uraufgeführte Sinfonie beginnt mit einer langsamen Einleitung (Un poco sostenuto) von 37 Takten, die den thematischen Kern in sich trägt, aus dem der erste Satz hervorwächst: ein chromatisch eindrucksvolles Motiv, zu dem in den Bässen ein unerbittlich häm mernder Orgelpunkt ertönt. Quälende Unruhe, Gefahr, schmerzliches Leid drückt die Einleitung aus. Das anschließende Allegro begehrt trotzig gegen diese Stimmung auf. Aber das chromatische Motiv, dem auch das zweite Thema (in der Oboe) unterliegt, löst ein leidenschaftliches Ringen aus, das in der Durch führung seine Höhepunkte erfährt. Mit dem Kopfmotiv der Einleitung kündigt sich die Coda ein. Die verzweifelte Spannung löst sich trostvoll in C-Dur. Eine zwingende einheitliche thematische Gestaltung besitzt der zweite Satz (Andante sostenuto) mit seinem trotzvoll innigen Hauptthema, das die Violinen, von den Fagotten unterstützt, anstimmen. Mehr elegischen, klagenden Charakter hat das Nebenthema cis-Moll der Holzbläser. Im Mittelpunkt wechseln sich Oboe, Klarinette, Celli und Kontrabässe konzertant in der Führung ab. In der Reprise greift die Solovioline den zweiten Teil des Hauptthemas auf. Die verhaltene Heiterkeit des dritten Satzes (Un poco Allegretto e grazioso) läßt Hoffnung schöpfen, daß die düsteren Kräfte und Gedanken überwunden werden können. Holzbläser führen die Motive dieses Satzes ein (die Klarinetten das wiegende, herzliche Hauptthema). Humorvoll musizieren Bläser und Strei cher im H-Dur-Trio gegeneinander. Mit Recht hat man das Finale dieser Sinfonie als den gewaltigsten Sinfoniesatz seit Beethoven bezeichnet. Drei tempomäßig unterschiedliche Teile geben die äußere Gliederung. Der Satz beginnt mit einer Adagio-Einleitung, die der des ersten Satzes ähnlich ist. Zunächst erklingt ein chromatisch-schmerzliches Motiv, das in eine drohende, unheilvolle Stimmung hinübergeführt wird (synkopische Pizzicato-Steigerungen, verzweifelte Bläserrufe, erregte Streicherfiguren). Da ertönt plötzlich — nach einem Paukenwirbel - ein seelen- und friedvolles Horn- thema (Piü Andante), das an Webers „Freischütz"-Ouvertüre und Schuberts große C-Dur-Sinfonie erinnert. Danach beginnt der dritte Teil des Finales (Allegro non troppo, ma con brio) mit seinem weitläufigen, jubelnden Marsch thema in vollem Streicherklang, das teilweise an den Freudenhymnus von Beet hovens 9. Sinfonie gemahnt. Nun erfolgt der Durchbruch zu optimistischer Haltung; die dunklen Kräfte werden bezwungen. Neben dem innigen zweiten G-Dur-Thema und dem aktiv drängenden dritten Thema kehren auch die ande ren thematischen Gestaltungen des Satzes wieder und beteiligen sich an der stürmischen Durchführung. Den hymnischen Ausklang dieser einzigartigen Sin fonie bringt das Piü Allegro. Dr. habil. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNGEN: Sonntag, den 3. Oktober 1971, 20.00 Uhr, Saal des Landhauses 2. LANDHAUS-KONZERT Werke von Thilman, Beethoven und Mozart Anrecht D und freier Kartenverkauf Freitag, den 19., und Sonnabend, den 20. November 1971, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast 3. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solistin: Yaeko Yamane, Japan, Klavier Werke von Schubert, Weber, Makino und Tschaikowski Freier Kartenverkauf Sonnabend, den 25., und Sonntag, den 26. Dezember 1971, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast 4. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur Solist: Peter Rösel, Dresden, Klavier Werke von Schumann, Chopin und Strauss Freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1971/72 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: veb polydruck Werk 3 Pirna — 111-25-12 3,2 ItG 009-91-71 »hihamnoni 2. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1971/72