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Joseph Suk: Sinfonie c-Moll, „Asrael“, op. 27 In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde eine Reihe bedeutender tsche chischer Komponisten geboren: V. Noväk, O. Nedbal, J. Suk, O. Ostrdil und R. Karel. Bereits um die Jahrhundertwende galten Suk und Noväk als Führer der modernen tschechischen Schule. Schon Suks frühe Kompositionen, die zum Teil aus seiner Studienzeit am Prager Konser vatorium (1885—1892) stammen, lassen seine Eigenart deutlich erkennen. Die Wiener Klassik, Schubert, Brahms und in erster Linie sein Lehrer Dvofäk sind Vorbilder des jungen Komponisten. Der tschechische Musikschriftsteller D. Orel schreibt über Suks Komposi tionsstil: „Suk will im Anschluß an Beethoven, Brahms und Dvofäk zeigen, daß er ein geborener Polyphoniker ist (sein Jugendwerk ,Serenade für Streichorchester 4 ). Aus dieser Polyphonie entstehen überraschende harmonische Folgen, weich und verträumt klingend. Durch diese erträumte Welt von weicher, süßer Schönheit unterscheidet sich der Meister von der Realität Dvofäkscher Farben, voll von sprudelndem Leben.“ Suk ist zarter, intimer und melancholischer als Dvofäk. Sein Rhythmus ist nicht so elementar und national gebunden, dafür aber reicher. Sein Schaffen wurde auch durch die Volksmusik seiner Heimat und durch den musikalischen Impressionismus beeinflußt. Suk war nicht nur Komponist, sondern auch ein hervorragender Geiger und geschätzter Pädagoge. Er gehörte dem weltberühmten „Böhmischen Streich-Quartett“, das er im Jahre 1892 mitbegründete, etwa vierzig Jahre lang als zweiter Geiger an. Seit 1922 unterrichtete er in der Meisterklasse des Prager Konservatoriums Komposition und wurde acht Jahre später Direktor dieses Instituts. Noch an seinem Todestag (29. Mai 1935) nahm er hier Prüfungen ab. Unter Suks frühen Kompositionen befinden sich neben der schon genannten „Serenade für Streichorchester“ zahlreiche kammermusikalische Werke und auch seine Erste Sinfonie, der er später eine zweite hinzufügte. Entscheidende Ereignisse in Suks Leben und Schaffen fallen in die Zeit, die zwischen der Vollendung seiner Ersten und Zweiten Sinfonie liegt. Im Jahre 1898 heiratete der Komponist Dvofäks Tochter Ottilie. Zeigten schon die „Serenade“ und frühe Klavierwerke Suk als feinsinnigen Lyriker, so verstärkte sich dieser Zug in der Zeit vor und nach seiner Heirat immer mehr. Neben zwei Bühnenmusiken zu Werken des tschechischen Dramatikers Zeyer („Raduz und Mahulena“ und „Unter dem Apfelbaum“) entstanden die Fantasie für Violine und Orchester (op. 24), das „Fantastische Scherzo“ (op. 25) und die sinfonische Dichtung „Prag“ (op. 26). Die ersten Skizzen zur Zweiten Sinfonie stammen aus dem Jahre 1904. Suks Arbeit an diesem Werk wurde durch den Tod seiner Frau (1905) jäh unterbrochen. Ein Jahr darauf starb sein Schwiegervater, Anton Dvofäk. Suk erlitt einen Nervenzusammenbruch und konnte erst nach seiner Genesung die Arbeit an der Zweiten Sinfonie fortsetzen. Er nannte sie „Asrael“ und widmete sie den beiden geliebten Menschen, die er innerhalb so kurzer Zeit verloren hatte. Seit der Jahrhundertwende waren Suks Kompositionen immer mehr zu autobiographischen Bekenntnissen geworden. Die Sinfonie „Asrael“ gehört zu den persönlichsten Werken des Komponisten und ist ein typisches Beispiel für den nachromantischen Subjektivismus, zu dessen Vertretern auch Oströil gehört. Trauer und Verzweiflung sprechen aus dieser Sinfonie, die die Macht des Todes besingt und erschütternde Seelenkonflikte des Kompo nisten widerspiegelt. Der gewaltige Klangapparat, den Suk hier aufbietet, steht mit dieser Idee in engem Zusammenhang. Das Hauptthema des ersten Satzes kehrt wie ein Leitgedanke der Trauer in allen fünf Sätzen des Werkes wieder: Auch durch andere Themen und Motive sind die einzelnen Sätze verknüpft. In satztech nischer Hinsicht steht die polyphone Stimmführung absolut im Vordergrund. Die originellen harmonischen Zusammenklänge resultieren fast immer aus einer fein verästelten Polyphonie, die sich stellenweise bis zum Fugato verdichtet. Der Rhythmus zeichnet sich durch große Vielfalt und Differenziertheit aus. In der Breite der Melodik macht sich häufig das Fehlen einer periodischen Gliederung bemerkbar. Die Zweite Sinfonie wurde Ausgangspunkt einer fruchtbaren Periode in Suks Schaffen. Es entstanden die sinfonische Dichtung „Ein Sommermärchen“, die Klavierstücke „Erlebtes und Erträumtes“ und das Streichquartett op. 31. Vor allem die beiden letzten Werke geben einen Einblick in die schweren seelischen Nöte, die der Komponist in jenen Jahren durch machte. Den Sieg über alle Schatten brachte erst die sinfonische Dichtung „Zrani“ („Lebens reife“), die Suk im Jahre 1917 vollendete. Allen sinfonischen Werken Suks ist eines gemeinsam: sie sind sehr subjektiv, werden aber durch die Gestaltung allgemein menschlicher Gefühle und Empfindungen ins Allgemein gültige erhoben. Ludwig van Beethoven: 6. Sinfonie F-Dur, „Pastorale“, op. 68 Wie Beethoven zwei Jahre nach Vollendung seiner gewaltigen Dritten Sinfonie, der „Eroica“, eine in ihrer Grundstimmung heitere Vierte Sinfonie schuf, so ließ er auf die kämpferische „Fünfte“, die „Schicksalssinfonie“, die „Sinfonie pastorale“ („Ländliche 44 oder, genauer, „Hirtensinfonie 44 ) folgen. Spätestens im Februar des Jahres 1808 vollendete Beethoven seine Fünfte Sinfonie, und schon vier Monate später war auch die Komposition der „Sechsten 44 abgeschlossen. Beide Werke wurden noch im gleichen Jahre, am 22. Dezember, zum ersten Male aufgeführt. Beethoven selbst gab seiner Sechsten Sinfonie den Titel „Sinfonie pastorale 44 und stellte den einzelnen Sätzen bestimmte programmatische Überschriften voran. Die Idee, die Phantasie des Hörers durch solche Überschriften in ganz bestimmte Bahnen zu lenken, ist nicht neu. Instrumentalstücke mit eigens bezeichneten programmatischen Vorwürfen sind schon aus dem 16., 17. und 18.Jahrhundert in der Klavier- und Violinmusik, um 1700 auch im Instrumentalkonzert (Vivaldi) bekannt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts drangen programmatische Ideen in die noch junge sinfonische Literatur ein. Natur und Jagd waren bevorzugte Themen. „Jagdsinfonien 44 schrieben zum Beispiel Stamitz, Haydn, L. Mozart und Gossec, „Natur-“ oder „Pastoralsinfonien“ sind von Cannabich, Knecht und anderen Komponisten überliefert. Man hielt sich in diesen Werken meist sehr genau an das Thema und gab eine eingehende und detaillierte Schilderung der Vorgänge. Von solchem „Naturalismus 44 ist Beethovens Sechste Sinfonie jedoch weit entfernt. Wenn der Komponist am Ende des zweiten Satzes („Szene am Bach“) in Flöte, Oboe und Klarinette die Stimmen von Nachtigall, Wachtel und Kuckuck nachahmt, so nennt er das einen „Scherz 44 . Und er erlaubt sich im dritten Satz („Lustiges Zusammensein der Landleute“) einen weiteren Spaß und parodiert humorvoll das Spiel armer, schlaftrunkener Dorfmusikan ten, wie er sie wohl so manches Mal beobachten konnte: die Oboe verpaßt den Einsatz und hinkt mit ihrer Melodie hinterher. Noch später besinnt sich der Fagottist und bläst dann in großen Abständen seine Baß töne. z< 9- rJ-J iPj JJ J j-7-j X- 1 1 1 «rese. Beethoven hat über die Programmatik seiner „Sinfonie pastorale 44 folgende Erklärung abgegeben: „Jede Malerei, nachdem sie in der Instrumentalmusik zu weit getrieben, ver liert . . . Wer auch nur je eine Idee vom Landleben erhalten, kann sich ohne viele Über schriften selbst denken, was der Autor will. Auch ohne Beschreibung wird man das Ganze, welches mehr Empfinden als Tongemälde, erkennen. 44 Beethoven wendet sich also nicht gegen Tonmalerei als solche — er schildert ja das Murmeln des Baches, den Vogelgesang, Gewitter und Sturm —, sondern nur gegen ihre Übertreibung. Daher steht auch die „Idee