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Zschopauer Tageblatt und Anzeiger : 02.07.1938
- Erscheinungsdatum
- 1938-07-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1780077211-193807028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1780077211-19380702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1780077211-19380702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Zschopauer Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1938
-
Monat
1938-07
- Tag 1938-07-02
-
Monat
1938-07
-
Jahr
1938
- Titel
- Zschopauer Tageblatt und Anzeiger : 02.07.1938
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l. s r r !- l- h !' r r M It n ? )t rr r« ! r e e Nr. 1LL Jschopauer Tagedkatt und Auzetger Tonnaveud, »e« L. ^k«n t»»» S«M §ieventers^ag c ^« sein Pflegen, stehen all diesen Bergen — uu^ Vars, oder soll, oder einfach muß. Zudem kommt noch die erstaunlich« Merkwürdigkeit, daß Großväter, selbst wenn sie ihr ganzes Leben lang nicht soviel verdient haben, wie ihr Sohn oder Schwiegersohn, immer und in allen Millen bedeutend mehr Geld haben, als die Eltern ihres Enkels. Meistens bieten sie dem jungen Vater ungefragt einen Pump an, und immer sind sie es, die eine Unmenge von guten Sachen in die Wohnung des Kindes ergießen, nicht nur vieles Neue, sondern vor allem unglaubliche Mengen von altem Leinen, um Windeln daraus zu machen. In jener völlige« Verwirrung, in der junge Väter zu sein Pflegen, stehen sie lächelnd und kopfschüttelnd vor all diese« Bergen — un^ Das Grabmal aas Zucker Wunderliche Leckerbissen ans alter Zeit Die wandernde Ohrfeige. Ludwig XV. von Frankreich aalt als ein Freund heiterer Gesellschaften und war dann auch freimütigen Aeußerungen nicht abgeneigt, sofern sie nur einigen Geist verrieten. Wäh rend eines Abendessens geriet er mit dem Herzog von Richelieu hart zusammen. In seinem Jähzorn ließ er sich hinrcißen, dem neben ihm sitzenden Herzog eine Ohrfeige zu verabfolgen. Die Tischgesellschaft erstarrte vor Schreck. Ein furchtbarer Skandal schien unvermeidlich. Toch Richelieu hatte sich in der Gewalt. Er gab den Backenstrcich an seinen Nachbarn mit den Worten weiter: „Hier haben Sie rin Geschenk, das ich auf Befehl des Königs reibum gehen lasten soll!" Tatsächlich ging die Ohrfeige achtjehMal von einem Höfling zum anderen. Ludwig lachte, daß ihm die Tränen kamen. Die größte Preissteigerung. Eine französische Zeitung klagt, daß alle die unaufhör lichen Preissteigerungen ihres Landes doch jäh verblasten müßten vor einer einzigen, vor der des Faustschlages nämlich. Im Jahre 1811 habe alle Welt gestaunt, daß der englische Meisterboxer Tom Crig dank seinem Sieg über den Mulatten Moulineaüx eine Börse von zehntausend Franken erzielen konnte. Aber genau ein Jahrhundert später erntete Jack Johnson in Reno 425 000 Franken? Stribling strich 1930 in Wimbledon mehr als das Doppelte ein. Und jüngst sielen Joe Louis für sechs Minuten Fanstkampf 1600 OM Franken in den Schoß. Ist Marianne nicht wirklich zu bedauern? Die verdächtige Dichtkunst. Dem schlesischen Dichter Joseph Christian von Zedlitz, einem Mitschüler Eichcndorffs, wurde, als er sich um eine staatliche I Anstellung bemühte, von amtlicher Seite vorgehaltcn, er dichte zu viel, das vertrage sich nicht mit den Dienstobliegenheiten eines ordentlichen Beamten. Immerhin erhielt er ein Amt in der Wiener Staatskonferenz-Kanzlei, und zwar soll Kaiser Ferdi nand I. sich für den Dichtersmann verwendet haben. Als sich Zedlitz für diese Förderung beim Kaiser bedankte, erwiderte der leutselig: „Schauen's nur, daß Sie was schaffen, und lernen s i Ihr Geschäft! I dank's dem Vater noch im Grab, daß er mich's« ! Regieren hat oäentlich lernen laste« und nicht's Dichten." keinen Augenblick denken sie daran, daß sie soeben im Begriff sind, sich der letzten Spur von Autorität zu begeben, die sie möglicherweise als Keim besessen haben. Wenn es notwendig als Naturgesetz betrachtet werden muß,' daß ein Kind dem- jenigen gehört, der seine Kleidchen, Hemdchen und Pudertücher bezahlt, das Bcttchen und den Wagen gekauft hat und einen anscheinend auf einem Abonnement beruhenden Strom von Spielsachen entfesselt, so gehört ein Kind in den meisten Fällen völlig seinen Großeltern. Die Eltern spielen die unter geordnete Rolle derzenigen, die mit dem Waschen der Windeln und dem Erdulden des nächtlichen Geschreis probeweise be auftragt sind. Und auch dabei scheint es festzustehen, daß sie von dem wenigen, was ihnen zu tun überlassen ist, mehr als zwei Drittel gänzlich falsch machen. Ganz klar, daß sich im Laufe der Zeit alles dies zunächst nur noch verschlimmert. Vor dem Besuch der Eltern wird formal zwar auch das Kind zum Wohlverhalten ermahnt, mit Betonung aber der Vater. Er muß seiner Frau versprechen, das Kind nie in Gegenwart des Großvaters für irgendetwas zu bestrafen. Die Folgen kennt jeder. Sie bestehen darin, daß ein Kind alle Register zieht, um alle Welt zu strapazieren, daß es sofort weiß, daß jedermann alles, was es tut, entzückend fin den wird und alles immer gut geht, wenn man es irgendwie im Schatten des Großvaters erledigt. Die Strafe, wenn es eine Strafe gibt, könnte lediglich darin bestehen, daß seine Eltern über falsche und richtige Erziehung belehrt werden, abends, wenn das Kind schläft. Ein Großvater, kurz gesagt, hat und genießt alles, was an einem Kind schön ist. Alles andere überläßt er dem Vater. Nicht, wenn man einfach Vater ist, sondern wenn man Groß vater ist, besteht das Kinderhaben aus einem kristallreinen Ver gnügen. Man läßt dann das Kind waschen, abfüttern und sauber anziehcn — dann geht man stolz mit ihm spazieren. Naht die unleidliche Stunde des Greinens aus Müdigkeit oder mangelnder Zerstreuung, so ruft man die Mutter und stellt fest, daß das Kind zu unregelmäßig schlafe. Man schöpft in allem nur den Nahm ab, man hat die besten, hübschesten und artigsten Enkel der Welt. Die Frage ist nur, ob dieser dumme Bengel, der Hans, einem das Mädelchen nicht verderben wird. So weit muß man es bringen. Fisch als Nchrücken und Wildpret aüS — Eiern Herstellen könne. „Adlerkarbonaden gefällig?" Was man damals unter Wildpret verstand, deckt sich mit unseren Geschmacksbegriffen allerdings nicht ganz, denn man schätzte das Fleisch vom Luchs nicht weniger als eine Pasten sülle aus Igel« oder Eichhörnchenfleisch und stellte Leber«, Blut- und Bratwürste auch aus Gemsen- oder Bärenfleisch her, wie denn überhaupt aus jeder Art von Wildpret Würste gemacht wurden. Dazu kamen noch die vielen Vögel als Fleischlieferan ten. Der stolze Sldler wurde „eingemacht" oder mußte zu „Kar- wenaden" (Karbonaden) herhalten, und nicht anders ging es dem Kranich, Reiher und Kormoran, dem Pfau, Schwan oder Storch. Daß das Fleisch dieser Tiere gut schmeckte, ist freilich nicht anzunehmen. Aber der Koch mußte eben bei besonderen Gelegenheiten auch etwas Besonderes auf die Tafel bringen, ob es nun mundete oder nicht. Denn auch die berühmte „Ollapo- trida", für die Meister Numpolt, ein deutscher Kochkünstler des sechzehnten Jahrhunderts, neunzig Zutaten, darunter allein dreißig verschiedene Tierarten, vorschrieb, dürste keinen großen Genuß geboten haben. Ebensowenig wie die „geschachtelten Braten", zu denen man einen kleinen Vogel nahm, den man in einen größeren steckte, diesen dann wieder m einen größeren und so fort, bis nach zehn oder fünfzehn Umhüllungen das Ganze weichgekocht wurde. Was allerdings ziemlich lange dauerte, denn in der Regel mußte dieses seltsame Gericht rund vierund zwanzig Stunden hindurch kochen. Der Eintopf des Herrn von Scharnhorst. In grellem, jedoch wohltuendem Gegensatz hierzu mag noch einiger Gerichte gedacht werden, die kein andrer als Gerhard von Scharnhorst, Preußens verdienstvoller Heerführer, den „nationalen Frauenzimmern" im Jahre 1808 als „Eintopf gerichte" empfahl und deren Zubereitungsart er sogar selbst an- wieS. Es waren: Erbsensuppe mit Speck und Kartoffeln, ein Gericht aus gewürfeltem Rindfleisch mit gelben Rüben, Kar toffeln und Zwiebeln zusammengeschmort; ferner Weißkohl mit Fleischklößchen sowie Graupen mit Kohlraben, gelben Rüben, grünen Bohnen und Milch gekocht. „Wozu der Töpfe viele, wenn einer genug ist?" schreibt er dazu. Und er halte recht. Denn seine Eintopfgerichte waren bestimmt schmackhafter als die Gcmsen- leberwürste von einst oder die Pasteten mit lebendem Inhalt. Großvater muß man werden. Eine Plauderei von Hans Wörner. Es ist ganz natürlich, daß die Menschen ihre Wünsche weit vor sich hin stecken und immer weiter stecken, jedesmal, wenn ein Ziel erreicht ist. Als junger Mann beneidet man ver heiratete Männer, die von ihren jungen Frauen nach Arbeits schluß abgeholt werden und unserem Blia in einer Wolke von Glückseligkeit entschwinden, dorthin, wo eine blitzsaubere Klein wohnung mit neuen Möbeln auf sie wartet. Während die Zeit vorrückt und das Ziel immer weiter ge steckt wird, kommt man eines Tages, während die Kinder auf dem Hof ein Durcheinander von Lachen, Nufen und Spiel- sachenklavpern erschallen lassen, auf den Gedanken, was eigent lich jetzt der neue Zielpunkt sei« könnte. Meistens hat man die Wahl zwischen vielen Dingen. Etwa ein Klavier, ein Auto, Din Gaskühlschrank, eine Lebensversicherungspolice. Oder man läßt solche persönlichen Errungenschaften beiseite und wünscht sich ein zweites, oder ein drittes oder ein viertes Kind. Leider sieht es aber fest, daß nichts von alledem eine völlig neue Etappe ausmacht. Es ist nichts prinzipiell Neues. Prinzipiell neu ist eS erst, wenn ein Mann, der bisher Vater war, jetzt Großvater wird. Daran läßt sich nicht rütteln. Man kann sich eine lange Zeit mit dem einfachen Batersein beschäftigen, und trotz aller Eile der Zeit scheint sie dann stillzustehen. Aber eine einzige Ingebrauchnahme der Logik sagt uns, daß es sich hier nur um eine lange Etappe handelt, eine sehr lange, aber nur eine ein zige. In Wahrheit rückt das Ziel eines Mannes, dem die Oberschwester der Klinik das erste Kind vorführt, schon genau in diesem verwirrenden Augenblick mit einem riesigen Sprung voraus, und es handelt sich jetzt ausschließlich darum, Groß vater zu werden. Es mag verfrüht sein, sich jetzt schon darauf zu freuen, aber es ist kein Zweifel darüber möglich, daß man Grund genug hätte, sich nichts sehnlicher zu wünschen. Es kann unmöglich etwas Schöneres geben. Nicht als Vater, sondern als Großvater ist man in Wahr heit ein gemachter Mann. Man hat dann nicht nur den Be weis dafür angetreten, daß man selbst zündfähiges Leben hat, sondern auch zündfähiges Leben weitergab. Man erreicht den Höhepunkt des Stolzes auf sein Kind. Und da ein Enkel mehr Aussicht hat, seinem Großvater ähnlich zu sehen, als seinem Vater — schon weil die meisten Kinder mit unglaublich alten Hutzelgesichtchen geboren werden — steht man als Großvater höchlich gerechtfertigt da, als der einzige Typ der Familie, den zu kopieren die Natur für nötig befand. Vor allem aber ist der Vater nach der Geburt seines Kindes erfahrungsgemäß die bei weitem überflüssigste, ungeschickteste und verlegenste Per son, die lediglich überall im Wege steht, kaum etwas richtig macht und sich selten getraut, sein Kind überhaupt anzufassen. Der Großvater aber nimmt mit der größten Selbstsicherheit äußerlich und innerlich auf der Stelle Besitz von der neuen Tatsache, an seiner eigenen Situation ist nichts Verlegenheit, sondern alles ist Würde. Er kann sogleich damit beginnen, Rat schläge zu erteilen und ein ehernes Urteil über alle Nähr präparate zu fällen, mit denen er sein Enkelkind gefüttert Wissen will. Und genau so verhält es sich mit allem anderen, mit dem Kinderwagen, dem Bcttchen, dem Malzbier für die unge Mutter und der wichtigen Frage, ob ein Kind schreien Als im Jahre 1508 anläßlich des Todes des Herzogs Albrecht von Bayern ein großer Leichenschmaus statlfand, gab es ein Schauesscn zu bewundern, das alle Gäste ui höchstes Er staunen versetzte. In der Mitte der Tafel stayp das — Grab« mal des Herzogs, so wie es im Dom errichtet worden war, aus Teig, Zucker und anderen eßbaren Dingen bestehend, nachgeahmt. Der Herzog selbst lag da als toter Mann im » arnisch, mit dem Schwert in der Hand, und um ihn herum reihicn sich die zucker- nen Fahnen seines Landes. Der Hofzwerg in der Pastete. Auf welch absonderliche Abwege sich der Ehrgeiz der da« maligen Kochkünstler verirrte, zeigen aber auch andere Beispiele. So etwa der Spaß, den sich ein Koch des Kurfürsten Karl Theo dor von Bayern einmal leistete, als er ein Zuckerschloß auf den Tisch brachte, aus dem Raketen stiegen und kleine Kanonen ab- gcfeuert wurden. Oder die Pasteten, in die im letzten Augen blick vor dem Aufträgen allerlei lebendes Gelier» hineingesetzt wurde, kleine Hütidchcn oder als besonderer Witz Vögel, die dann beim Oeffnen der Pastete schleunigst davon flogen, was den Gästen viel Vergnügen bereitete. Einer solchen Pastete — sie stand im Jahre 1568 auf der Hochzeitstafel des Herzogs Wil helm V. von Bayern — entstieg sogar der Hofzwerg, Thommerl genannt. ,Hst dann auf der Taffel umgangen und hat gesungen", schreibt der Chronist, bemerkt hierzu aber auch, daß sich in der „Pastetten" außer dem Zlverg noch „bis in vierzig wollbereitete Speißen" befanden. Rehriicken — aus Eier« zubereitet. Glücklicherweise waren dergleichen Geschmacklosigkeiten aber doch recht seltene Ausnahmen. Freilich, irgendwie mußte es ein geschickter Koch schon verstehen, ein Esten so anzurichten, daß schon sein bloßer Anblick verblüffte. Es gab Köche, denen es gelang, einen knusprigen Braten über und über ziz vergolden — auch das Brot pflegte man an besonders festlichen Hoftafeln bis weilen mit Goldhäutchen zu überziehen —, andere wieder setzten ihren Ehrgeiz darein, Hüyner entweder grün, rot oder blau zu färben und sie dann mit goldenen oder silbernen Gewürznelken zu spicken. Zn den erstaunlichen Kochkunst-Einfällen dieser Zeit gehörte es auch, daß man ein Gericht als etwas ganz anderes vortäuschte, als es war, wofür Philippine Welser in ihrem Koch buch mehrere Anweisungen gab, so zum Beispiel, wie man einen , Der Matrose von Thurö. Skizze von Erik Bertels«». Aus meiner Kinderzeit an der See erinnere ich mich an I einen Wintermorgen, da ich durch das Sturmsignal erwachte und Unruhe im Hause hörte. Ein Nachbar war zu uns hinübergekommen. Ich kannte ihn an der Stimme. Und als I ich das Wort „Strandung" unterschied, schwang ich mich aus dem Bett und griff nach meinen Kleidern. Eine Strandung hatte im allgemeinen nichts Erschrecken des für mich. Es kam ja zwar vor, daß eS mit Verlust von Menschenleben verbunden war. Aber man konnte auch durch einen Blitz umkommen, und mir kam es immer so vor, als fei eine Strandung längst nicht so gefährlich wie eine Feuers brunst. Und jedenfalls, wenn es der Rettungsmannschaft gelungen war, die ganze Besatzung zu bergen, die auf dem havarierten Schiff sich befand, dann war alles andere fast ein Vergnügen. Es kamen neue Menschen ins Dorf, Menschen, I die die verwunderlichsten Sprachen redeten, schwedisch, hollän disch, finnisch. An diesem Morgen konnte ich nicht rasch genug hinaus« kommen zur Strandungsstelle. War ich erst dort, könnte maa schon ganz leicht die Zert vertrödeln, zu der man eigentlich i« die Schule mußte. Aber als ich in das Zimmer kam, hörte ich zu meiner Bestürzung, daß es nichts gab, nach dem ich hinauslaufen konnte. Ich mußte also artig in die Schule. Das Schiff lag viel zu weit fort. Es gab auch gar nichts Besonderes zu sehen. Es war kieloberst angetrieben, ein totes Schiff, ganz ohne Menschen. Ob sie von den Wellen fortgetragen worden waren — niemand konnte es sagen. Später hörte ich, daß das tote Schiff der Schoner „Anna" aus Thurö war, mit Holzlast von Halmstadt. Es verging lange Zeit, ohne daß Nachricht darüber kam, ob die Besatzung von einem anderen Schiff aufgcnommen worden war. Tote trieben nicht an Land. Die Besatzung war verschwunden, wie so viele andere... Das Schiff und die Last wurden auf einer Auktion verkauft. Und das Namcnsbrett wurde an einem Haus ange schlagen. Jedesnial, wenn ich vorbeikam, las ich „Anna" auS Thurö, und es regte sich etwas Sonderbares in mir, nicht gerade Mitleid mit den Verschwundenen, eher eine unklare Sehnsucht nach Thurö. Wenn ich doch einmal mit einem Thurö-Schoner hinaus könnte! Die Thurö-Schiffer waren zwar berüchtigt wegen ihrer großen Ansprüche, die sie an Reiülichkeit und Ordnung stellten, aber es waren außerordentlich tüchtige Seeleute. Ich wäre gern mit ihnen gefahren... Aber vorläufig konnte ich gar nicht davon sprechen, daß ich so weit fort wollte. Es war schon viel, daß ich nach der Einsegnung mit einem heimatlichen Fischkutter mit durfte. Und w lagen wir an einem schönen Sommertag draußen auf dem Fischplatz. Das Wetter war ruhig. Das Meer streckte sich in langen, blanken Dünungen. Uno als wir fast eine volle Last von Notzungen hatten, näherte sich ein Schoner, der alle Segel gesetzt, aber trotzdem den Motor voll in Gang hatte. „Ein Thurö-Mann!" rief einer der Fischer. „Da könnten wir Fische verkaufen." Cs war tatsächlich ein Aufkäufer aus Thurö. Er hatte im Lim-Fjord nichts Besonderes zu kaufen erhalten und war nun hier hinaus gesegelt. Er lag nur einige Minuten erst an unserer Seite, als unser Fang verkauft war, und wir alle in eiliger Tätigkeit die Fische auf das Thurö-Boot verluden. Leise wünschte ich, ich dürfte mit ihnen zurücksegeln, denn an Bord da drüben war es fast so schön wie auf einer Lust- jacht. Außerdem hatte der Schiffer seine Frau mit. Aber ich mußte hinunter in mein rußiges Küchenloch und Wasser aufsetzen. Die Fremden sollten Kaffee bei unS trinken. Und als wir dann in unserer Kajüte saßen, kam einer der Fischer auf „Anna von Thurö" zu sprechen, die vor ein paar Jahren hier drinnen an der Küste angetrieben worden war. „Ach", sagte die Frau des Schiffers, „wenn es sich nur machen lasten könnte, eine einzige Planke von dem Schiffe zu bekommen. Denn es war mein Bruder, der die .Anna' führte." Ein junger Matrose des Aufkäuferschiffes verzog fpottisch den Mund: „Das ist auch etwas wert, sich sowas zu ver« wahren!" Niemand hörte auf ihn. Unser Schiffer sagte rasch: „Das Namensbrett gibt es auch heute noch." „Ob ich es nicht kaufen könnte?" fragte die Frau eifrig. „Kaufen? Nein, für solche Dinge nehmen wir keine Bezahlung an. Ich werde cs schon erhalten und es nach Thurö senden, wenn wir wieder nach Hause kommen." Der Matrofe zeigte einen noch mehr überlegenen Ausdruck im Gesicht. Er steckte eine Zigarette an und blies den Rauch von sich, als wollte er uns alle mit in die Luft blasen. Das Gespräch ging weiter. Die Fischer erzählten, wie die „Anna" angetrieben sei und wie der Sturm am Tage davor gewütet habe. Der Matrose tat ermüdet und gelangweilt, stand plötzlich auf und ging an Deck hinauf. „Er ist sicher ein Dickkopf", bemerkten wir. „Das glaube ich nun weniger", sagte die Frau still. „Aber er war als Schiffsjunge an Bord der .Anna' angeheucrt worden, als sie in Halmstadt Last nahm. Er wurde beim Ver- laden am Bein verletzt und mußte ins Hospital. Auf diese Weise machte er die Fahrt nicht mit und blieb am Leben." Als ich etwas später an Deck kam, stand der Matrose ganz vorn an der Spitze des Schoners und sah hinüber auf den niedrigen Klippenstrand, an dem die schmalen Weißen Streife» der Wellen sich brachen, und wo alles ein brüllendes, tosendes Schaum-Meer gewesen war, in der Nacht, als seine Kameraden verschwanden. Sein Gesicht war hart. Aber etwas in seinen Augen ver riet, daß er nicht so hart war, wie es schien. (AuS dem Tänischcn von Kari» Neitz-Grund mann.)
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