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ZUR EINFÜHRUNG Joseph Gustav Mraczek, der unvergessene Dresd ner Komponist, schrieb seine Szenen für Orchester „Variete“ in den Jahren 1926/1927. Mraczek war ein bedeutender Könner auf dem Gebiet einer far bigen, außerordentlich gut klingenden Orchestrie rungskunst, die ihn in seinem bekanntesten Werk „Max und Moritz“ an die Seite von Richard Strauß rückt. Seine Erfindungsgabe war gleichermaßen be deutend. Mehrere seiner Opern sind in den Groß städten Mitteleuropas häufig aufgeführt worden. In den sechs Szenen für Orchester sucht er die eigen artige Welt des Varietes in Töne zu bannen. Er be müht sich um eine getreue Wiedergabe der Stimmun gen und Eindrücke, die einen Menschen in einem Varietä überfallen. Er versucht, die Eindrücke, die die Sinne vermittelt bekommen, in Töne um zusetzen — in Töne, die eindeutig sind und im Hörer die Illusion erwecken sollen, das zu sehen und zu spüren, was ihn im Variete so erregt. Der Lärm, der Duft, der Zauber dieser Stätte der Unterhaltungs kunst ist mit einer bedeutenden Meisterschaft ein gefangen worden. Die Intrade beschwört die un vergleichliche Stimmung des Aufmarsches der Ar tisten mit Fanfarengeschmetter, Tusch und Trubel. Die Excentriques führen die hohe Kunst der Artistik vor; die Magier zaubern Unheimliches und beschwö ren Dinge einer auf den Kopf gestellten Welt; der Götzentanz kommt der Vorliebe Mraczeks für exotische Welten entgegen; das Marionettentheater zeigt das etwas grotesk-zapplige Verhalten der Hand puppen, während das Schlußbild „Orient“ nochmals die farbigfremde Zauberstimmung orientalischer Pracht und Ferne heraufbeschwört. Zwischen die einzelnen Bilder sind Zwischenspiele eingestreut, die, wie bei einer Zirkus- und Varietökapelle, die ein zelnen Auftritte verbinden und die Pausen zwischen den Nummern erregend und stimmungsteigernd aus füllen. Eine starke Verwendung von viel Schlagzeug gibt diesem Werk seine besondere Note. Es ist ein Meisterwerk der Programmusik, ein Meisterwerk einer schildernden und malenden Kunst. Sigmund Glanz lebt als 75jähriger Komponist in Chemnitz. Er ist einer der wenigen noch lebenden Schüler Dvofäks, von dem er die Kunst des guten Orchestrierens und die Vorliebe für einen melodien reichen Satz übernommen hat. Glanz liebt warme, volle, farbige Klänge. Seine Tonsprache ist die der Spätromantik mit einer gewissen Schwermut. Die „Sechs sinfonischen Lieder“ versuchen, der Stim mung der Gedichte gerecht zu werden. Wieder sehenssehnsucht spricht aus dem ersten Lied. Im Sturmlied wird einer gewissen Wehmut und der Stimmung des Verzichts Ausdruck gegeben. Hoff nung auf Vereinigung der Liebenden im Tode ist in dem Liede „Einmal“ in Töne gebannt. Zaudern und das Geständnis, die rechten Augenblicke versäumt zu haben, wird im Liede „Zu spät“ gestaltet. Die letzten Augenblicke des Daseins, das letzte Lied, der letzte Kuß, der letzte Trunk, werden im folgenden Lied von Theodor Storm „Wohl fühl’ ich, wie das Leben rinnt“ besungen. Auch im sechsten Lied wird eine Stimmung des Verzichts laut. In diesem Werk spricht ein reifer Mensch, der an der Schwelle des Alters steht. Ein Werk des Rückblickes, voller Weh mut und Verzicht steht vor uns. 1946 geschrieben, ist es Ausdruck eben überwundener schwerer Zeiten, die über die Menschheit Leid und Tod brachten. O, daß ich einmal noch . . . (Maidy Koch) O, daß ich einmal noch dich wiedersähe! Ich trüge Schmach und Not in deiner Nähe. Grau gehn die Tage hin in dumpfem Frieden seit jener Sommernacht, da du geschieden. O, ging mir Heim und Herd auf in Rauch und Flammen! Und müßt ich betteln gehn mit dir zusammen: nur Wiedersehen dich! Sturmlied (Ernst Goll) Ich hab dem Sturm mein ganzes Herz gegeben, daß er’s auf seinen weiten Flügeln trage hoch über dieses engbegrenzte Leben und immerfort b'is an das Ziel der Tage. Doch rauschte er vorbei an deinem Garten, er müßt es nieder dir zu Füßen legen, dir, der mir Sonne war auf meinen letzten Fahrten Himmelsflucht und letzter Erdensegen.