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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM io. Außerordentliches Konzert Freitag, 19. Mai 1961, 19.30 Uhr Sonnabend, 20. Mai 1961, 19.30 Uhr DIRIGENT Prof. Heinz Bongartz SOLIST Ruggiero Ricci, New York D. Schostakowitsch geb. 1906 6. Sinfonie op. 53 Largo Allegro Presto Nicolo Paganini Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 6 1782 -1840 Allegro maestoso Adagio espressivo Rondo, allegro spirituoso PAUSE P. Tschaikowski Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35 1840 -1893 Allegro moderato Canzonetta (Andante) Allegro vivacissimo Ruggiero Ricci und Prof. Heinz Bongartz Ruggiero Ricci ist italienischer Abstammung und wurde in San Francisco geboren. Im Alter von 8 Jahren trat er %um ersten Male vor die Öffentlichkeit und gab ein Jahr später sein erstes Konzert in New York. Eine Europa-'Tournee führte er im 12. Lebensjahre durch. Seitdem nahm seine Aufwärtsentwicklung ständig %u. Ruggiero Ricci cjihlt heute %u den besten Geigern der Welt, der bereits in allen Ländern der Erde seine Virtuosität bewies. ZUR EINFÜHRUNG Dmitri Schostakoivitschs 6. Sinfonie op. 53 entstand im Jahre 1939 und wurde von den Leningrader Philharmonikern unter Mrawinski uraufgeführt. Rein äußerlich betrachtet, fällt ihre eigenwillige formale Anlage, ihre Dreisätzigkcit, auf, die im sinfonischen Zyklus verhältnismäßig selten begegnet. Im ersten Satz, einem grüblcrisch-trauervollen Largo, werden getragene musikalische Gedanken ausgedrückt, die der sowjetische Meister, wenn auch in anderer Haltung und Gestalt, bereits in seiner 5. Sinfonie ver arbeitet hatte. Das von einem breiten sinfonisch-melodischen Atem durchpulste Largo entfaltet sich aus einem einzigen schwermütig-schmerzlichen Thema, das in einer Reihe verschiedener Veränderungen abgcwandclt wird, ein ,,Bauprinzip“, das irgendwie an den deutschen Barockmeistcr Johann Sebastian Bach erinnert, dessen Schaffen Schosta kowitsch bekanntlich außerordentlich schätzt. Dramatisch erregt ist der leidenschaftliche Mittelteil mit seinem dcklamatorisch-rczitativischen Ausdruck. Im tragischen Ausklang des Largo vermeint der sowjetische Musikwissenschaftler Iwan Martynow die Erinne rung an überstandene Leiden, ja Schicksalscrgcbcnheit zu sehen. Im offensichtlichen Gegensatz zu dem ,,lyrisch-philosophischen“ Largo stehen die beiden schnellen Sätze der Sinfonie, die von lichter Diesseitsfreudigkeit getragen werden. Überraschend setzt der zweite Satz, ein unbeschwertes Allcgro-Schcrzo, ein, das zu den besten sinfonischen Eingebungen Schostakowitschs gehört. Bezeichnend für diesen Satz ist die zauberhafte Fülle des thematischen Materials, die Farbigkeit der Instrumentation und die witzige Rhythmik. Tänzerisch-zierliche Rhythmen charakterisieren das leichtfüßige erste Thema, während das zweite, weniger temperamentvolle, wie ein spöttischer Walzer bzw. Ländler wirkt. Das dritte Thema stimmen Celli, Kontrabässe und Violinen an. Es ist schwungvoll und weckt erstaunliche Energien. Die den Satz eröffnende Episode bestreitet auch seinen gutgelaunten Abschluß. Kann man im zweiten Satz Schostako witschs lockere, mühelose polyphone Schreibweise bewundern - im geistreich instru mentierten Presto-Finalc triumphiert seine melodisch gesättigte Tonsprachc, sein vitales Musiziertemperament. Schalkhaftigkeit, echte Lebensfreude sprechen aus diesem Satz, dessen rhythmisch bestimmtes Hauptthema wie ein Galopp, ja wie ein Geschwind marsch daherkommt und voller aparter Kapriolen vorüberzicht. Auch das anmutige zweite Thema sowie Nebenthemen unterstreichen den schelmisch-heiteren Grund charakter des Finales. Schwere, stampfende Bässe geben im Mittelteil den Auftakt für eine derbe, ungehemmte Fröhlichkeit, die sich stürmisch bis zum optimistisch-strahlen den Ausklang steigert. Eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Musikgeschichte war der große italienische Geigenvirtuose Nicold Paganini, der geradezu berauschende Wirkungen auf seine Zeit genossen in Italien, Deutschland und Frankreich ausübte. Das Dämonisch-Abenteuer liche seiner Person führte im Bunde mit seinen einmaligen, phänomenalen geigerischen Fertigkeiten dazu, daß man ihn sogar der Zauberei verdächtigte oder ihn mit Geistern und der Hölle im Bunde glaubte. Paganini, von gelegentlichem Geigenunterricht abgesehen eigentlich Autodidakt, vereinte in seiner Person „was andere vereinzelt auszeichnete: einen hinreißend ausdrucksvollen Vortrag, einen wunderbar großen und dabei doch der verschiedensten Stärkegrade sowie des mannigfaltigsten Timbres und Kolorits fähigen Ton, ein zauberhaftes, wie in Sphärenklängen verhallendes Flageolett, Gegensätze im Legato und Stakkato, wie man sie vor ihm nicht gekannt, doppelgriffige Gänge, die niemand außer ihm auszuführen vermochte, Pizzikatos, gleichviel, ob mit der rechten oder der linken Hand, deren springende Passagen jedem anderen Geiger den Hals gebrochen haben würden, und, außer seiner fabelhaften Technik, jene dämo nische Leidenschaftlichkeit, die ihm allein eigen war. Sprang ihm eine Saite, ja zwei Saiten, so spielte er auf den übriggcbliebenen, soweit es deren Umfang erlaubte, mit solcher Vollkommenheit weiter, daß der eingctrctcnc Mangel selbst für den Kenner kaum hörbar wurde; auch stimmte er die Saiten, um gewisse besondere Effekte damit