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Wenn ich einmal heimgeh, dorthin, woher ich kam, aus den Tiefen der Wälder und hinter den Urnebeln hervor, wird mein Heimweh nach der Erde nicht geringer sein. Ich werde keine Ruhe finden und mit dem Staub kämpfen, der tun wird, als wäre er meinesgleichen. Mit den ersten Schneeglöckchen werde ich auf den Wiesen stehn, die noch gelb sind vom Winter. Mit den Maulwürfen werde ich die Erde aufbrechen über mir. Wenn ich einmal heimgeh, dorthin, woher ich kam, werde ich ein Fremder sein an meinem Ursprung. Fürnbergs .Epilog' hat für den ersten Satz des Violinkonzerts konstitutive Be deutung. Diese .Romanza' ist sonatenförmig angelegt. Das musikalische Ge schehen wächst aus einem gedankenreich verhaltenen Anfang. Die streng ge formten, sich aber gleichsam rhapsodisch frei entfaltenden Melodiebögen der Solovioline ruhen zunächst auf einem Orgelpunkt der Orchesterbässe. Aus ihm löst sich dann eine punktierte Pizzikato-Bewegung, die für die spätere Ent wicklung des Werkes von Bedeutung ist. Dieser Beginn erinnert an die Fürn- berg-Worte: .Wenn ich einmal heimgeh, dorthin, woher ich kam . . ." Er umreißt nach dem Gesetz der Sonatenform den Bereich des ersten Themas. Ihm tritt dann ein zweiter zur Seite, rhythmisch akzentuiert, gemessen schreitend, von den tiefen Streichern mit signalartigem Trompeteneinwurf eröffnet. „Wenn ich einmal heimgeh, dorthin, woher ich kam — aus den Tiefen der Wälder und hinter den Urnebeln hervor', so heißt es in Fürnbergs .Epilog'. Leidenschaftli ches, schmerzvolles Aufbegehren, kämpferische Auseinandersetzungen beherr schen den Durchführungsteil. Parallelen zur mittleren Strophe bei Fürnberg drängen sich auf. Dort heißt es: ,lch werde keine Ruhe finden und mit dem Staub kämpfen, der tun wird, als wäre er meinesgleichen . . .' Mit dem Eintritt der Reprise gibt Meyer in diesem Satz keine Lösung der Konflikte. Der Aus klang führt gleichsam nachdenklich in die Ausgangssituation zurück. Vom .Leben unsrer neuen Zeit' kündet der zentrale zweite Satz des Konzerts, das .Dramma musicale, eroico, lirico e giocoso'. Als .Dramma', als mitreißen des Bild kämpferisch erfüllter Aktivität, tritt uns sogleich der Beginn des in freier Rondoform angelegten Satzes entgegen. Neben einem punktierten Or chesterunisono steht in weitausgreifenden Entwicklungen die Melodik der So lovioline. Aus einem machtvollen Akkordschlag entwickelt sich der zweite, ruhi ge Abschnitt. Dem .Dramma' folgt der lyrische Teil. Wir werden an Fürnbergs Fragment erinnert: .Wenn ich müde nachts im Traum versinke, ist’s die Erde, die mein’n Traum beseelt . . .' Eine elftaktige Kadenz der Solovioline bereitet den dritten Satzabschnitt vor, in dem das .Dramma musicale' seinen Fortgang nimmt. In Engführung mit der Trompete setzt das Soloinstrument mit leiden schaftlich drängender Thematik ein. Dann greift ein Orchesterzwischenspiel auf die Unisono-Thematik des Beginns des zweiten Satzes zurück. Der kämpferi sche Höhepunkt wird erreicht. Aus ihm löst sich über gehaltenen Orchester klängen die Solovioline in immer entspannterem Passagenwerk. Diesen lyri schen Visionen schließt sich ein heiterer Abschnitt an, dem ,giocoso', der Satz überschrift, entsprechend — ein graziöser, lockerer Akzent im Gesamtbild des .Lobes unserer Erde'. Von diesem Scherzo-Teil geht die große Kadenz der Vio line aus, wendet sich immer mehr der kämpferischen Thematik der Hauptteile zu und führt organisch zur Wiederkehr des punktierten Orchesterunioso vom Satzbeginn. Nun aber führt ein gewaltiger Orchesteraufschwung in einen strah lenden E-Dur-Akkord als hymnischen Schluß. Der dritte Satz (Epilogo) zieht die Summe aus dem Vorhergegangenen. .Wenn ich müde nachts im Traum versinke, ist’s die Erde, die mein’n Traum beseelt, und vergessend, was mich einst gequält, dank ich dir, wenn ich aus Charons Nachen winke', heißt das Fazit in Fürnbergs .Epilog'. Quälendes steht zunächst am Beginn des Schlußsatzes. Dann aber hebt der liedhaft ruhige Abgesang der Solovioline an. Dies ist ein Dankgesang an die Schönheit der Welt, wie es ihn inniger, befreiender kaum noch einmal gibt. Die ganze Menschlichkeit des sozialistischen Künstlers spricht aus dieser Musik. „EinVirtuosenstück im Geschmack einer Ungarischen Rhapsodie" nannte Mau rice Ravel, einer der prominentesten Vertreter französischer Musik in un serem Jahrhundert, seinen Tzigane („Zigeuner") — Konzertrhapso die für Violine undOrchester aus dem Jahre 1924. Es handelt sich hierbei um ein brillant und raffiniert gestaltetes, der verstädterten Zigeuner musik nachempfundenes Fantasiestück, das seiner blendenden Effekte wegen von den Geigenvirtuosen gern gespielt wird. Nach einem großen konzertanten Vorspiel, in dem die Sologeige verschiedene Virtuosenkünste entfaltet, löst eine Kadenz der Harfe traditionelle zigeunerhafte Improvisationen aus. Im Solopart entwickelt sich rezitatorisch allmählich ein langsames, „zigeunerisch" gefärbtes Thema, dem ein zweites, mehr tänzerisches, sich anschließt. Gegen Ende wird die musikalische Entwicklung immer ungeduldiger, durcheilt fieberhaft nach einander alle möglichen Tonarten, ohne sich festzulegen. Mit einer glänzenden Stretta endet das Stück. über sein populärstes Werk, den Bolero, schrieb Ravel : „1928 habe ich auf Wunsch von Frau Ida Rubinstein einen .Bolero' für Orchester komponiert. Es ist ein Tanz in sehr gemäßigter Bewegung und stets gleichförmig, sowohl in der Melodie und der Harmonie wie in seinem Rhythmus, den die Trommel unaufhörlich markiert. Das einzige Element der Abwechslung bringt hier das orchestrale Crescendo." Das Werk, das man einmal treffend ein „erstaunliches Karussell der Klänge" genannt hat, wurde zum erstenmal am 20. November 1928 zusammen mit „La valse" als Ballett in der Choreographie Ida Rubin steins an der Pariser Oper aufgeführt. An diesem Tage trat es seinen wahrhaft triumphalen Weg durch die Konzertsäle der Welt an, seinen Schöpfer schlag artig berühmt machend, der es auch selbst gern dirigierte, eigenartig trocken, gleichförmig, beinahe langsam im Tempo. Die Interpretation des „Bolero" hat die Musikwissenschaft vor ein interessantes Problem gestellt. Nennt ihn Ro land-Manuel eine „Spielerei seines Schöpfers", so wirft der Musikwissenschaft ler Jules van Ackere den Begriff „Mystifikation" in die Debatte, erwähnt aber zugleich selbst die Möglichkeit, daß es sich auch um eine einfache Schaustel lung einer faszinierenden Kenntnis des Orchesters handeln könnte. Sucres ver meinte sogar, im „Bolero" das klingende Bild des unheilbaren Leidens zu se hen, das Ravels Verstand an seinem Lebensabend zerquälte, eine Art tragi schen Totentanzes, das Bekenntnis eines Alpdruckes. Diese Deutungsversuche streben bewußt über die Angabe des Komponisten hinaus, der seinen „Bolero" lediglich als Instrumentationsstudie auffaßte.