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DRESDNER PHILHARMONIE Freitag, den 29. September 1978, 20.00 Uhr Sonnabend, den 30. September 1978, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 1. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Johannes Winkler Solistin: Jelena Gilels, Sowjetunion, Klavier Georg Philipp Telemann 1681-1767 Don Quichotte — Suite für Streichorchester und Basso continuo Ouvertüre Don Quichottes Erwachen Sein Angriff auf die Windmühlen Seine Liebesseufzer nach der Prinzessin Dulcinea Der geprellte Sancho Pansa Der Galopp der Rosinante — Der Galopp des Esels Sancho Pansas Don Quichottes Nachtruhe Erstaufführung Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791 Konzert für Klavier und Orchester B-Dur KV 595 Allegro Larghetto Allegro PAUSE Antonin Dvorak 1841-1904 Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 (Aus der Neuen Welt) Adagio — Allegro molto La rgo Scherzo (Molto vivace) Allegro con fuoco JELENA GILELS, die Tochter des berühmten sowjetischen Pianisten Emil Gilels, absolvierte das Moskauer Konservatorium in der Klavierklasse von Prof. Jakow Flijer und gehört inzwischen selbst zu den erfolgreichsten Vertretern der jungen sowjetischen Pianistenschule. Sie konzer tierte in den großen Städten der Sowjetunion und auch im Ausland, u. a. in der CSSR, in Ungarn, Polen, Frankreich, Belgien, Österreich, der BRD, in Finnland sowie in den USA. Im Jahre 1972 wurde sie Preisträgerin des Internationalen Klavierwettbewerbes in Montevideo. ZUR EINFÜHRUNG In seiner Zeit berühmter als Bach war ein Zeitgenosse des großen Thomaskan- tors, Georg PhilippTelemann. Dieser äußerst vielseitige und produktive Komponist, der in wechselnder Folge höfische, städtische und kirchliche Ämter inne hatte — Hauptstätten seines Wirkens waren Leipzig, Sorau, Eisenach und Frankfurt/Main, bevor er, seit 1721 schon hoch berühmt, die Lebensstellung eines Musikdirektors der fünf Hauptkirchen in Hamburg einnahm —, hinterließ uns, obwohl von seinen Werken vieles nicht erhalten blieb, eine unermeßliche Fülle von Kompositionen. Mit ungeheurem Fleiß begabt, schrieb Telemann insgesamt mehr Noten als Händel und Bach zusammen; keine Werkgattung seines Jahr hunderts, die er nicht gepflegt hätte. Sein zu seinen Lebzeiten in fast ganz Europa verbreitetes Werk erfreut sich im heutigen Musikleben mit Recht wieder einer immer noch zunehmenden Beachtung und Pflege. Mit seinen besten Wer ken hat Telemann dazu beigetragen, „den großen Stilwandel zu vollziehen vom fugiert-polyphonen und Generalbaßstil des 17. Jahrhunderts zu einem emotionell vertieften, eleganteren und persönlicheren Ausdrucksstil, wie er zur Wiener Klassik hinführte" (E. H. Meyer). Mit seinen etwa 1000 Orchestersuiten, von de nen noch 118 vollständig überliefert sind, und rund 500 Instrumentalkonzerten, von denen noch 95 erhalten sind, schuf der Komponist — im Geist der Aufklä rung — zugleich belehrendes wie gemütvoll-unterhaltendes Musiziergut und er füllte eine für die Entwicklung der frühklassischen Instrumentalmusik historische Aufgabe. Telemanns Neigung zu charakteristischer, programmatischer Schilderung und Tonmalerei, seinen feinsinnigen Humor demonstriert sehr trefflich eines seiner geistvollsten Orchesterwerke: die burleske Streichersuite „Don Quichotte", die übrigens nicht im Zusammenhang steht mit seiner dramatischen Serenade „Don Quichott, der Löwenritter" (1761). Don Quichotte, die tragikomische Ritter gestalt aus dem gleichnamigen Roman des spanischen Dichters Miguel de Cer vantes Saavedra (1547-1616), insoirierte Telemann zu phantasievoller musika lischer Aussage. Die knappen Sätze der Suite tragen Überschriften, die sich jedoch nicht in der Schilderung äußerer, mechanischer Abläufe widerspiegeln, sondern in feinster, scherzhafter Charakterisierung von Personen und Vorgängen. Die einleitende Ouvertüre des dreiteiligen französischen Typs besitzt bereits eine dem Affektinhalt der Suite entsprechende Grundeinstimmung. Der zweite Satz stellt Don Quichottes allmähliches Erwachen dar. Die musikalischen Gedanken werden beziehungsvoll durch Pausen unterbrochen. Mit zunächst weitausholen den, aber ständig kleiner werdenden Sprüngen - die allmähliche Ermattung schildernd — „malt" der dritte Satz „Don Quichottes Angriff auf die Windmüh len". Dann parodiert Telemann mit weichen Seufzer-Vorhalten sehr köstlich des Helden „Liebesseufzer nach der Prinzessin Dulcinea". Der fünfte Satz bringt Don Quichottes dickbäuchigen Schildknappen ins Spiel: „Der geprellte Sancho Pansa" wirkt ungemein komisch in seiner Wut. Im Sinne des Kontrastprinzipes stellt der Komponist sodann den Galopp von Don Quichottes Pferd Rosinante dem von Sancho Pansas Esel gegenüber. Punktierte Achtel und den Melodie fluß hemmende Pausen charakterisieren humorvoll den störrischen, unberechen baren Esel im Gegensatz zu der fließenden Dreiklangsfreudigkeit bei der Schil derung des Galopps der Rosinante. Im Schlußsatz schließlich findet Don Qui chotte nach aufregenden Träumen die verdiente Nachtruhe. Das Klavierkonzert B-Dur KV 595, das Wolfgang Amadeus Moza rt am 5. Januar des Jahres 1791 vollendete, dessen Ende er nicht mehr erleben sollte, war das letzte Werk, das er für diese von ihm so reich gepflegte Gattung schrieb. Am 4. März 1791 spielte er es selbst zum ersten Male in einem Konzertabend des Klarinettisten Joseph Beer im Konzertsaal des Wiener Hof traiteurs Jahn. Es ist in seiner ganzen Haltung, die sich merklich von seinen Vor-