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STEINSAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM ZUR EINFÜHRUNG Dienstag, 19. März 1963, 19.30 Uhr 4. KAMMERMUSIKABEND der Kammermusikvereinigung der Dresdner Philharmonie Ausführende Günter Siering, Violine Günther Schubert, Violine Herbert Schneider, Viola Erhard Hoppe, Violoncello Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791 Adagio und Fuge c-Moll KV 546 Adagio-Allegro Bela Bartök Streichquartett Nr. 6 (1939) 1881-1945 Mesto-Piu mosso, pesante-Vivace Mesto-Marcia Mesto-Burletta Mesto Bedrich Smetana 1824-1884 PAUSE Streichquartett e-Moll „Aus meinem Leben“ Allegro vivo appassionato Allegro moderato a la Polka Largo sostenuto Vivace Wolfgang Amadeus Mozarts Adagio und Fuge für Streichquartett c-Moll, KV 546, bildet neben den rund 30 Streichquartetten, die der Komponist geschrieben hat, eine wertvolle Bereicherung der Quartettliteratur. Das aus dem Jahre 1788 stammende Werk ist eigentlich die Übertragung einer schon früher geschaffenen Komposition, und zwar der 1788 entstandenen c-Moll-Fuge für zwei Klaviere, KV 426. In dieser Zeit hatte sich Mozart auf Anregung des Barons van Swieten hin, den er 1782 kenncngelernt hatte (des späteren zweiten Gatten seiner Frau Konstanzc), sehr stark mit den Werken Händels, vor allem aber Johann Sebastian Bachs beschäftigt und intensive kontrapunktische Studien betrieben. Eine Frucht dieser Studien stellt auch die meisterhafte Fuge in c-Moll dar, eine strenge, dreistimmige Fuge mit ernstem Thema, mit allen kontrapunktischen Künsten, wie Umkehrung, Engführung usw. gearbeitet. Fünf Jahre später, am 26. Juni 1788, arrangierte der Komponist das Werk für Streichquartett oder Streich orchester und stellte ihr als Einleitung „ein kurzes Adagio a 2 violini, Viola e Basso, zu einer Fuge, welche ich schon lange für 2 Claviere geschrieben habe“, voran - ein ausdruckstiefes, harmonisch kühnes Stück, das in seiner Anlage der folgenden Fuge vollkommen entspricht. Zwei Komponisten von Weltgeltung prägen das Gesicht der ungarischen Gegenwartsmusik: Bela Bartök und Zoltän Kodäly. Beider Schaffen wurzelt zutiefst in der Volksmusik, ganz besonders in den urtümlichen Baucrnliedern ihres Heimatlandes, die sie systematisch, mit wissen schaftlicher Genauigkeit sammelten und zur Grundlage ihrer eigenen künstlerischen Aussagen machten. Vor allem Bela B ar tok, eine überragende schöpferische Persönlichkeit, kam zu einer neuartigen, faszinierenden Tonsprache, in der er folkloristische Elemente mit dem klassischen Formpriiizip verschmolz. Bartöks Werke gehören zu den stärksten musikalischen Leistungen unseres Jahrhunderts, seine sechs Streichquartette - zwischen 1908 und 1939 entstanden - zu den bedeutendsten Schöpfungen des Komponisten. Sie stellen nicht nur wesentliche Stationen auf Bartöks Schaffensweg dar, sondern zum Teil wichtige, richtungweisende Ereignisse in der Geschichte der zeitgenössischen Musik überhaupt. Im Geistig-Technischen stellen sie an Inter preten und Hörer höchste Ansprüche. Das 1939 komponierte 6. Streichquartett war das letzte Werk, das er schrieb, ehe er, ein geschworener Gegner der faschistischen Diktatur und des Krieges, 1940 in die freiwillige Emigration nach Amerika ging. Sein Entschluß, die ungarische Heimat auf ungewisse Zeit zu verlassen, fand in dem Quartett ergreifenden musikalischen Aus druck. Noch während der Arbeit an dem Werk verstarb Bartöks innigstgelicbte Mutter. So wurde das 6. Streichquartett nicht nur ein Abschied vom Vaterland, ja von Europa, sondern auch — besonders im vierten Satz - von der Mutter. Die Tonsprachc des Werkes, das erst nach dem Tode seines Schöpfers zum ersten Male erklang, hat einen universalen, humanen Grundzug - Ausdruck der Weisheit und Milde eines reifen Menschentums und charakteristisch für den Spät stil des ungarischen Meisters. Klar in der viersätzigen Gesamtanlage, ohne sich indessen spontan erschließend, ist Bartöks letztes Streichquartett durch geistvollste satztechnische Arbeit gekennzeichnet, durch eine ganz eigene „Aufschlüsselung“ des thematisch-motivischen Materials, durch eine Kombination „kontra- punktischer Kleinformeln“ folkloristischen Ursprungs. Die Einheit der Komposition erreicht Bartök durch ein mottoartiges Thema, das die Basis für das musikalische Material sämtlicher Sätze bildet. Von traurigem, trostlosem Ausdruckscharakter, erklingt es zu Beginn des ersten Satzes solistisch in der Bratsche und verweist auf die ernste, klagende Grundhaltung des ge samten Werkes. Eine sonatenförmige Gestaltung der thematischen Gedanken schließt sich an. Obgleich die beiden Mittelsätze des Quartetts, Marsch und Burletta, weniger düster angelegt sind, äußert sich auch in ihnen Wehmut und Bitterkeit. Dem etwas verzerrt wirkenden Marsch wird das Mottothema, von einer zweiten Stimme gestützt, ebenfalls vorangestellt. Die an Scherzo-Stelle stehende Burletta versucht - in der für den Gesamtstil der Komposition charak teristischen zuchtvollen Gebändigtheit der Tonsprache - heitere Züge in das musikalische Ge schehen hineinzutragen, Kontrastelemente. Um so tiefer berührt danach die tiefe Trauer und Klage, die aus dem Finale spricht, dessen Gedankenquelle wiederum - diesmal in vierstimmiger Fassung - das Kernthema darstellt. Bedrich Smetana, der eigentliche Begründer der tschechischen Kunstmusik, die mit ihm ihre nationale Selbständigkeit und gleichzeitig Weltgeltung errang, ist auf kammermusikalischem Gebiete vor allem durch sein 1. Streichquartett e-Moll („Aus meinem Leben“) berühmt ge worden. Das 1879 uraufgeführte und 1880 veröffentlichte Werk entstand im Jahre 1876, einer für Smetana mit großen seelischen und körperlichen Leiden verbundenen Zeit, denn schon 1874 hatte sich beim ihm ein tragisches Gehörleiden angekündigt, das sich immer mehr verschlimmerte und zu völliger Taubheit führte. In dem bekenntnishaften e-Moll-Quartett wurde vom Kompo nisten, wie bereits aus dem Untertitel hervorgeht, ein Stück Autobiographie, innerstes persön liches Erleben und Erleiden, künstlerisch gestaltet. Smetana hat 1879 einem Freund das Pro gramm des Werkes im einzelnen mitgeteilt, aber auch ohne seine genaue programmatische Deutung der vier Sätze ist uns diese herrliche Musik in ihrer Klangfülle, ihrem blühenden Melos und ihrer innigen Empfindungstiefe unmittelbar verständlich. Eine Ausnahme stellt dabei nur jene rätselhafte Stelle des Schlußsatzes dar, in der durch das lang ausgehaltene, peinigende viergestrichene E der ersten Violine die Katastrophe der Ertaubung des Komponisten symboli siert wird: „Jenes verhängnisvolle Pfeifen der höchsten Töne in meinem Ohre, das im Jahre 1874 meine Taubheit mir anzeigte“ (Smetana).