über das Virtuose in der Musik (II) (Von russischen und sowjetischen Klaviervirtuosen) Gaben wir im Programm zum 5. Außerordentlichen Konzert einen Über blick der deutschen Pianisten von Clementi bis zur Gegenwart, so wollen wir uns heute der großen russischen Virtuosen auf dem Klavier erinnern, wollen aber zugleich einen Blick auf die heute wirkende sowjetische Pia nistengeneration werfen. Der italienische Einfluß der Musik äußerte sich im Rußland des 18. Jahr hunderts vor allem auf dem Gebiete der Oper, während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine engere Bindung zu Deutschland erkenn bar wurde, die sich vor allem im Austausch mit bedeutenden Klavier virtuosen äußerte. Durch die beiden Anton und Nikolai Rubinstein wurde in Rußland ein festes Fundament der Musikerziehung gelegt, auf dem sich ausgeprägte russische Virtuosen entwickeln konnten. Neben den Rubinsteins muß Annete Essipoff-Leschetitzky genannt werden, die „Anmut, Eleganz und Zierlichkeit über Tiefe und Geistigkeit“ stellte. Aus Charkow stammte Alexander Siloti, dessen physische Kraft und Ausdauer heute noch ge rühmt werden. Aus Odessa kam Wassilij Sapellnikoff, ein ausgesprochener Lisztspieler, zu ihm gehörte Ossip Gabrilowitsch, ein außerordentlicher Techniker. Leo Sirota wird uns als „monumentaler virtuoser Stilist“ ge schildert. Eleganz, virtuoser Schliff, ins Pariserisch-Weltmännische ge steigert, rühmte man den Komponisten-Pianisten Serge von Bortkewicz und Alexander Scriabin nach. In Walter Niemanns „Meister des Klaviers“ (1919) lesen wir den bezeich nenden Satz: „Rußland besitzt so viele gediegene Akademiker, wie glän zende Virtuosen des Klavierspiels, wie ja denn seine technischen Vor bedingungen auch in gebildeten Liebhaberkreisen in erstaunlich gutem, ja ausgezeichnetem Maße voll erfüllt werden: in Rußland kann jeder musikalisch Gebildete mehr oder weniger vorzüglich ,Klavier spielen 1 .“ In einem Brief an seinen Bruder Anatol schrieb Peter Tschaikowski im Jahre 1874: „Die Arbeit geht sehr langsam vorwärts und will mir nicht ge lingen. Ich zwinge meinen Kopf, Klavierpassagen auszutüfteln.“ Damit war das Klavierkonzert op. 23 in b-Moll gemeint, an dem Tschaikowski 1874/75 arbeitete. Ursprünglich sollte das virtuose Werk Tschaikowskis Freund, dem Mos kauer Konservatoriumsdirektor Nikolai Rubinstein, zugeeignet werden. Doch dieser urteilte: „Ihr Konzert taugt gar nichts. Es läßt sich gar nicht spielen, die Passagen sind abgedroschen, plump und so ungeschickt, daß man sie nicht einmal verbessern kann. Die Komposition ist schlecht und gemein, überall stößt man auf Teile, die von irgendwoher gestohlen sind. Es gibt nur zwei oder drei Seiten, die stehenbleiben können, alles übrige muß vernichtet werden.“