Volltext Seite (XML)
Unsere Kunst — wesentlicher Ceil des qesellschaftlichen Reichtums • / ‘ Die Druckgrafikserie „Jugend und Sozialismus“, die aus Anlaß der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten im August 1973 in Berlin von drei Großbetrieben des Maschi nenbaus unserer Stadt gemeinsam mit der Hochschulgewerkschaftsorga- nisation am 29. Juni in Auftrag ge- gdben und von der Lehrgruppe Kul turtheorie betreut wurde, hat zu drei bemerkenswerten Ergebnissen ge führt: zum ersten 'größeren Beitrag unseres Bezirkes zur künstlerischen Vorbereitung der X. Weltfestspiele; zum ersten Zusammenschluß von Be trieben des Maschinenbaus und un serer Hochschule, um auch auf dem Gebiete der Kunst für mehr als nur Betriebsinteressen wirksam zu wer den; zu einem begeisterten Schaffen und zu hohen künstlerischen Leistun gen der fünf jungen Künstler, die diesen Auftrag zu ihrem eigenen ge macht haben. Hier zeigt sich ein un mittelbarer Zusammenhang mit der Orientierung, die der VIII. Parteitag und die 6. Tagung des Zentralkomi tees der SED für den umfassenden Aufschwung der Künste, für die För derung der individuellen Handschrift und für eine höhere ästhetische Par teilichkeit gegeben haben. Als die jungen Künstler Jürgen Adler, Mi chael Morgner, Klaus Neubauer, Axel Wunsch und Lutz Voigtmann am 20. September den Auftraggebern und Betreuern eine Fülle von Ent würfen, etwa doppelt soviel als vor gesehen, zur Auswahl darboten, wa ren alle überrascht, mit welchem Elan und Einfallsreichtum in den knapp drei Monaten die Aufgabe bewältigt worden war. Hier hat die Orientie rung durch die Partei der Arbeiter klasse, unsere Kunst als wesentlichen Teil des gesellschaftlichen Reichtums zu betrachten, sorgsamer und fein fühliger mit ihr umzugehen, engstir nige Normen und Klischeevorstellun gen zu überwinden, bereits reiche Früchte getragen. Für die Besucher der Ausstellung dieser Arbeiten nach dem 15. Oktober in der neuen Mensa bleibt aber noch viel zu diskutieren. Es geht vor allem um die Palette der Motive. Zum Sport, zur Liebe, zum Internationa lismus gibt es schon gute Arbeiten, besonders erfreulich für uns die vier Beiträge zu dem nur selten gepack ten Thema Jugend und Wissenschaft. Aber die überzeugende Aussage zur Arbeit, zur Landesverteidigung, zur Partnerschaft zwischen junger und älterer Generation fehlt noch, von ausbaufähigen Ansätzen bei Jürgen Adler abgesehen. Alle jungen Künst ler haben versprochen, hier noch ein mal auf Motivsuche zu gehen. Sicher wird ihnen die Diskussion in den Betrieben und in der Hochschule da bei helfen, vor allem die frische, ka meradschaftlich zupackende Kritik der Studenten, die in der Kunst mehr sehen als nur einen dem Auge wohl gefälligen Zimmerschmuck. Dr. R. Pakulla, Sektion Marxismus-Leninismus IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIQIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII1IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII0IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIH Ausdrucksstark und eigenwillig sind die hier vorgestellten Arbeiten. Wie oft ist jeder von uns schon den Treppenaufgang zum Hauptgebäude der Hochschule in der Straße der Nationen hochgegangen, wie oft hat er den Blick vom Eingang aus hinaufgerichtet, der Spirale der Treppe folgend? Es schien so, als böte uns das Bild eines solchen Treppenaufganges nichts neues mehr. Und doch wird jeder beeindruckt davon sein, wie Axel Wunsch mit den Augen des Malers die Schönheit eines Treppenaufganges sieht. Gleichsam ohne Anfang und Ende strömen die Scharen junger- Menschen zu den Vorlesungen, Übungen, sich Wissen anzueignen, ihre Gedankenwelt zu erweitern. Ruhe und Optimismus gehen von diesem Bild aus. Michael Morgners Grafik, die zur Solidarität mit den amerikanischen Bür gerrechtskämpfern aufruft, lebt dagegen von der starken Spannung zwi schen der Helligkeit der geballten Faust und der behüteten Friedenstaube mit den dunklen Kontrastlinien und dem Black-Panther-Symbol — eine sehr reife künstlerische Leistung, die sich dem eiligen Betrachter nicht gleich erschließt. Auch seine anderen Beiträge, die zusammen mit allen (über zwanzig) Entwürfen im Foyer der neuen Mensa zu sehen sein wer den, lösen sicher wieder heftige Diskussionen aus. Das kann man auch von Lutz Voigtmanns Arbeiten sagen, die Eindrücke vom Jugendtourismus im Kaukasus verarbeiten. Seine Kaltnadelradierung „Gastmahl bei Freun den“ lebt von der subtilen Feinheit in der Wiedergabe der Details und vom tiefen Hineinfühlen in die exotische Landschaft, in die die tafelnde Menschengruppe noch nicht genügend einbezogen ist. Klaus Neubauer, der Schöpfer des Wandbildes im 1. Stock des Treppen aufganges im Hauptgebäude, hat eine Reihe sehr eindrucksvoller Arbeiten beigesteuert, so die „Motorradliebe 1972“, „Strandleben“, „Junge Gerüst bauer“, „Junges Ehepaar mit Kind“ und „Die Friedensfahrer kommen“. Seine wohl beste Arbeit in dieser Serie, das junge Paar auf dem Motor rad, dürfte wegen seiner harmonischen Innigkeit großen Beifall bei den Ausstellungsbesuchern finden. Veqegnnngen am f^ande Streiflichter aus der Newastadt (3) Von Gabriele Berthel, Zirkel schreibender Studenten und Mitarbeiter der TH vi. Noch einmal sind wir beim „Felsen am Meer“. Holz kirchen und strohbedeckte Bauernhütten aus zwei Jahr hunderten, zusammengestreut zu einem winzigen Museumsdörfchen, das heute für uns und nur für uns da ist. ' Voll strahlt die Sonne auf den Platz. Das Gras ist ausgedörrt. Dreißig Grad im Schatten, mindestens. Wenn man Schatten hat. Auf den Gesichtern der Musiker glänzen winzige Schweißtröpfchen. Dicke gelbe Mützen, rote Wollwesten, schneeweiße Blusen mit langen Pluderärmeln. Spiel Dudelsackpfeifer! Teufelsgeier, spiel! Wir kreisen wie toll. Polkarhythmen. Wechseltanz. Und das Ganze von vom. Junge-Junge, deine Block flöte hat aber einen schrägen Ton. ' Gib mir deine Adresse, ich schick dir eine. Gute Blockflöten baun sie in meiner Stadt., Nein, ich ver gesse es nicht. Spiel, Flötist, spiel! Es ist unser letzter Tag in Tal linn. . vir Abschlußbankett. Himmliche Heerscharen,, diese Fla schenkolonnen! Wenn wir das alles intus haben, finden wir morgen früh unsere Abteiltüren nicht. Prost, Alter chen! Wirklich schon siebzig? Donnerwetter, sieht man mal, wie die Zeit vergeht. Was? Generalmajor a. D.? Prächtiger Witz, Groß vater, willst uns auf die Schippe nehmen, ja? Aber hör mal, dein Schnauzer hat’s mir angetan, ehrlich. Ist doch was andres, als so ein halbgewalkter Backen bart. Oder gefällt dir etwa mein Kumpel Reinhardt? Na also. Jaja, gut hat's die Jugend von heute, hast schon recht. Fünfundvierzig, Gebiet Berlin bis Ostsee? Moment mal, Alter, Spaß beiseite, am Ende bist du doch der, für den du dich ausgibst? Hätten Sie doch gleich sagen können. Tschuldigung. Was sagen Sie? Wirklich nicht böse? Ja doch, einverstanden, bleiben wir also beim du. Bitte ein Autogramm aufs Festivalbuch. Danke. Wer den's in Ehren halten. Der Satz für Reinhardt ist doppelt so lang wie der für uns. Wir sind neugierig. Aber wir haben viel Wcdka und kein Wörterbuch, und mit Wodka kann man kein Autogramm entziffern. Erst im Zug erinnern wir uns wieder daran. Auf Reinhardts Tuch steht in ungelenkten Hyrogly- phen: Bist ein dufter Kerl — ohne Bart noch viel duf ter... \ VIII Kein Festival dauert ewig, auch nicht, wenn es Festi val der Freundschaft heißt. Aber ihr habt ja recht, gerade in bezug auf das letzte Wort: Es gibt Sachen, große Selbstverständlichkeiten, die fragen nicht nach der Zeit. Hinter dem offenen Zugfenster steh' ich, streck' die Arme hinaus, und meine Augen suchen in der Menge Wass ja, Olja und Viktor. Aler die drei stecken wohl irgendwo dahinter im dichtesten Pulk, und jeder könnte jetzt Wassja, Olja und Viktor heißen. Also macht's gut, Kinder, macht's gut. Auf einmal ist da etwas, das vorher nicht da war, das mich irritiert, und ich schaue auf und in zwei rotgeäderte Augen, über denen ein zerdrückter Stroh hut hängt. Ich kenne den Alten nicht, hab ihn nie ge sehen. Wie hat er es fertiggebracht, sich durch diese Massen zu drängen. Seine knöchernen Finger umspan nen meine Hände, pressen sie zusammen, als könnten die ihm jeden Augenblick verlorengehen. Aber es ist wohl auch so. Dreimal schon schrillendes Abfahrtssignal, dreimal blieb der Zug stehen wie fest genagelt — vielleicht wollte der Lokführer nicht diese Wand aus Armen zerreißen. Bist ein feiner Kerl, gro ßes Ehrenwort, wirst eben auf der Strecke ein paar Kilometerchen zulegen. MIR, sagt eine kratzige Stimme neben mir. Die Stimme gehört zu dem Alten, und es dauert eine Weile, bis ich begreife, daß d a s da kein persönliches Fürwort ist, daß das ganz einfach „Welt“ heißt oder „Frie den“ — ja, was denn? Wohl beides zusammen. Wie viel Leute wissen eigentlich, daß es im Russischen für „Welt“ und „Frieden“ nur eine Vokabel gibt, man sollte es ihnen sagen, unbedingt sollte man es ihnen sagen. Jedes Wort verliert seine Farbe durch häufigen Ge brauch — wer hat das behauptet, hört ihr, hier wagt jemand zu widersprechen. Und ich muß es ja wissen, schließlich bin ich einer, den es angeht. Verdammt nochmal, bloß nicht weich werden jetzt, du bist doch hart im Nehmen, Junge. Ich beschwöre mich selbst. Um den Alten herum tausend Köpfe, Lachen, Winken, Wortfetzen, eine Spur Traurig keit auf Mädchengesichtern. Aber ich starre noch immer in das blasse Oval, wo sich über graustopplige, zer knitterte Wangen zwei schmale Tränenspuren ziehen. Ja doch, unausgeschlafen sieht der Alte aus und schlecht rasiert, vielleicht hat er sich heut morgen nicht die Zeit dafür genommen. Welcher Vater, der seinen Sohn zur Bahn bringt, nimmt sich schon Zeit für eine solche Nichtigkeit Dieser Mann da hat nicht nur einen Sohn zu verarbschieden. FRIEDEN sagt er also, und noch einmal: FRIEDEN. So einfach ist das. Ein heißer Pfiff, der Zug ruckt an. Gesichter tauchen in die Ferne. Schneller rollen die Räder, immer schnel ler, schicken zwei winzige Silben über zweitausend Kilometer Schienenweg.. , .