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Einzig schön ist die ruhevolle Stimmung des ersten Satzes, die kunstvoll natürliche Verschlingung von Solostimme und Orchester. Ruhe, Frieden und Glück vereinen sich zum Grundklang des zweiten Satzes. Dann stellt eine kleine Kadenz die Ver bindung zum Finale her, einem musikantisch beschwingten Satz, erfüllt von pul sierendem, fröhlichem Leben. Aus den drei Sätzen des Violinkonzertes klingt ein Stück der österreichischen Land schaft um Wien wieder, ein Stück jener schönen Landschaft, die der Meister so innig und von Herzen liebte. Der Maler August von Kloeber erzählt uns anschaulich, wie er Beethoven in der Nähe des kleinen Weindorfes Mödling begegnete: „Es war höchst interessant, wie Beethoven, ein Notenblatt und einen Stummel von Bleistift in der Hand, öfters wie lauschend stehenblieb, auf und nieder sah und dann auf das Blatt Noten verzeichnete. Man hatte mir gesagt, daß, wenn ich ihm so begegnen würde, ich ihn nie anreden oder bemerken sollte, weil er dann verlegen oder gar unangenehm würde. Das eine Mal, als ich gerade eine Waldpartie aufnahm, sah ich ihn mir gegenüber eine Anhöhe aus dem Hohlwege, der uns trennte, hinauf klettern, den großkrempigen grauen Filzhut unter den Arm gedrückt. Oben an gelangt, warf er sich unter einen Kieferbaum langhin und schaute lange in den Himmel hinein.“ Leicht ist es für uns, vom Violinkonzert die Brücke zur 6. Sinfonie, der „Pastorale“ (Hirtensinfonie) zu schlagen. Das Werk erschien zugleich mit der 5. Sinfonie im April 1809. Beethoven selbst schrieb erläuternde Worte zu den ungewöhnlichen Überschriften der einzelnen Sätze. In einem seiner aufschlußreichen Skizzenbücher lesen wir: „Man überläßt es dem Zuhörer, die Situationen auszufinden. Eine Er innerung an das Landleben. Jede Malerei, nachdem sie in der Instrumentalmusik zu weit getrieben, verliert. Symphonia pastorale. Wer auch nur je eine Idee vom Landleben erhalten, kann sich ohne viele Überschriften denken, was der Autor will. — Auch ohne Beschrei bung wird man das Ganze, welches mehr Empfindung als Tongemälde, erkennen.“ Von Beethovens Freund Schindler erfahren wir, daß des Meisters Liebe zur Natur nicht nur eine Vorliebe für schöne Landschaften gewesen sei. Für Beethoven be deutete der Drang, sich im Freien zu bewegen, die Schönheiten der Landschaft in sich aufzunehmen, so etwas Ähnliches wie die Kunst, „in dem großen Buche der Natur lesen und diese in jede ihrer Erscheinungen verstehen zu können.“ Wir wissen, daß eines der meistgelesenen Bücher Beethovens Sturms Abhandlung „Die Natur als eine Schule für das Herz“ war. Darin waren einige Stellen mehr fach unterstrichen, die als Ergänzung zur Musik der „Pastorale“ von größter Wichtigkeit sind. Wir zitieren: „Man kann die Natur mit Recht eine Schule für das Herz nennen, weil sie uns auf sehr einleuchtende Art die Pflichten lehrt, welche wir auf uns selbst und unsere Nebenmenschen auszuüben, schuldig sind. Wohlan, ich will ein Schüler in dieser Schule sein und ein lernbegieriges Herz zu ihrem Unterrichte darbringen.“