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ZUR EINFÜHRUNG Ein kluger Musiker verglich das Scherzo in der Sinfonie mit dem Satyrspiel, das die alten Griechen im Theater nach der Tragödie brachten: Wie das Satyrspiel mit seiner Heiterkeit „die Tränen trocknet, die die Tragödie heraufbeschwor“, so soll das Scherzo die ernste Stimmung nach dem (ersten oder) zweiten Sinfonie satz hinwegscheuchen. Heinz Bongartz, unser Meister der Philharmonie und ehemals Kompositionsschüler von Dr. Otto Neitzel am Kölner Konservatorium, komponierte seine Burleske (= Spaß, Schwank) und sein Scherzo (= scherzhaft, heiter) um ihrer selbst willen, als Einzelstücke, nicht im Rahmen einer Sinfonie. „Sehr ausgelassen“ sagt die Partitur der Burleske gleich am Anfang. Fidele Sextoien der Holzbläser rauschen zu den bestimmenden Sechszehnteln der Streicher, gezupfte Pizzikatostellen stehen gegen Arco-(= mit Bogen) Partien, die Hörner forcieren das Fortissimo mit hohen Stürzen, die Flöte brilliert in einer Kadenz — lassen wir uns von den meisterlichen Instrumentationskünsten einstimmen in das nachfolgende, wahrhaftig alles andere als tränenreiche, schöne Programm! Das zweite Klavierkonzert in B-Dur op. 83 von Johannes Brahms zeigt nichts von der kämpferischen und in sich gekehrten Atmosphäre des ersten Klavier konzerts auf. Auf den vergangenen Italienreisen Brahms’ hatte sich ein Reichtum von Ideen, Gedanken und Plänen angesammelt, der hier im neuen Konzert Brahms auf der Höhe seines Schaffens seinen Ausklang fand. Gleich der Anfang ist verheißungsvoll daseinsbejahend, er beginnt mit einem Hornmotiv, „das uns in poesievolle Waldesfrische hinausruft, uns in eine behagliche Stimmung sorglosen Frohmuts hineinführt“ (Pauli), und sogleich setzt auch das Klavier ein und beant wortet jeden Ruf des Orchesters mit einem Arpeggio zuerst in der Tonika, dann in der Dominante. Dem Klavier wird hier nicht wie im klassischen Klavierkonzert die Sonderstellung eines konzertanten „Gegners“ zum Gesamtorchester eingeräumt, sondern das Klavier wird mit dem Orchester auf die gleiche Stufe gestellt, musiziert munter und fröhlich als primus inter pares, als „erster unter gleichen“, wobei beim Pianisten, dem ein gewaltiger Anteil des Ganzen anvertraut wird, äußerste technische Vollkommenheit und größte musikalisch-geistige Veranlagung voraus gesetzt werden. Milde und Weisheit predigt der erste Satz, wer will, darf auch noch etwas von südlicher Sonne und nächtlichem weißem Marmor Italiens hinein- oder heraushören. Das Scherzo (Allegro appassionato) könnte nach Billroths, Brahms’ Freund, Meinung „ganz gut firtfallen, so schön und interessant es ist“, da das Werk mit den „ungewohnten vier Sätzen“ eben doch zu lang ist. Uns ist das Konzert mit vier Sätzen nicht zu lang: Nach dem tollen Scherzo (2. Satz) empfinden wir die reine Schönheit des Andante (3. Satz) doppelt schön. Ein Solo-Violoncello und die Klarinette führen in bedeutender Weise das Wort. Ungarischer Geist sprüht aus dem Allegretto grazioso des Finales, das weder Pauken noch Trompeten verlangt, sich auch im Solopart volkstümlicher als die anderen Sätze gibt. Das ineisterlich- cingängliche Werk hat Brahms „seinem teuren Freunde und Lehrer Eduard Marxen“ aus der Hamburger Lehrzeit gewidmet. Die Alpensinfonie von Richard Strauss ist sogenannte Programm-Musik, d. h., sie schildert musikalisch - im Gegensatz zur „absoluten Musik“ der Beet hoven-, Brahms-, Bruckner-Sinfonie ein bildhaftes, vielleicht sogar natura listisches „Programm“. Niemand anders als Richard Strauss selber hat sich mit der zweifelhaften Gegenüberstellung von absoluter und programmatischer Musik, von klassischer Sinfonie und sinfonischer Dichtung in Briefen an Hugo von Hofmannsthal auseinandergesetzt. Ob „Idee“ (Beethoven), ob „Poetische Ganz heit“ (Schumann), ob „Idee fixe“ (Berlioz) -- es gibt nur gute oder schlechte Kunst. Und Strauss’ Alpensinfonie besitzt die musikalische Dramatik allerorts als Merkmal sinfonischen Gestaltens. Ernst Krause hat in seinem Strauss-Buch den