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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 12.1968
- Erscheinungsdatum
- 1968
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- 39-2-77
- Vorlage
- Universitätsbibliothek Leipzig
- Digitalisat
- Universitätsbibliothek Leipzig
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- SLUB Dresden
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- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-196800009
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- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19680000
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- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
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- Teilweise mit vorlagebedingtem Textverlust.
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Zeitschrift
Universitätszeitung
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Band 12.1968
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Band 12.1968
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Maxim Gorki im Gespräch mit Arbeitern. S olange wir nicht lernen, den Menschen als die schönste und wunderbarste Erscheinung auf • unserem Planeten zu bewundern, so lange werden wir nicht frei von der Niedertracht und lüge unseres Lebens. Mit dieser Überzeugung bin ich in die Welt gegangen, und mit ihr werde ich die Welt verlassen. Und wenn ich gehe, werde ich unerschütterlich daran glauben, daß die Welt einmal erkennen wird: Das Allerheiligste ist der Mensch. I D er Hauptheld unserer Bücher muß die Arbeit sein, das heißt der Mensch, der durch die mit I. der machtvollen, modernen Technik gerüsteten Arbeit geformt ist und der seinerseits die Arbeit leichter, produktiver macht und sie zur Kunst erhebt. Wir müssen es lernen, die Arbeit als schöpferische Tätigkeit zu betrachten. (Maxim Gorki) Zum 100. Geburtstag Maxim Gorkis: EIN MENSCH- Maxim Gorki: „Meine Universitäten" Gegen Mitternacht kamen wir zu der Unglücksstelle. Das leere Schiff wurde am gestrandeten vertäut. Un ser Vorarbeiter, ein giftiger alter Kerl, schlau, pockennarbig, Augen und Nase wie ein Geier, riß sich die triefende Mütze vom kahlen Schä del und schrie mit hoher Weiber stimme: „Beten, ihr Kerle!“ In der Finsternis drängten sich auf dem Deck des Kahns die Leute zu einem schwarzen Knäuel zusammen, sie brummten wie die Bären. Der Vorarbeiter war als erster mit sei nem Gebet fertig und kreischte: „Laternen her! So, ihr Kerle, jetzt zeigt einmal, was wirkliche Arbeit heißt! Mit Gott — los!“ Und die schwerfälligen, trägen, nassen Menschen zeigten nun, was Arbeit heißt. Als ginge es in die Schlacht, so stürzten sie sich auf Deck und in den Kielraum des halb gesunkenen Schiffes — mit lautem Gebrüll, Gejohle und vielen Spaß worten. Mit einer Leichtigkeit, als wären es Daunenkissen, flogen neben mir Säcke voll Reis, Ballen mit Ro sinen, Häuten und Schaffellen durch die Luft; stämmige Gestalten rann ten vorbei, einander mit Schreien und Kreischen, mit saftigen Schimpf worten ermunternd. Es kam einem unglaublich vor, daß die gleichen schwerfälligen, finsteren Leute, die eben noch so mißmutig über das Leben, über Nässe und Kälte ge klagt hatten, jetzt so fröhlich, leicht und flott arbeiteten. Der Regen war heftiger und kälter geworden; der Wind blies immer schärfer, er zerrte an den Hemden, schlug sie den Leu ten über die Köpfe und entblößte ihre Leiber. In der nassen Finster nis. beim schwachen Schein von sechs Laternen, rasten die schwar zen Gestalten durcheinander; dumpf stampften ihre Füße auf den Deck balken der beiden Schiffe. Alle ar beiteten sie, als hätten sie sich nach der Arbeit verzehrt, als hätten sie sich schon lange nach dem Genuß ge sehnt, anderthalb Zentner schwere Säcke von Arm zu Arm zu schleu dern und mit schweren Ballen auf dem Buckel dahinzustürmen. Sie ar beiteten gleichsam spielend, mit der fröhlichen Hingabe von Kindern, mit jener trunkenen Freude an der Tätigkeit, die nur durch die Um armung einer Frau an Süße über troffen wird. Ein großer, bärtiger Kerl in lan gem Wams, wohl der Eigentümer der Schiffsladung oder dessen Ge schäftsführer, schrie plötzlich auf geregt: „Leute — eine n Eimer spen dier ich! Meinetwegen zwei, ihr .Halunken! Aber fest an packen!“ Von allen Seiten zugleich brüllten rauhe Stimmen aus der Finsternis: „Drei Eimer!“ „Drei, meinethalben! Aber nun los, was das Zeug hält!“ Und der Sturmwind der Arbeit raste noch toller. Auch ich griff zu. schleppte Säcke, warf sie ab, rannte wieder zurück und nahm wieder neue; und es war mir zumute, als wirbelte ich selbst und alles um mich her in einem tollen Tanz, als könnten diese Leute monate-, jahrelang so furchtbar und so fröhlich arbeiten, ohne müde zu werden, ohne ihre Kräfte zu scho nen, als brächten sie es auch fertig, die Kirchtürme und Minaretts der Stadt zu packen und fortzuschlep pen, wohin sie wollten. Diese Nacht erlebte ich in einem Freudenrausch, wie ich ihn noch nie empfunden, und in meiner Seele glühte das Verlangen, mein ganzes Leben in diesem halbirren Taumel der Arbeit zu verbringen. Die Wel len schlugen an die Planken, der Regen peitschte das Deck, der Wind sauste über den Strom, in dem grauen Dunst der Morgendämme- rung rannten hastig, unermüdlich, halbnackte, durchnäßte Menschen umher, schrien, lachten, waren stolz auf ihre Kraft und ihre Arbeit. Und dann zerriß plötzlich der Wind die schwere Wolkenmasse, und in einem leuchtend blauen Fleck am Himmel flammte ein Sonnenstrahl auf — mit vielstimmigem Johlen begrüßten ihn diese fröhlichen Menschen und schüt telten die nassen Mähnen über ihren muntern Gesichtern. Am liebsten hätte ich diese zweibeinigen Tiere umarmt und abgeküßt, die bei der Arbeit so klug und flink waren, sich ihr so ganz hingaben. Man sollte meinen, daß solcher Anspannung freudig tobender Kraft nichts wiederstehen könne, daß sie auf Erden Wunder wirken, die ganze Welt in einer Nacht mit prächtigen Palästen und Städten be decken müsse, wie es in allen Mär chen heißt. Der Sonnenstrahl blickte einen Augenblick auf die Arbeit der Menschen herab, dann aber unterlag er wieder schweren Wolkenmassen und verschwand in ihr wie ein klei nes Kind im Meer, und der Regen wurde zum Wolkenbruch. „Nun aber Schluß!“ schrie jemand. Aber die anderen versetzten grim mig: „Ich werde ihn dir gleich geben — deinen Schluß!“ Und die halbnackten Leute arbeiteten bis zwei Uhr nachmittags, bis alle Waren ausgeladen waren, ohne Ruhepause, im strömenden Regen und schneidenden Wind, und ließen mich voll Andacht begreifen, wie unendlich reich an Kräften die Men schenwelt ist. Unsere Universitäten „Wenn man mir vorgeschlagen hätte: ,Geh hin und lerne, aber da für werden wir dich jeden Sonntag auf dem Nikolajewer Platz mit Stök- ken geschlagen' — so hätte ich wahr scheinlich angenommen“, schrieb Maxim Gorki in seinen Erinnerun gen. Aber im zaristischen Rußland blie ben einem Arbeiterkind, mochte es noch so lernbegierig sein, die Türen der Hörsäle verschlossen. Arbeit als Tellerwäscher auf einem Wolgadampfer, als Hilfsgeselle in einer Bäckerei, als Gärtner, Haus wart und Eisenbahnwächter — um nur einiges zu nennen — und Freund schaften mit Barfüßlern, Polizisten, Studenten und Revolutionären — das waren Gorkis Universitäten, die ihm reiches Wissen vermittelten. Das Studium an diesen Universi täten ließen ihn „voll Andacht be greifen, wie unendlich reich an Kräf ten die Menschenwelt ist“, und aus dieser Erkenntnis, die sich in allen seinen Werken niederschlug, leitete Gorki seinen Auftrag als Schrift steller ab. 1900 schrieb er: „Meine Aufgabe besteht darin, im Menschen den Stolz auf sich selbst zu wecken, ihm davon zu sprechen, daß er im Leben das Beste, Bedeutungsvollste, Wertvollste, Heiligste ist.“ Wir haben es leichter als Maxim Gorki, uns das notwendige Rüstzeug für das Leben, für das Bestehen in der Praxis zu erwerben. Nicht nur, daß unser sozialistischer Staat uns die Möglichkeiten gibt zu ler nen ; von uns wird gefordert, den Marxismus zu studieren, uns umfassende und spezielle Kennt nisse auf einem Fachgebiet anzueig nen und die Schätze der deutschen und internationalen Kultur in uns aufzunehmen. Mehr noch: Um diesen Prozeß der Wissensaneignung für uns zu erleichtern und uns dabei zu hel fen, wird gefordert, daß wir selbst aktiv an der Gestaltung unseres Studienprozesses teilnehmen und — wie jeder Streiter an der ideolo gischen Front — uns eng mit dem Leben verbinden, daß wir der Praxis nahe sind und aus ihr lernen, um mit allen Kräften dazu beizutragen, daß das Leben aller Menschen menschlich wird. Gorki wünschte sich, an einer Uni versität wie der unseren zu stu dieren; aber auch wir müssen die seine, die einfach „das Leben“ hieß, absolvieren. Und es gilt, an beiden, an „unseren Universitäten“ hohe Er gebnisse zu erzielen. Kerstin Wolf ■ WIE STOLZ DAS KLINGT Im Frühjahr 1958, als Maxim Gorkis 90. Geburtstag gefeiert wurde, hatte ich das Glück, im Moskauer Gorkiarchiv arbeiten zu dürfen. Vorher hatte ich viele seiner Werke gelesen, doch die Tätigkeit in dem überaus reichen, sorgfältig ausgearbeiteten Archiv ließ mich erst richtig die Persönlich keit des ersten Klassikers der sozialistischen Literatur verstehen. Beim Studium seiner Briefe, Notizen und Aufsatzmanuskripte spürte ich immer wieder Gorkis hohe Ach tung vor dem Menschen und seiner Arbeit, erkannte ich, daß er sich gerade in seinem letzten Lebensjahrzehnt, als er Tag für Tag mehr als zwei Dutzend Briefe aus allen Teilen der Welt erhielt und die meisten ausführlich beantwortete, fast täglich Manu skripte junger und erfahrener Autoren redigierte und umfassend einschätzte, zahl reiche bedeutsame literaturkritische und -theoretische Aufsätze verfaßte, wirklich künstlerisch frei gefühlt haben muß und daher seine reifsten Werke. Dramen wie . Jegor Bulytschow und andere“, die Roman- Epopöe „Klim Samgin“ und seine Skizzen und Erzählungen über die sowjetische Wirklichkeit schaffen konnte. Seine leiden schaftliche Stellungnahme zur internatio nalen und zur sowjetischen gesellschaft lichen Entwicklung, zur Kultur und Litera tur, sein' ständiger Kampf gegen Imperia lismus, Faschismus, Krieg und bürgerlichen Kulturverfall, sein Wirken für den ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat, die sozialisti sche Menschengemeinschaft und die fort schrittlichen Kräfte in allen Ländern mach ten mir Gorkis gewaltigen Einfluß auf unsere Epoche erst richtig begreiflich. Gorkis Ideal war der um seine Befreiung kämpfende, aufwärtsstrebende Mensch. Wege und Voraussetzungen für seine Ent- faltung suchte er in der Wirklichkeit, nicht im Abstrakten. Gleichzeitig entlarvte er die Gesellschaft, die den Menschen in der Ent wicklung des Humanen behindert, die ihn deformiert. Daher begrüßte er anfangs die Barfüßler, weil sie gegen das inhaltslose satte Spießer- und Besitzerdasein protestier ten, obwohl er ihre Grenzen nicht ver schwieg; er suchte weiter und fand nach 1900 zur revolutionären Arbeiterbewegung. „Als ich das Wort Mensch zum ersten Mal in großen Buchstaben schrieb, wußte ich noch nicht, was für ein großer Mensch das ist“, erinnerte er sich 1928. „1903 begriff ich, daß der Mensch in den Bolschewiki mit Lenin an der Spitze verkörpert ist.. .“*) Seine enge Freundschaft mit Lenin und ihre jahrzehntelange gemeinsame Tätigkeit hatten bestimmenden Einfluß auf Gorkis Entwicklung; sie half ihm auch, den akti ven, Unrecht, Unterdrückung und Ausbeu tung, Passivität und Wehklagen leiden schaftlich hassenden und bekämpfenden Menschen allseitig zu erkennen. In seinem Leninporträt hat er eine reiche, kompli zierte und zugleich harmonische Persönlich keit vorgestellt und damit die Wahrheit über den Kommunisten, seine neuartige Schönheit in einem Typ verkörpert. Die Leninskizze entstand zwischen 1924 und 1930. Sie macht — verglichen mit dem Roman „Die Mutter“ — die neue Stufe in Gorkis Entwicklung deutlich, die er unter dem Einfluß der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution erreichte. In der „Mut ter“ hatte er, gestützt auf reiche Lebens erfahrung, tiefes Begreifen der historischen Entwicklung und aktive Teilnahme an der Revolution von 1905/07 zum ersten Mal um fassend die Aneignung der wissenschaft lichen Weltanschauung, die Teilnahme am Kampf des Arbeiterkollektivs und die stän dige innere Auseinandersetzung mit den deformierenden Einflüssen der kapitalisti schen Gesellschaft auf Denken und Fühlen des Charakters als entscheidende Voraus setzungen für die Entwicklung zum Sozia listen gestaltet und damit den sozialisti schen Realismus begründet. Die Oktober revolution und der sozialistische Aufbau ließen ihn den weltgeschichtlichen Neu beginn tiefer begreifen. So beschäftigte ihn auf seiner Reise durch die Sowjetunion in den Jahren 1928/29 die Frage: „Fühlt sich der Arbeiter — und in welchem Maße fühlt er sich — als Besitzer?“ 2 ) In dem Skizzen zyklus „Durch die Union der Sowjets“ hat er diese Frage bejaht und gezeigt, daß aus dem „kleinen Mann“ der Schöpfer der Werte und der „zweiten Natur“ wird. Gorki spürt diesen Entwicklungsprozeß in allen Lebensbereichen auf, in den Arbeitern und in den führenden Kommunisten auf den sozialistischen Bauplätzen, im Kolchosdorf, bei der Erziehung einer neuen Jugend und im Staatsapparat; er berichtet vom Helden tum des Volkes im Bürgerkrieg, von der energischen Vorkämpferin für die Be freiung und Gleichberechtigung der Frau und von den Komsomolzen, die so erfolg reich alte Dorfbewohner daran hindern, auf alte Weise weiter zu vegetieren („Drei Er zählungen von Helden“). Er vermag die Größe des werdenden Sozialisten zu ver deutlichen, weil er ihn in der Bewährung, im Kampf gegen die Natur und gegen die dicke Schicht der aus der Vergangenheit stammenden „bleiernlastenden Scheußlich keiten“ darstellt. Am umfassendsten hat er ihn in Lenin und in dem Bolschewiken Kutusow in dem Epos „Klim Samgin“ ver- körpert. Gorki räumt dem Sozial-Historischen in seiner Menschenkonzeption bei der Moti vierung des Denkens, Fühlens und Han delns der Gestalten das Primat ein; er hat es jedoch nie fetischisiert, sondern stets die Verantwortung des einzelnen für sein Schicksal und vor der Menschheit betont. Da her führt er seine Gestalten durch die so zialen und ideologischen Kämpfe im histo rischen Prozeß zu Entscheidungssituationen. Ihr Verhalten in diesen Situationen dient als Kriterium für ihre Einschätzung. Oft müssen seine Gestalten sich erst zu Vertre tern einer Klasse formen oder ihre Positio nen neu bestimmen. Können oder wollen sie sich nicht richtig entscheiden, kann sich ihre Persönlichkeit nicht entfalten; verbin den sie sich bewußt mit dem Kampf der fortschrittlichen Kräfte, entwickelt sich ihre Persönlichkeit, auch unter kapitalistischen Bedingungen. Die wahre Perspektive er fordert die Entscheidung durch die Tat, ein bloßes Ablehnen und Kritisieren gibt noch keine Perspektive. Wird aber die kapitali stische Einstellung zur Grundhaltung, wird sie — wie bei Klim Samgin — geprägt vom bürgerlichen Individualismus, dann zwingt die Logik der Geschichte den Menschen zu antihumanem Handeln und führt zum Ver lust des Menschlichen und der Individua lität. Gerade mit seiner vielschichtigen Ge staltung dieser Perspektivlosigkeit hat Gorki, wie Romain Rolland in seinem Auf satz „Gorki und ich“ schrieb, jene bürger lichen Schriftsteller, die ihre Klasse ableh nen, aber im Nonkonformismus verharren, auf die Grenzen einer solchen Haltung hin gewiesen; er hat ihnen mit seiner Gestal tung der richtigen Entscheidung und seinen kämpferischen Aufsätzen wie „Mit wem seid ihr, .Meister der Kultur'?“ den Weg zum Proletariat und damit zu künstleri scher Freiheit gewiesen. Gorki hat die bildende und erzieherische Macht der Literatur sehr hoch eingeschätzt und ihr eine Aktivierung des Menschlichen durch die direkte Gestaltung seiner Größe und Schönheit gefordert. Immer wieder for derte er, der Schriftstellex- müsse das Typi sche gestalten, das, was allgemeine Bedeu tung besitzt, er müsse die Erscheinungen und Tendenzen „zu Ende denken“. Syste matisch kämpfte er gegen die Deformierung des Menschen und der Literatur in der bürgerlichen Gesellschaft, gegen die Schrift steller, die die Verbindung mit der Welt verloren hatten, die die von der Ausbeuter- gesellschaft hervorgebrachten Widersprüche als „als unlösbare Tragödien“ werteten, da her die Macht des Unmenschlichen als un überwindlich bezeichneten und Pessimis mus predigten. Gleichzeitig wandte ex- sich gegen jene, die dem politischen und künst lerischen Engagement durch eine Flucht in formalistische Experimente auszuweichen suchten. Der sozialistische Künstler muß nach Gorkis Überzeugung begeistert die Schönheit des Veränderers der Gesellschaft und seiner selbst darstellen. Ei- muß die Erscheinungen der sozialistischen Wirklich- keit überall aufspüren, ihre Bedeutung in der sich verändernden Gesellschaft verdeut lichen und so den Leser das Zurechtfinden in der Wirklichkeit lehren. Das aber ist nur möglich, wenn der Schriftstellex- „emotio nal“ gebildet ist, wenn ex- sich als „Erbauer der neuen Lebensverhältnisse, als Schöpfer einer neuen staatlichen Struktur“ fühlt. 3 ) Um diesen Bildungsprozeß zu fördern und zu lenken, gründete er 1929 die Zeit schrift „Unsere Errungenschaften“, deren Redaktion Schriftstellex- für längere Zeit zu den Zentren des sozialistischen Aufbaus mit dem Auftrag entsandte, die Entwick lung des Neuen zu studieren und zu gestal ten. Gleichzeitig verfaßte Gorki zahlreiche Aufsätze und Essays, in denen er aus gehend von politischen und literarischen Problemen zu Grundproblemen der Epoche und des literarischen Schaffens Stellung nahm und den Zusammenhang von ideolo gischer Klarheit und überzeugender Gestal tung bewies. Dabei hob er die Gemeinsam keit im Anliegen der Schriftsteller und in den Zielen der Gesellschaft, das Suchen nach den in der sozialistischen Wirklichkeit liegenden neuartigen Wegen zur Lösung von Widersprüchen hervor. Sein Bemühen war zwar darauf gerichtet, den Schrift stellern zu helfen, sich eine perspektivische Sicht zu erarbeiten, die sich gründet auf Studium des Neuen, auf umfassende soziale Erfahrung und die Aneignung des wissen schaftlichen Sozialismus, „der höchsten gei stigen Ebene, von der die Vergangenheit deutlich sichtbar ist und der direkte und einzige Weg in die Zukunft gezeigt wird.“ 4 ) Für Gorki gilt dieses Prinzip umfassend, sowohl für die Gestaltung und Beurteilung der Vergangenheit, als auch für die Dar stellung des sich im Kampf gegen das Alte durchsetzenden Neuen. Es bestimmt den Historismus seines Schaffens, die vor allem seit der „Mutter“ immer stärker hervor tretende Tendenz, die historische Entwick lung zum bewegenden Moment in der Ent wicklung der Handlung und der Charaktere zu machen und dabei, ausgehend von der russischen Geschichte, das Allgemeingültige der Gesellschafts- und Menschenentwick lung aufzudecken. Der- einzelne wird in dem Maße Mensch, wie ex- durch die gesell schaftsverändernde Tat zum historischen Subjekt wird, und darin kommt Gorkis Parteilichkeit als Prinzip der Menschen konzeption besonders deutlich zum Aus druck. Dr. Günter Warm 1) Lenin und Gorki. Eine Freundschaft in Dokumenten, Berlin 1964, S. 302. 2) Gorki. Ein Lesebuch für unsere Zeit, Weimar 1960, S. 380. 3) Maxim Gorki, Briefe, a. a. O„ S. 543. 4 ) M. Gorki, „Über Perspektive und Froschperspektive“, in: Gesammelte Werke in 30 Bänden, Bd. 27, S. 49 (russ.). UZ 13/68, Seite 5
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