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keit und Scheu. Aber schon meldet sich der Überdruß: ein stark chromatisches Motiv. Da kommt, mit einem schwellenden Nonenakkord und Arpeggien der Harfe angekündigt, des Grafen Witwe. Mit einer leicht ins Ohr und ins Blut gehenden Melodie bekennt er ihr seine Liebe. Aber auch ihrer wird er bald überdrüssig. Eine neue Blume lockt: Donna Anna. Aus der Musik, mit der Strauß sie umwirbt, geht hervor, daß sein Held nun glaubt, die Richtige gefunden zu haben. Fast zögernd naht er sich ihr. Ein zurückhaltendes g-Moll, in Seufzern endend, zeigt uns einen ganz neuen Don Juan. Ist es echt oder ist es Verstellung? Anna selbst wird als holdes Engelsbild gemalt. Süß-sanft fängt die Oboe an zu singen. Weiche Akkorde bilden den Untergrund. Bald sagt uns aber das Motiv des Überdrusses, daß Don Juan keine Ruhe finden kann. Fort stürmt er zu den Klängen des zweiten Don-Juan-Themas in den energischen Hörnern. Hin zu neuen Genüssen! Er findet sie im Trubel des Karnevals, den Strauß mit realistischen Mitteln malt. (Ein quakendes Motiv der gestopften Trompeten gilt als Porträt einer schamlosen Dirne.) Aus dem bisherigen Themen material treibt die musikalische Entwicklung nunmehr einem gewaltigen Höhepunkt entgegen. Dem Rausch folgt Ernüchterung. Sie treibt Don Juan hinaus in die Einsamkeit des Kirchhofes. Dort trifft ihn der todbringende Stahl Don Pedros, in einen Pianissimo-Moll-Akkord hinein sticht ein dissonantes f der Trompeten. Streicher-Tremoli gleiten abwärts: Don Juan haucht seine sündige Seele aus. Ein stark dissonierender Vorhalt vor dem e-Moll-Dreiklang, dieser selbst: ,,Der Brennstoff ist verzehrt, und kalt und dunkel ward es auf dem Herd.“ Peter Iljitsch Tschaikowskij (1840—1893) hat sich zu seiner fünften Sinfonie in e-Moll einmal in einem Notizheft selbst geäußert, und man kann diese Bemerkung als Hinweis auffassen, gleich sam als das Motto, das über diesem Werke stehen könnte. „Vollständige Beugung vor dem Schicksal oder, was dasselbe ist, vor dem unergründlichen Walten der Vorsehung.“ Mit der Sinfonie, die seine drei letzten großen Sinfonien einleitet, war Tschaikowskij nicht zufrieden, weil sic dem Inhalt einen zu breiten Raum gönnt und dabei die künstlerische Form etwas ver nachlässigt. Dafür spricht die Briefstelle: „Nach jeder Aufführung meiner neuen Sinfonie empfinde ich immer stärker, daß dieses Werk mir mißlungen ist. Die Sinfonie erscheint mir zu bunt, zu massiv, zu künstlich, zu lang, überhaupt unsympathisch.“ Wir wundern uns über die Schärfe des eigenen Urteils, wir bewundern seine schonungslose Selbstkritik, die wir heute nicht mehr teilen. Das Werk ist viersätzig. Im ersten Satz leitet ein Thema das Ganze ein, welches gewissermaßen als Leitmotiv in allen vier Sätzen immer wieder erscheint. Der eigentliche erste Satz bringt die beiden sehr gegensätzlichen Themen, die die Form der Sonate verlangt. Der zweite Satz versucht von dunklen Klängen zu lichten Höhen emporzuschwingen, der Schluß verklingt in Ruhe und Harmonie. Der dritte Satz heißt „Valse“, also ein eleganter, weltmänni scher Walzer mit französischem Einschlag, der ein einziges Wiegen und Gleiten darstellt. Der Schlußsatz, das Finale, ist ein toller Wirbel der verschiedensten Stimmungen: ein aufreizender Tanz, ein eilig hastender Galopp, ein jauchzender Wirbel, ein hemmungsloses, brutales Ge stampfe, das am Schluß in eine schmetternd-glänzende Fanfare mündet, die dem düsteren Werk einen überraschenden, aber um so wirkungsvolleren optimistischen Ausgang verleiht. DON JUAN Nikolaus Lenau Den Zauberkreis, den unermeßlich weiten, von vielfach reizend schönen Weiblichkeiten möcht’ ich durchziehen im Strome des Genusses, am Mund der letzten sterben eines Kusses. O Freund, durch alle Räume möcht’ ich fliegen, wo eine Schönheit blüht, hinknien vor jede und, wär’s auch nur für Augenblicke, siegen. Ich fliehe Überdruß und Lustermattung, erhalte frisch im Dienste mich des Schönen, die einzelne kränkend, schwärm’ ich für die Gattung. Der Odem einer Frau, heut’ Frühlingsduft, drückt morgen mich vielleicht wie Kerkerluft. Wenn wechselnd ich mit meiner Liebe wandle im weiten Kreis der schönen Frauen, ist meine Lieb’ an jeder eine andre; nicht aus Ruinen will ich Tempel bauen. Ja! Leidenschaft ist immer nur die neue; Sie läßt sich nicht von der zu jener bringen, sie kann nur sterben hier, dort neu entspringen und kennt sie sich, so weiß sie nichts von Reue. Wie jede Schönheit einzig in der Welt, so ist es auch die Lieb’, der sie gefällt. Hinaus und fort nach immer neuen Siegen, solang der Jugend Feuerpulse fliegen! Es war ein schöner Sturm, der mich getrieben; er hat vertobt und Stille ist geblieben. Scheintot ist alles Wünschen, alles Hoffen. Vielleicht ein Blitz aus Höh’n, die ich verachtet, hat tödlich meine Liebeskraft getroffen. Und plötzlich ward die Welt mir wüst, umnachtet, Vielleicht auch nicht; — der Brennstoff ist verzehrt, und kalt und dunkel ward es auf dem Herd.