Suche löschen...
Wochenblatt für Reichenbrand, Siegmar, Neustadt, Rabenstein und Rottluff : 27.01.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-01-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Heimatverein Reichenbrand e. V.
- Digitalisat
- Heimatverein Reichenbrand e. V.
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1067800220-191201276
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1067800220-19120127
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1067800220-19120127
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatvereins Reichenbrand e. V.
- Saxonica
- Zeitungen
- Bemerkung
- Vorlagebedingter Textverlust.
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wochenblatt für Reichenbrand, Siegmar, Neustadt, ...
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-01
- Tag 1912-01-27
-
Monat
1912-01
-
Jahr
1912
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Wage zu Nr. 4 des Wochenblattes sür Neichenbmb, Siegmar, Neustabt, Nabenstein nnb Nottlnss. Sonnabend, den 27. Januar 1912. Bericht über die Sitzung des Gemeinderates zu Rottluff vom 28. Dezember 1911. Vorsitzender: Herr Gememde-Vorstand Geißler. Anwesend: 9 Mitglieder. 1. Kenntnis nimmt man: s) von dem Berichte über die Ver sammlung des Gemeindeversicherungsverbandes am 18. Dezember 1911 in Leipzig; b) von dem Kartoffelankaufe durch die Gemeindeverwaltung; c) von der Einladung der freiw. Feuerwehr zu deren Vergnügen am 6. Januar 1912; 6) von dem Ableben des im Bezirksstifte zu Jühns dorf untergebrachten Theodor Koblischeck; e> von der erfolgten Ein reichung eines Wegebaubeihilfegesuches. 2. Der Haushaltplan für 1912 wird weiterberaten. Gemeinde kasse: 33579 85 Ausgabe, 10966 H Einnahme, 22613 85 H Fehlbetrag (inkl. Zuschüsse zu den anderen Kassen). Der Haus haltplan soll gekürzt wie voriges Jahr in Druck gelegt werden. Weiter beschließt man die Genehmigungs-Gebühren für den Teilbe bauungsplan -4. aus Mitteln des gemeinnützigen Fonds zu bestreiten. Dem Nachtschutzmann wird dann noch ein Bekleidungsgeld verwilligt. Sitzung vom 23. Januar 1912. Vorsitzender: Herr Gemeinde-Vorstand Geißler. Anwesend: 11 Mitglieder. 1. Kenntnis nimmt man: a) von dem Stromverbrauche der elektr. Straßenbeleuchtunganlage im Jahre 1911; b) von der Einziehung der Flurstücke Nr. 159 und 159a und von dem Verkaufe des Flurstückes Nr. 159a.; c) von der Erkrankung des Stratzenwärters; 6) von der Offerte über elektr. Motor-Sirenen für Feuerwehr-Alarmierung; e) von der Höhe des Bezeigungsgeldes vom Elektrizitätswerke a. d. Lung witz für 1911. 2. Die Neuwahl der Ausschüsse erfolgt durch Zuruf. Gewählt werden in den Finanz- und Verfassungs-Ausschuß die Herren Gem.- Ält. Schmidt, Kupfer, Karl Müller und Schmiedel; in den Bauaus schuß die Herren Günther, Ihle, Lohse und Johann Müller sowie in den Armmausschuß die Herren Günther, Hofmann und Welker. 3. Der Bauausschuß wird beauftragt eine Besichtigung der Feuer spritze vorzunehmen und wegen Reparatur derselben Vorschläge zu machen. 4. Die Spritzenmeister-Entschädigung wird erhöht. 5. Don der Kündigung einer Rachauswohnung nimmt man Kenntnis. Die Wohnung wird anderweit vermietet. 6. Dem Bezirksobstbauverein tritt man nicht bei. 7. Ein Anliegerleistungs-Sicherungs-Rest soll ev. zwangsweise beigetrieben werden. 8. Der Beitritt zu dem Hilfsvereine für Geisteskranke im Kgr. Sachsen wird beschlossen. 9. Ein Anspruch auf Verpflegkosten-Erstattung wird abgelehnt. 10. Das Gesuch des Gemeindevorstandes um Gehalts-Erhöhung wird abgelehnt. 11 Die Beschlußfassung wegen Anschluß an die zu errichtende Gemeinde-Verbands-Sparkasse wird vertagt. 12. Auf Grund der vorliegenden Berechnung wird beschlossen, die Grundbesitzanlagen im Jahre 1912 mit 17 Pfg. pro Grundsteuer- Einheit zu erheben. 13. Zu den Wohnhaus- rc. Baugesuchen des Zimmerei-Inhabers Herm. Bonitz hier und Bauunternehmers Robert Mauersberger in Chemnitz sowie zu dem Fabrik-Baugesuche der Fabrik für landw. Artikel „Agraria" in Dresden werden die Gemeindebedingungen sest- gelegt. 14. Der Gemeinderat spricht sich gegen die Einführung seuchen- verdächttger Tiere in dm Gemeindebezirk aus. 15. Die Vorberatung des neu aufzustellendenLustbarkeits-Abgaben- Aegulatives wird dem Finanz- und Verfassungs-Ausschusse überwiesen. 16. ») Gegen die Grundstücks-Abtrennung vom Flurstück Nr. 106 hat man in volkswirtschaftlicher Beziehung Bedenken nicht zu er heben; b) das Hundesteuer-Regulativ wird wegen einer Revision an den Finanz- und Verfassungs-Ausschuß überwiesen; c) der Herr Vor sitzende wird ersucht, die Berichte über die Gemeinderats-Sitzungen künftig wieder im Wochenblatte für Reichmbrand rc. zu veröffentlichen. (Herr Gem.-Vorst. Geißler hat sich hierzu bereit erklärt, d. Redakt.) Hinaus in die Ferne! Von Kurt Hilme, Reichenbrand. Regelmäßig alle vierzehn Tage ergeht an unsre Fortbildungs schüler die Einladung zu Wanderungen. Wir wollen die Jugend, die oft nicht weiß, was sie Sonntags mit ihrer freien Zeit anfangen soll, anleiten, ihre körperlichen und sittlichen Kräfte zu entwickeln und für das Leben zu festigen. Die jungen Leute sollen ihre freien Stunden der Erholung widmen, sie sollen richtig und wahrhaft wandern lernen zum Segen für ihre Gesundheit und ihre Zukunft. Wer die ganze Woche im überfüllten Fabriksaale hinter sausenden Maschinen rädern steht oder wer tagaus, tagein an die dumpfe Schreibstube oder an die Werkstatt gefesselt ist, der sehnt sich Sonntags hinaus in den stillen Frieden der Natur. Freilich nicht immer strahlt die Sonne vom blauen, wolkenlosen Himmel herab. Aber sollte es uns darum draußen weniger gefallen? Bei Regen und Schneegestöber, in Sturm und Wetter hat die Natur erst recht ihre Reize, und ein echter Wandrer scheut sich vor keinem Wetter. Aber es gibt nur wenige, die wirklich zu wandern verstehen, die meisten haben es nie gelernt. Am besten und leichtesten lernt ihrs in der Jugend. Darum, lieben Freunde, so oft Gelegenheit ist, hinaus aus Stubenluft und Straßendunkel! Da werdet ihrs gar bald empfinden, daß es noch schönere Freuden gibt, als sie das Wirtshaus oder das Kino euch zu bieten vermögen. Ihr Väter, denkt nicht, daß parteipolitische Tendenzen uns zur Einrichtung von Jugmdwanderungen bewogen haben. Beim Wandern gibt es keine Tendenzen. Wir wollen das Wandern um des Wanderns willen pflegen, wir wollen euch bei der Erziehung eurer Heranwachsenden Söhne die Hand reichen Das Wandern ist ein Erziehungsmittel. Mut, Ausdauer, Tatkraft, Umsicht, Selbständigkeit, Aufopferungs freudigkeit, Haushalten mit bescheidenen Mitteln, Natursinn, Heimats- und Vaterlandsliebe, das sind herrliche Tugenden, die eure Kinder beim Wandern üben können. Denkt nicht, daß man zum Wandern reich sein muß. Nur wer wenig Geld vertut, wird häufig wandern können. Es ist Streben und Grundsatz bei unsern Jugendwanderungen, mit möglichst wenig Mittel möglichst viel zu erreichen. Wir werden oft auch Wanderungen unternehmen, die uns nicht einen einzigen Pfennig kosten. Das ist freilich nur dann möglich, wenn sich die Wanderer zu Hause ordentlich mit Mundvorrat versorgen und draußen in der Natur mit dem schönen klaren Quellwasser vorlieb nehmen. — Endlich soll mit unsern Wanderungen zugleich auch der Berufsbildung gedient werden; denn wir wollen bei Gelegenheit staatliche, städtische und private Unternehmen besichtigen, zum Bei spiel : Wasserwerke, Talsperren, Elektrizitätswerke, Gasanstalten, Heil stätten und Erholungsheime, Mühlen, Schlösser usw. Ihr lieben Mütter, denen das Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt, laßt eure Söhne Sonntags mit uns hinausziehen über Berg und Tal! Es wird uns älteren Freunden eine Freude sein, mit jungen Leuten in kleinen Gruppen zu wandern, mit ihnen fröhlich zu sein und ihnen die Augen für die Schönheiten unsrer Heimat zu öffnen. Ihr braucht euch nicht ängstliche Sorgen zu machen; denn ihr wißt ja eure Kinder in guter Gesellschaft, unter den Augen von zuverlässigen und ausopferungsfreudigen Menschenfreunden. Es ist erwiesen, daß nur diese die Führung von Jugendwanderungen übemehmen, weil in diesem Amte keine Ehren und Reichtümer zu erlangen sind. Ihr jungen Freunde, laßt euch nicht vergeblich einladen. Folgt nur erst einmal unsrer Aufforderung, ihr werdet es sicher nicht be reuen. Spart fleißig in unsrer Wanderkasse, daß wir später auch größere Reisen unternehmen können. Scheut euch nicht, auch wieder einmal dorthin zu gehen, wo ihr schon gewesen seid. Wenn ihr mit offenen Augen und empfänglichem Geist und Gemüt wandert, werden euch selbst Wanderungen durch bekannte Gegenden zu Entdeckungs reisen werden. Die Natur offenbart sich nur dem, der sie ehr lich sucht; diesem aber ist sie ein offenes Buch mit wertvollem Inhalte. Greift Sonntags frisch zum Wanderstabe, und ihr werdet nimmer vergessen, wie schön euch die Welt in euern jungen Augen erschien. Dann werdet ihr auch als Männer noch oft und gem hinauswandern, um euch in der frischen Berg- und Waldluft von harter Arbeit zu erholen. Glückauf zu froher Wanderfahrt! Fritzchen. Humoreske von R. Faber. Nachdruck verboten. Fritzchen Plüddemann war trotz seiner erst vierundzwanzig Jahre schon erster Verkäufer in dem großen Delikatessen geschäft von Schulze u. Sohn in Stralsund, und das kam nicht nur daher, daß Fritzchen ein außerordentlich tüchtiger und liebenswürdiger junger Mann war, sondern sich Fräulein Albertine, das einzige Kind von „Schulze u. Sohn" sterblich in sein pausbäckiges Gesicht und in seinen wundervoll glatten, rabenschwarzen Scheitel verliebt hatte. Der Inhaber von „Schulze und Sohn" — daß heißt, es existierte in Wirklichkeit nur noch der Sohn — konnte natürlich der zärtlich geliebten Tochter keinen Wunsch abschlagen, und so war dann Fritzchen sowohl unter äußerst günstigen Bedingungen engagiert und nach und nach in die Geheimnisse des ziem lich umfangreichen Delikatessengeschäftsbetriebes eingeweiht worden, als man ihn auch schon allgemein respektvoll als zukünftiges Familienmitglied betrachtete. Seine alte Mutter, eine Kantorswitwe war glücklich und stolz auf ihren Sohn und seine Erfolge, vor allem bei Fräulein Albertine Schulze. Auch seine fünf Kollegen be neideten ihn, denn sie waren — natürlich — alle in die Tochter des Hauses Schulze sterblich verliebt. Wenn Albertine mal in's Geschäft kam, und das geschah seit Fritzens Anwesenheit ziemlich häufig, so strichen sich die noch einmal verstohlen über den von Pomade glänzenden Scheitel, und jeden Hering, jede Wurst oder saure Gurke, die sie mit ihren roten Fingern einwickelten, begleitete ein süßes Lächeln, daß sich die spärlichen, hochaufgewirbelten Schnurrbarthärchen sträubten. Aber Fräulein Albertine sah nur Fritz Plüddemann, und auch, er warf ihr verliebte Blicke zu. Sie bestellte dann allerlei Richtigkeiten bei ihm, ließ seine Mutter schönstens grüßen und rauschte wieder aus dem Laden, denn Albertine Schulze trug, seitdem Fritzchen bei ihren Vater war, immer Schleppkleider, denn Schleppkleider machen groß und schlank und rauschen. Und von diesem geheimnisvollen Rauschen versprach sie sich viel. Fritzchen Plüddemann hatte sich ganz in dem wohligen Gedanken gewiegt, Herrn Schulzes Schwiegersohn zu werden. Er würde ein herrliches Leben führen. Er und Albertine würden ein eigenes Häuschen mit Garten bewohnen und in jedem Jahr eine kleine Reise machen, wie es Schulzes auch jetzt taten, und wie man es überhaupt nach seiner Ansicht, wenn es etwas bedeuten will, verpflichtet ist zu tun. Da zerstörte das Schicksal mit grausamer Hand all seine schöne Träume. Er kaufte sich nämlich eines Tages ganz ahnungslos beim Buchhändler ein Buch, das den geheimnis vollen Titel „Die Macht des Weibes" trug. Fritzchen konnte sich, als er es einmal begonnen, nicht mehr von dem Buche trennen. Ach, die arme Albertine! Ihr süßestes Lächeln, ihrer Schleppe berauschendstes Rauschen prallte an Fritz Plüdde- manns seit einigen Tagen seltsamen starren Gesicht wirkungs los ab. Er sah sie kaum noch, denn in seiner regen Phantasie war ein neues Bild aufgetaucht, seit er beim Schein der Petroleumlampe allabendlich in seiner Dachstube von der „Macht des Weibes" gelesen hatte. Die Geschichte spielte natürlich in Paris. Der Held war ein armer junger Provinzler, dessen dichterisches Talent man unterdrückte und der in einem Laden Heringe verkaufen mußte, Heringe und saure Gurken! — Er entflieht natürlich der schmachvollen Haft und kommt nach Paris. Hier lernt er in einem Nachtcafe auf den Boulevards eine Dame kennen. Sie sehen und lieben ist natürlich eins bei ihm, denn sie ist zugleich das schönste Weib von Paris. Aber auch sie findet Gefallen an dem schönen, bleichen Jüngling, und durch ihre Hilfe steigt er von Stufe zu Stufe und wird ein berühmter Dichter, dem als höchstes Glück die Liebe besagter Boulevarddame lacht. In diesem Provinzjüngling hatte nun Fritzchen Plüdde mann eine ganz seltsame Aehnlichkeit mit sich selbst entdeckt. Schon rein äußerlich, denn auch er war schwarzhaarig und bleich. Aber auch sein Schicksal fand er in dem ersten Teil des Buches wiedergegeben. Auch er mußte Heringe und saure Gurken verkaufen, auch er hatte schon Gedichte — an Albertine natürlich — gemacht, wenngleich er auch noch keinen bestimmten Drang nach dem Dichterberufe in sich ge fühlt hatte. Doch wer weiß, vielleicht las ein Sachverständiger aus den gereimten Liebesergüsfen wirkliches Talent. Es schwindelte Fritzchen Plüddemann bei diesem Gedanken! Und während er bei Würsten und Heringen im Laden stand, sah er die schöne Freundin des Provinzlers vor sich und träumte sich in seine Rolle hinein. Er fühlte, wie ihr knisterndes Goldhaar seine Wange streifte, er hörte ihr ver heißungsvolles Lachen und spürte ihren liebeglühenden Atem, er sah ihr glänzendes Seidenkleid, das schimmernd ihren schönen Körper umspannte, ihr Mund lockte, ihre Augen lockten — „Bitte, äne saure und äne Pfeffergurke," Fritz Plüdde mann sah verstört die Sprecherin, ein dralles Dienstmädchen an. Verflogen war sein holder Traum von der feuerhaarigen Zezee, die Wirklichkeit in Gestalt von Geheimrat Rosners rotwangige Rieke stand vor ihm. Am Abend dieses Tages aber wurde sich Fritzchen darüber klar, daß er in seiner augenblicklichen Stimmung unmöglich hierbleiben könne. Er wollte seinen Prinzipal um acht tägigen Urlaub bitten, und ohne es jemand wissen zu lassen, nach Berlin fahren. Paris war ihm ein bißchen zu kost spielig, und schließlich nannte man Berlin nicht umsonst ein „Sündenbabel." Wer weiß, vielleicht blühte auch ihm hier das Glück in Gestalt eines schönen Weibes. Und Fritzchen Plüddemann spürte wieder das Knistern von Zezees Feuerhaar. Herr Schulze war sehr erstaunt über den Wunsch seines ersten Verkäufers, aber er gewährte ihm trotzdem gern die acht Tage Urlaub und meinte wohlwollend, er solle sich nur recht gut erholen, er habe wirklich in der letzten Zeit etwas blaß ausgesehen. Fräulein Albertine weinte beinahe und drückte ihm beim Abschied eine Schachtel in die Hand, in der, auf vor zügliche Palinees gebettet, eine Photographie von ihr lag. Fritzchen fuhr, um die Zurückbleibenden über sein Reise ziel zu täuschen, zuerst nach Greifswald und nahm hier erst den Berliner Zug. Er kam, da er einen Frühzug benutzt hatte, gerade zur Mittagszeit auf dem Stettiner Bahnhof an. Als nobler Mann fuhr er natürlich nicht mit der „Elektrischen," sondern nahm sich eine Droschke erster Güte; vor Autos hatte er, da sie ihm unbekannt, zu großem Respekt. Fritzchen Plüddemann nahm im Hotel Fürstenhof am Potsdamer Platz Wohnung, denn erstens hatte er hier das Berliner Leben vor Augen, und zweitens konnte man von hier aus bequem nach Stadtgegenden kommen. Zudem war der „Fürstenhof" ein neues und erstklassiges Hotel. Nachdem er auch „erstklassig" und entsprechend kostspielig diniert hatte, stellte er sich an sein Fenster und sah sich das Leben und Treiben auf dem Potsdamer Platz an. Aber seine Augen waren an ein derartiges Gewimmel nicht gewöhnt und begannen zu schmerzen. Er setzte sich auf's Sofa und vertiefte sich in ein Buch, das er sich so eben von einem Händler erstanden hatte. Es hieß: Der alleinreisende Herr in Berlin. Aus diesem Werk lernte nun Fritzchen Plüddemann jenes Leben kennen, bei dem er sein Glück zu finden hoffte. Natürlich wollte er, wie jeder Fremde, zuerst in's Metropoltheater gehen, Er machte sich also, als es Abend wurde, in Frack und weißer Binde auf, um zu Fuß in's Theater zu gehen und vorher noch das Leben auf der Leipzigerstraße genießen zu können. Fritzchen kam vor lauter Staunen garnicht vorwärts. Vor jedem der prächtigen, hellerleuchteten Schaufenster blieb er stehen, jeder der vielen schickgekleideten Damen sah er nach, und über die Straßendämme rannte er stets im Sturmschritt. Trotzdem kam ihm alles wie ein Traum vor. Ach, schritte doch Zezee an seiner Seite, wie würde man ihn be neiden; und obgleich ihn kein Mensch beachtete, kam sich Fritzchen Plüddemann doch überaus erhaben vor und dachte verächtlich: „Ihr wißt ja alle nicht, welch Glück meiner noch heute wartet." — Fritzchen kaufte sich, bevor er ins Theater ging, noch einen mächtigen Strauß roter Rosen, der trotz seiner Größe und der kalten Jahreszeit nur drei Mark kostete. Er war nach seinem Geschmack sehr schön, denn Fritzchen hatte noch keinen Blick für gedrahtete Rosen und gefärbte Blätter und fand einen schönen, festgebundenen Strauß tausendmal hübscher, als lose fallende Blüten, die jetzt auch in Stralsund Mode wurden. Fritzchen Plüddemann saß stumm vor Staunen über all die niegeahnten Herrlichkeiten, die sich auf der Bühne seinen Blicken darboten. Seinen Rosenstrauch hatte er eigentlich derjenigen Künstlerin senden wollen, die ihm am besten ge fiel, aber er wußte wirklich nicht, welcher er den Vorzug geben sollte. Besonders die Tänzerinnen in ihren Gazeröcken und rosa Seidenschuhen entzückten ihn, aber er konnte doch nicht soviel Sträuße verteilen, als leichtfüßige Tänzerinnen Terpsichores da über die Bretter schwebten. In der Pause machte sich Fritzchen auf dem Gang ein bißchen Bewegung und betrachtete sich das Publikum. Wie distinguiert die Herren aussahen, und wie reizend die Damen. Fritzchen war überzeugt, daß ihm in Berlin das Glück blühen würde. Da kam ihm von der entgegengesetzten Seite eine Dame entgegen. Sie war schlank und hochgewachsen und unter dem Goldspitzenturban quoll feuergoldenes Haar hervor, das ein auffallend hübsches, aber geschminktes Gesicht umrahmte. Fritzchen blieb das Herz stehen. Das war ja Zezee, seine sehnsüchtig gesuchte Zezee, sein Glück. Er sah die Dame starr an. Sie bemerkte es und ein leises Lächeln umspielte die rotgefärbten Lippen. Oh, dieses Lächeln, verheißungsvoll und siegesgewiß zu gleich! Fritzchen war sich klar darüber, daß nur diese allein ihm das Glück bringen könnte, nach dem er sich so sehnte. Aber wie sollte er sie kennen lernens Da fiel ihm sein Rosenstrauß ein. Das war ein An knüpfungspunkt, er wollte ihn ihr verehren, und schnell ging er zu seiner Loge zurück. In demselben Augenblick kam wieder die Schöne an ihm vorbei und, welch ein Glück, die Handtasche entglitt ihr und fiel gerade vor Fritzchens Füße. Als galanter Mann hob er sie natürlich auf und über reichte sie ihr, und wieder lächelte sie ihn an verheißungsvoll und siegesgewiß. Fritzchen blieb mit rotem Kopf an ihrer Seite, er wollte die Gelegenheit nicht unbenutzt vorüber gehen lasten.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)