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fing er an, — naßkaltes Wetter folgte dann, — der lieben Hausfrau zum Verdruß, — die nun fchon wieder Heizen muß. — Im deutschen Reiche Wassers not, — die sich dem Auge grausig bot — auch noch im schönen Alpenland; — in Oestreich großer Städte brand; — in Rußland lange Dürre schon; — bei'n Aankees Wüten vom Cyklon; — in Schottland eis'ger Frost mit Schnee, — und überall auf hoher See — sehr vieler Schiffe Untergang — durch wilden Sturm und Wogendrang. — So war vom Herbstesmond das Bild — nicht g'rad' besonders schön und mild! — Und wie die Witt'rung sich gestellt, — war's auch in der polit'schen Welt. — Teils stürmisch, teils gewitterschwül, — teils hitzig, teils empfindlich kühl! — Das zeigte sich mit Vehemenz — sogar zur Friedenskonferenz. — Krakehl ist jetzt im Ungarnland — noch heißer als wie sonst entbrannt. — Man droht: „Wir zahl'n kein Steuergeld, — wenn der Armee befehl nicht fällt!" — Doch sind sie noch so wild auch dort, — „Deutsch bleibet das Kommandowort!" — So sprach der greise Kaiser Franz, — der herzlich, mit besond'rem Glanz, — d'rauf in der Wiener Donau stadt — der Deutschen Stolz empfangen hat. — Mit seinem neuen Zolltarif — fuhr Chamberlain in Eng land schief;— er mußt' deshalb von dannen geh'n,— man spricht von bald'gem Wiederseh'n. — Die Welt weint ihm wohl allgemach — nicht eine einz'ge Träne nach, — sie bleibt bei seinem Scheiden kühl — und ohne jedes Mitgefühl, — genau wie Rußland bis zur Zeit — für der Bulgaren schweres Leid. — Die glaubten: „Helfen wird der Zar", - und wurden drum mobil sogar. — Der Türke hat's gleich nachgemacht — und losgeh'n kann es über Nacht! — Doch ob auch laut der Angstruf schallt, — das Väterchen bleibt diesmal kalt — und wünschet zu Bulgariens Graus, — daß man ihm klopft die Jacke aus. — Frankreich mischt gleich falls sich nicht ein — und nur Herr Roos'velt wollt' zum Schein — vor Beirut etwas imponier'n, — um sich ganz gründlich zu blamier'n! — So sitzt in Angst der Ferdinand — gerade wie im Serbenland — der Peter, dem, der Tat zum Lohn, — gewaltig wackelt schon der Thron. — Kurz, der September bracht' zum Leid — auf Erden noch viel Zank und Streit. — Ob Schaden nun dadurch entsteht, — ob die Moral zu Grunde geht, — das ist der Menschheit heute gleich, — glaubt's eurem Frohlieb Schmerzensreich. Der Spekulant. «Schluß.) Die Ereignisse kamen seinem Entschlusse zuvor. Plötzlich, wie sie sich entfernt hatten, kehrten Frau und Sohn zurück; an einem kühlen, nebeligen Morgen im November fuhren sie vor. Johann Wilhelm zwang sich mit Gewalt zu Ruhe und Fassung. Während Hans um das Gepäck Sorge trug, ging Frau Marie geraden Weges in das Wohn zimmer neben dem Wintergarten. Mit gesenktem Haupte und herabhängenden Händen blieb sie an der Tür stehen. Sie sprach keine Silbe. Lange Zeit ruhten Johann Wilhelms Blicke auf der Heimgekehrten, und Wehmut erfüllte ihn, als er sah, daß an Stelle der rüstigen, starken Frau, die ihn verlassen hatte, ein abgehärmtes Weib mit schlaffen Gliedern und welken Wangen vor ihm stand. „Marie, liebe Marie!" flüsterte er, und jedes andere Gefühl erstickte die alte, in diesem Augenblick neu erwachte Zuneigung, wie er sie in früheren Jahren für sie gehegt hatte, wenn er sie auch ihres Geldes wegen geheiratet hatte. Langsam breitete er die Arme aus. — Sie lag an seiner Brust und weinte laut; uud diese Tränen sagten Johann Wilhelm klar und deutlich, daß Frau Marie Reue im Herzen trug; sie sprachen von langem Leid und bitterem Kummer; sie gaben schließlich die Aussicht auf künftiges glückliches Zu sammenleben. Plötzlich durchzuckte Johann Wilhelm ein jäher Schreck, aber er bezwang sich gleich! Das mußte überwunden werden, er mußte sich darein finden. „Und wo ist sie denn," fragte er, „die Gräfin Polanco?" „Tot!" meinte Frau Marie. „Tot, nachdem sie uns fast tot gequält hat. O Johann, die tausend Nadelstiche, mit denen sie uns peinigte, die Demütigungen, die Launen —." „Laßt gut sein," tröstete er liebreich. „Du sollst jetzt ein besseres Leben haben. — Wo bleibt Hans?" „Hier bin ich, lieber Vater. Verzeih' mir, was ich Dir antat!" „Das ist längst verziehen. Und nun zu Thildchen!" * * Zwei Winter und ein Sommer sind seit den letzten Ereignissen ins Land gezogen, und wieder ist die Sommermitte überstiegen. Im Hellen Sonnenschein eines Augustnachmittags liegt das Waldtal, das die Neumann-Stiftung aus ¬ füllt, von der Veranda des Rekonvalescentenhauses genießt man die beste Aussicht über das ganze Werk. Das hat auch vielleicht die lustige, kleine Gesellschaft gewußt, die den Kaffeetisch recht nahe an die hölzerne Brüstung geschoben hat. Alle sind hier versammelt: Frau Schefer mit ihren Mädchen, die schon sämtlich lange Kleider tragen, der alte Buchhalter, der jetzt auf Johann Wilhelms strenges Verbot hin keine Feder mehr anrühren darf und sich dafür durch fortgesetztes Händereiben schadlos zu halten gewillt scheint, auch zu Zeiten noch mit der Hand an's Ohr fährt, um sie enttäuscht wieder fort zuziehen, da kein Federhalter mehr dort steckt; Frau Marie, die ganz alt und so runzlig geworden ist, wie ein guter Apfel im Dezember, und Hans, der um vieles lebendiger und kräftiger geworden ist und als Referendar am Gericht seiner Vaterstadt arbeitet; Heinrich Schefer und Thilda—und ein kleines, zierliches Spitzenbündel auf ihren Armen, darinnen Johann Wilhelms Enkel schlafend ruht. Da ist auch der treue Sanitätsrat, welcher gerade in großer Verlegenheit ist, da er eine Anekdote begonnen hat und die Pointe nicht finden kann. Am Kopfende des Tisches aber, schneeweiß und runzelig und gebückt, sitzt Johann Wilhelm wie ein ehrwürdiger Patriarch. Leisen Schrittes geht die barmherzige Schwester ab und zu, die mit der Bedienung beauftragt ist. Tiefes Schweigen ist eingetreten, und der Sanitätsrat hat noch immer nicht gefunden, was er sucht. Inzwischen gleiten die Blicke der anderen über das entzückende Panorama zu ihren Füßen. Aus den tiefgrünen Baumgruppen blitzen die weißen mit hellroten Ziegeln gedeckten Häuser hervor; stellenweise ist der Wald gelichtet und zeigt auf den Blößen saftigen Rasen oder einen kleinen Teich mit Seerosenblättern, von bequemen Ruhebänken umstanden. Kreuz und quer laufen die breiten kiesbestreuten Wege wie Helle Bänder, über die Genesende langsam auf und ab wandeln. Rosen blühen auf schöngeflegten Beeten, Springbrunnen senden ihren silbernen Strahl spielend empor, das Bächlein murmelt im Grunde. Und über dem irdischen Paradies blaut der Himmel in tiefer Pracht, an dem die Schwalben mit lustigem Gekreisch in elegantem Fluge einherfliegen. Freudentränen treten brennend in Johann Wilhelms Augen und sagen ihm, was er schon längst weiß und fühlt: daß er glücklich ist. Der Sanitätsrat hat eben seine Pointe gefunden und öffnet den Mund, um seine Erzählung zu beenden, als Lillig, der Portier, mit einer Meldung kommt. Während er ein Fädchen von seiner schmucken Livree streicht, berichtet er, daß soeben ein Kranker eingeliefert -wur^.—-De^-Bürg«mÄstrr-sÄ öorr einem durchgehen den Wagen überfahren worden, gerade vor dem Eingang zum Hauptgebäude. Er habe nur den Fuß verstaucht. Der Assistenzarzt sei schon mit ihm beschäftigt. Es sei ganz ungefährlich. „Gut!" nickt der Sanitätsrat. „Ich werde nach her persönlich nachschauen." Dann wendet er sich an Johann Wilhelm. „Freundchen," sagt er lachend, „wenn ich den Bürgermeister eher als geheilt entlasse, als bis er sich mit Dir ausgesöhnt und das Kriegs beil begraben hat, will ich — will ich nun ja, will ich immer so spät zur Anekdote die Pointe finden, wie zuletzt." Den mitleidigspöttischen Blick, den er nunmehr auf seine Kaffeetasse wirft, kennt die barm herzige Schwester zur Genüge. „Weiß oder rot?" fragt sie lächelnd den Sanitätsrat, den wackeren, ärzt lichen Leiter der Neumannstiftung, dem niemand gram sein kann. „Daß ich bei der Hitze und zu dieser Tagesstunde keinen Roten trinke, könnten Sie bald wissen," meint der Sanitätsrat trocken. Und wieder fällt ihm eine Anekdote ein. Allgemach bricht die Abenddämmerung herein. Nun beginnt im Dachreiter auf dem Pultdache der katholischen Kapelle — der Betsaal für die Protestanten liegt weiter unten — das Glöckchen zu schwingen und zu klingen. Es ist das Zeichen zum Ave und auch das Zeichen, daß die Besucher die Anstalt zu verlassen haben. Alle erheben sich und begeben sich zur Treppe, die nach unten führt. Nur Johann Wilhelm bleibt neben seinem Stuhle stehen, bis er den engelischen Gruß gesprochen hat. „Er ist und bleibt ein Spekulant," sagt der Sanitätsrat zur barmherzigen Schwester, als sie ihr Gebet beendet hat. „Sein Sinn steht nicht mehr nach irdischem Gut, er spekuliert jetzt auf den Himmel." „Das ist die beste Spekulation, Herr Sanitäts rat," sagt die Schwester ernst und wendet sich ab. «erboten.) Original-Roman von Irene v. Hellmuth. I. Es wollte endlich Frühling werden. Obgleich die ganze Nacht hindurch ein orkanartiger Sturm gewütet und ein heftiger Regen prasselnd an die Fenster geklopft hatte, daß mancher ängstlich dem Toben der Elemente lauschte, so wußten und fühlten die Menschen doch, daß die Gewalt des Winters gebrochen, daß der holde Lenz nun nicht mehr ferne sein konnte. Aufatmend gewahrten sie am Morgen den goldenen, lachenden, warmen Sonnenschein, und man konnte hie und da den Ruf vernehmen: „Nun wird es wirklich Frühling!" Der finsteren, sternenlosen Sturmnacht folgte ein Heller, herrlicher Frühlingsmorgen, so heiter und schön, wie ein junges, glückliches Menschenantlitz. Es war gerade Sonntag, und Alt wie Jung eilte hinaus ins Freie. Auf den umliegenden Bergen begann schon der Schnee zu schmelzen. Rauschend stürzten die sich aus dem Eiswaffel bildenden Bäche ins Tal hernieder und ergossen sich in wildem Gewoge in den bereits hochangeschwollenen Fluß, dessen lehm farbenes Wasser so eilend dahinschoß, als gälte es, etwas Versäumtes nachzuholeu. Eine Gefahr für die Bewohner der Stadt bestand indessen nicht, da die zu beiden Seiten des Flußbettes sich erhebende Stein böschung die wilden Wogen eindämmte. Mochte das Wasser auch noch so wütend dahinbrausen, als wollte es gewaltsam die Fesseln sprengen, es mußte sich doch in den engen Grenzen fortbewegen, die Menschen hände ihm gezogen, und konnte nicht so hoch steigen, um für die Stadt gefahrbringend zu werde». Der schäumende, rauschende Fluß verwandelte sich später, zur Sommerszeit, stets in ein träge fließendes Bächlein, und man vermochte es dann kaum zu glauben, daß aus ihm zu gewissen Zeiten ein solch reißender Strom werden könnte. Oben auf dem Wall mit seinen riesigen, uralten Pappeln befand sich die Promenade, ein wohlgepflegter Weg, der, mit weißem Kies bestreut, auch bei Regen wetter gut passierbar war. Es wimmelte dort von Spaziergängern, und die meisten zeigten ein fröhliches, heiteres Gesicht. Unter den vielen Passanten bemerkte man eine elegant gekleidete, zierliche Dame, die am Arm des Gatten leicht und graziös dahinschritt. Ein kleiner, reizender, etwa vierjähriger Junge im weißen, rauh haarigen Paletot, mit einem breitrandigen Filzhut auf dem nußbraunen Haar, lief bald zum Vater, bald zur Mutter, um sich neckisch immer wieder loszureißen und dann jauchzend vor dem langsam wandelnden Paare herzulaufen. Einige der Spaziergänger blieben stehen und schauten lächelnd dem heiteren Spiel des Kindes zu. Auch die Eltern, die offenbar mit Stolz und Wohlgefallen an den lebhaften Bewegungen des schönen Knaben hingen, nickten sich verstohlen gegen seitig zu, als wollte eins das andere fragen: „Hast Du es gesehen? Ist er nicht der reizendste Junge, den es geben kann?" Hie und da blieb das elegante Paar stehen, um Bekannte- zu begrüßen, oder einige kurze Bemerkungen auszutauschen: dann rief die Mutter- Wieder ängstlich das Kind an ihre Seite, um es voll Stolz den Freunden zu zeigen und es einige Sekunden festzuhalten. Doch der lebhafte Knabe eilte schon nach ganz kurzer Zeit wieder davon, unbekümmert darum, ob die Eltern ihm folgten oder nicht. Sie waren dann gezwungen, sich so rasch als möglich zu verab schieden, und hatten Mühe, den kleinen Ausreißer wieder einzuholen, der, seinen bunten Ball vor sich hertreibend, manchmal in Gefahr geriet, auf die Nase zu fallen. „Leo, Du wildes Kind, gleich kommst Du her," rief der Vater halb lachend, halb ärgerlich. Er versuchte vergebens, eine strenge Miene zu zeigen, und zornig auszusehen; aber sobald der Knabe die vor Vergnügen und kindlicher Lust leuchtenden Blau augen zu ihm ausschlug, war es mit Ernst und Strenge vorbei. Er mußte das Kind abgöttisch lieben, das konnte man unschwer erkennen. „Leo, mein Liebling, jetzt mußt Du aber artig sein und Dich führen lassen; siehst Du, dort ist der Ort, wo im vorigen Frühjahr ein kleines Mädchen ins Wasser fiel und ertrank; der Wassermann hatte es geholt!" rief die junge Frau und zeigte auf eine ziemlich abschüssige Stelle, die entschieden der Aus besserung dringend bedurfte. Schon wandte sich das Kind, um dem Rufe der Mutter Folge zu leisten, als ihm der bunte Ball aus der kleinen Hand fiel und den Abhang hinunter ins Wasser rollte. Der Kleine, der den Flüchtling noch Haschen wollte, rutschte — eben an dem gefährlichen Platz angelangt — aus und stürzte kopfüber in den rauschenden Fluß. Das Unglück war so rasch gekommen, daß niemand daran denken konnte, es zu verhüten. Ein gräßlicher Aufschrei folgte, so weh und bang und herzzereißend, wie ihn nur eine Mutter ausstoßen kann, die eben ihr Teuerstes in den todbringenden Fluten verschwinden sieht. Halb ohnmächtig lag die arme Frau in des Gatten Arm, der, unfähig, gelähmt von dem namenlosen Entsetzen, keinen klaren Gedanken zu fassen vermochte. Er starrte nur mit trostlosem Ausdruck dort hinunter, wo eben das süße Kinder- gesichtcheu für einen Augenblick aus dem schmutzig gelben Wasser auftauchte, um sofort wieder zu ver schwinden. Eine große Menschenmasse hatte sich im Nu an gesammelt, und alles schrie entsetzt durcheinander. „ Um Gottes willen! — wer rettet das Kind? Ach, das schreckliche Unglück!