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sofort. Beiden war trotz aller Heimlichkeit die Liebe lei zwischen dem Sohne und Adelheid Lieber nicht unbekannt geblieben. Abgesehen davon, daß der Ver kehr zwischen dem Försterhause und der Familie Lieber, deren Haupt inzwischen ein schwer reicher Mann und Besitzer eines in der Nähe liegenden Gutes geworden war, und nach wie vor ans der Domäne Eulenried als Pächter wirtschaftete, längst nicht mehr der frühere war, hatten sich über das Verhalten der zu einer blendenden Schönheit gewordenen Adelheid Lieber nichts weniger als vorteilhafte Gerüchte verbreitet. Man bezeichnete die auf das väterliche Vermögen stolze und von ihren, körperlichen Vorzügen augen scheinlich sehr eingenommene Adelheid als eine über aus flatterhafte und herzlose Kokette. Das Ehepaar Werner sah bisher die Neigung des Sohnes zu Adelheid als eine nichtssagende Studenten liebe an. Der Förster hatte sich nun zwar vor genommen, deshalb mit dem Sohne ein ernstes Wort zu reden, war aber doch innerlich sehr froh, diese Aus sprache jetzt noch hinausschieben zu können, da Adel heid Lieber bei der jetzigen Anwesenheit des Sohnes im Vaterhause mit ihrer kränkelnden Mutter noch in Italien weilte, wohin sich beide seit dem Januar be geben hatten. Da in der Zwischenzeit Mama Mathilde nach dem Ableben ihrer Eltern in den Besitz ihres nicht unbedeutenden Erbes gekommen war, hatte Papa Werner keine Schwierigkeiten, die Kosten der weiteren Laufbahn des Sohnes zu bestreiten. Hans trat im Oktober als Einjährig-Freiwilliger in die damals in S. garnisonierende, inzwischen zu einem etatsmäßig vollen Bataillon gewordenen 4. Jäger abteilung ein. Die Eltern wußten aber nicht, daß Hans von da aus öfters uach H. fuhr, wo Adelheid Lieber den nächsten Winter im Hause einer Schwester ihres Vaters verlebte, und auch dort sehr bald durch den Glanz ihrer Toilette auf den Bällen und Soireen, und durch ihre blendende Schönheit Aufsehen erregte, und wiederholt Anlaß zu Redereien gab. Das so vielseitig umschwärmte Mädchen spielte mit Männerherzen wie die Katze mit der Maus; unsern Hans, der dies auch wohl bemerkte, wußte die herzlose Kokette immer und immer wieder hinzuhalten; ein verschwiegener Händedruck, ein zärtlich geflüstertes Wort, begleitet von einer wegwerfenden Bemerkung über diesen oder jenen besonders zudringlich auftreten den Bewerbern genügte, um Hans wieder zu beruhigen und seine wiederholt aufflammende Eifersucht uieder- zudrücken. In dem nächsten Jahre sandte das Försterpaar die Tochter Olga zu längerem Aufenthalte in das Haus einer Jugendfreundin von Mama Mathilde. Jene, als Witwe in einer süddeutschen Stadt lebend, hielt in einer ihr gehörigen kleinen Villa mit großem Garten ein zwar nicht schablonenniäßig betriebenes Töchterpensionat, aber sie hatte doch stets zwei bis drei Töchter von ihr verwandten oder befreundeten Familien um sich, um denselben in einem in der Regel eineinhalb bis zwei Jahre währenden Kursus eine abgeschlossene Bildung in wissenschaftlicher, gesellschaft licher und hauswirtschaftlicher Hinsicht zu Teil werden zu lassen. Olga hatte vorher noch ein Jahr im Eltern haus^ und dessen so gesunder Umgebung vollständig ungebundene Freiheit genossen und war in der Zeit zu einer blühenden, in frischer Fülle prangenden Jung frau herangewachsen, deren Antlitz zwar keinen An spruch auf klassische Schönheit machen konnte, deren ganzes Aeußeres aber in dem Schmuck des jugendlichen Schmelzes so beschaffen war, um den Männeraugen sehr zu gefallen. Wohl schmerzte Olga der Abschied vom traulichen Vaterhause, von den hochverehrten, inniggeliebten Eltern, zu denen sie nach wie vor dank bar aufsah. Wohl wußte sie, daß sie 18 Monate lang vom Vaterhause fern bleiben müsse, aber sie verschloß sich dem Ziele nicht, das die Eltern ins Auge gefaßt hatten, da sie wußte, daß es zu ihrer völligen Aus bildung diente. Aeußerlich ruhig reiste Olga ab. Hans wurde inzwischen in verschiedenen Oberförstereien be schäftigt, im zweiten Jahre uach seiner aktiven Dienst zeit wurde er als Reserveoffizier einberufen. Im Herbst desselben Jahres, als Olga aus der Pension zurück kehrte, uud Hans die vorerwähnte Dienstleistung be endet hatte, trafen die früheren Geschwister im Vater hause nach fast zwei Jahren zum erstenmale wieder zusammen. Obgleich Hans von der nun voll ent wickelten Schönheit Olgas überrascht und recht ange nehm berührt wurde, so war doch sein ganzes Denken und Fühlen von den dämonischen Reizen Adelheids, — die jedoch damals nicht in Eulenried anwesend war, — zu sehr eingenommen, als daß er in Olga mehr, als die unter seinen Augen ausgewachsene Pflegeschwester gesehen hätte. Im kommenden Winter war Hans mit den Vorbereitungen zu der ihm im Frühjahr bevorstehen- deu Prüfung zum Forstassessor völlig in Anspruch ge nommen. Trotz der ihn beherrschenden Leidenschaft zu Adelheid Lieber bestand Hans das Examen mit der Note 1 und der erfreute Vater war bereit, ihm die Mittel zu einer größeren Reise zu bewilligen, als die damals eintretende Mobilmachung des preußischen Heeres einen Strich durch die Rechnung machte. Mit welchen Gefühlen Eltern und Pflegeschwester den Sohn und Bruder iu das Feld ziehen sahen, und mit welcher Sorgfalt die beiden die erforderliche Aus rüstung herrichteten, werden alle deutschen Frauen be greifen, welche damals nur wenige Jahre später in derselbe Lage gewesen sind. Das Regiment, dem Hans angehörte, zog mit nach Böhmen, er wurde schon in der ersten Woche Offizier. Am 4. Juli wurden seine Angehörigen durch ein Telegramm erschreckt, daß er in der Schlacht bei Königsgrätz durch einen Granatsplitter am rechten Oberschenkel schwer verletzt sei! — Da zog schweres Leid in das stille Forsthaus und in die Herzen der Eltern und Schwester ein. Der Jammer wurde erst 14 Tage später durch einige, von Hans selbstgeschriebene Zeilen gemildert, aus denen die hocherfreuten Angehörigen ersahen, daß die an fänglich nötig erscheinende Amputation unterblieb, und das Befinden des Patienten ein den Umständen nach befriedigendes sei. — Nun hatte der gute, besorgte Vater aber keine Ruhe mehr. Er nahm Urlaub, reiste ab und fand den Sohn wohler, als er erwartet hatte. In dem die Oberaufsicht führenden Stabsarzt fand Werner einen alten Bekannten, der während seiner eigenen Dienst zeit als junger Assistenzarzt bei der früheren 4. Jäger abteilung Dienst getan hatte. Da der Förster die Mittel und Möglichkeit nachweisen konnte, dem Sohne in der Privatpflege mindestens dieselbe Sorgfalt zu wenden zu können, die demselben im Militärlazarett zu teil geworden wäre, erlangte er durch Vermittlung und unter Fürsprache des Arztes die Erlaubnis, den verwundeten Sohn mit nach Hause nehmen zu dürfen. Acht Tage nach Werners Ankunft im Lazarett konnte die Abreise beider erfolgen, die freilich nur in kurzen Tagestouren und mit einer zweitägigen Ruhepause in Dresden vor sich ging. Doch überstand Hans die lauge Fahrt verhältnismäßig gut uud Mutter uud Schwester waren nicht wenig erfreut, den Patienten so unverhofft wohl zu finden. Die diesem zugewandte große Sorgfalt und Pflege, die Bemühungen eines gewissenhaften und erfahrenen Arztes wurden durch die Jugendkraft des Verwundeten unterstützt — dennoch kam- das Frühjahr 1867 heran, ehe Hans soweit hergestellt war, daß er in Begleitung seiner Mutter nach Ems reisen konnte, und erst nach längerem Aufenthalte dortselbst konnte Hans sich seiner vorgesetzten Behörde wieder als dienst fähig melden. . Olga hatte sich selbstredend an der Pflege des Ver- igt, dennoch hatte das feinfühlige Mädchen, namentlich während der Rekonvaleszenz, sich alle Reserve aufer legt; trotz der ihr innewohnenden Leidenschaft für den verwundeten Pflegebruder hatte auch der schärfste Beob achter nicht das geringste Zeichen entdecken können, durch welches sie die sich selbst gezogene Grenze der schwester lichen Sorgfalt überschritten hätte. Das charakterfeste Mädchen legte sich die schwere Prüfung auf, ohne zu ahnen, welch' noch viel schwerere Probe ihre Zuneigung zu dem Verwundeten schon in dem darauffolgenden Jahre bestehen sollte. V. Der Forstassessor Hans Werner hatte während seiner Rekonvaleszenz sich mit der Ausarbeitung mehrerer Aufsätze über forstwirtschaftliche Kultur und anderen derartigen Arbeiten beschäftigt. Vor Einsendung der selben an die Redaktion der Fachblätter legte Werner die Manuskripte dem Landesforstmeister vor. Als eine Folge von dessen Gutachten war es wohl zu be zeichnen, daß Hans mit Beginn des Wintersemesters an der Forstakademie als Hilfslehrer angestellt wurde. — Ein Erfolg, der im Försterhause große Freude hervorrief. In den letzten Tagen des Mai brachte der Post bote eine fein gestochene Karte, auf welcher der in zwischen Oekonomierat gewordene Lieber und dessen Frau sich die Ehre gaben, die Verlobung ihrer Tochter Adelheid mit dem Gutsbesitzer und Premierleutnant der Landwehr-Kavallerie Leo von Boruhein auf Schloß Breitensels anzuzeigen. Den Eindruck, den diese unerwartete Verlobungs anzeige aus die Bewohner des Forsthauses machte, erlasse man mir zu schildern; wir dürfen auch ebenso wenig die vertrauliche Aussprache zwischen dem Ehepaar Werner belauschen, welche in verschwiegenem Gemach stattfand, ebenso wenig dürfen wir Olga über die Schulter sehen und die Zeilen lesen, die sie in fliegender Haft in ihr Tagebuch einträgt. Stürmisch wogt die junge Brust auf und ab, die Augen funkeln, die Wangen glühen, und um die frischen vollen Lippen liegt ein Zug der Freude, der vollsten Befriedigung. Nicht das Herz der Pflegeschwester, nein das Herz der liebenden Jung frau sieht iu Adelheids Verlobung eine besondere Förderung der eigenen Hoffnungen, und sonderbar — auch die Eltern waren derselben Ansicht. Der seit Jahren im Stillen gehegte Wunsch, die Pflegetochter als Schwiegetochter sehen zu können, erfuhr durch die Verlobung Adelheids besondere Förderung — so hoffte man im Forsthause. Am zweiten Tage darnach, einem Sonntage, sah Olga den Telegraphenboteu auf das Forsthaus zu kommen. Höchst erstaunt ob dieses seltenen Ereignisses eilte das Mädchen ihm entgegen, brachte das Telegramm dem Vater, der es hastig der aufhorchenden Gattin vorlas: „Komme heute nachmittag 4 Uhr. Hans." „Was fällt denn dem Jungen ein?" sprudelte Werner hervor, „so ganz ohne Veranlassung die weite Fahrt zu macheu und seinen Posten zu verlassen." „Wenn das nur nicht mit Adelheids Verlobung zusammenhängt? Mich hat eine bange Ahnung über fallen," unterbrach die ängstliche Frau Mathilde den Gatten. „Na! Na! Wie kannst Du so etwas denken, Mathilde! Dazu ist der Junge zu vernünftig. Aber eine große Dummheit ist uud bleibt diese Fahrt. Dem Hans scheint das Geld im Beutel zu Hüpfen. So ein Leichtsinn. Na warte, Bürschen, ich werde Dir, wenn Du auch Forstassessor und Reserveleutnant bist, den Standpunkt klar machen. Gottfried kann den Braunen vor die Kutsche spannen. Er soll den jungen Herrn am Bahnhof abholen. Es fährt aber keines von Euch mit! Ich habe gleich nach Tisch einen Gang zu macheu, bin aber noch vor 5 Uhr wieder zurück und werde dem Bruder Leichtfuß ganz gehörig den Kopf waschen!" So entschied der erregte Mann, der nicht ahnte, welche Folgen des Sohnes Fahrt zum Vaterhause haben sollte. Punkt 1 Uhr verließ Werner das Haus, Gott fried fuhr einhalb 4 Uhr nach dem Bahnhofe ab und eine halbe Stunde später machte sich Olga, welche die unaufhörlichen Lamentationen der ahnungsvollen Pflegemutter nicht mehr mit anhören konnte, in Be gleitung des Jagdhundes nach dem Hirschwinkel auf den Weg, um dort auf Hans zu warten. In ihrer begreiflichen Ungednld etwas zu früh angekommen, wandte sich Olga wieder zurück, um bei der Wieder annäherung zu erfahren, daß Hans am Hirschwinkel den Wagen verlassen, und von dort durch den Forst nach dem Gute Eulenried gegangen war. So berichtete Gott fried, der mit dem leeren Gefährt heraukam. Olga suchte trotz ihrer Betroffenheit immer ruhig zu erscheinen. „Es ist gut," sagte sie, „fahre jetzt nach Hause und sage der Mama, daß ich mit Hans wieder zurück kommen werde." Voll banger Ahnungen schlug Olga den Fußpfad uach dem Gute Eulenried ein, um den Bruder zu er warten. Als sie aus dem Walde heraustrat, bemerkte sie Hans, derisoeben aus dem gegenüberliegenden Wald- M EM; 'flch AMW erstreckenden Park, der zu dem Gute gehörte, einzu biegen. Rasch eilte sie dem Bruder entgegen, Hans schien in großer Erregung und konnte nicht sogleich Worte finden* das Mädchen zu begrüßen. Nach kurzer Ueberlegnng teilte Olga ihm mit, daß die Eltern sehr verstinimt wären über diese unverhoffte Ankunft und daß Papa nach einem notwendigen Gange gegen 5 Uhr zurückkehren werde. „Es ist gut," antwortete Hans, „ich verlasse Dich jetzt, liebe Olga, und eile dem Vater entgegen, da ich ihn ohne Zeugen sprechen möchte." Gesagt, getan, er ließ Olga allein. 'Die im vollen Frühlingsschmucke prangende Wald wiese zeigte so viel blühende Blumen, daß das junge Mädchen sich nicht enthalten konnte, einen Strauß zu pflücken, damit beschäftigt, bemerkte sie einen ihr fremden Menschen, welchen sie zuerst für deu Bräutigam Adelheid Liebers hielt, dann aber, da dieser als ein etwa 40jähr., blonder Herr geschildert worden war, ihren Irrtum erkannte, da der Fremde schwarz von Haar und Bart und auch augenscheinlich viel jünger war. Der herankommende lüftete seinen breitkrämpigen, weichen Filzhut und fragte in artigster Form in einem für die Thüringer Gegend fremdartigen Dialekt: „Ver zeihen Sie, mein wertes Fräulein, erreiche ich auf diesem Wege die Chaussee?" „Ja wohl, mein Herr," antwortete Olga, „die Chaussee erreichen Sie in weniger als 10 Minuten, und wenn Sie dann links wenden, kommen Sie in etwa einer halben Stunde an die Bahnstation." „Danke verbindlichst." Damit eilte der fremde, junge Herr, der über der sehr eleganten, dunklen Kleidung einen leichten hell grauen Sommermantel von ganz eigentümlichen! Schnitt trug, rasch weiter. Haus war indessen noch nicht weit gewandert, als er auch schon den Vater herankommen sah. Er eilte dem sehr ernst blickenden Mann entgegen und warf sich ungestüm und schluchzend mit den Worten an die breite Brust: „Ach Vater, lieber Vater, Dein Sohn ist ein unglücklicher, um sein Lebensglück schmählich betrogener Mensch!" Heiße Tränen rannen dem jungen Mann über das Gesicht auf die Schulter des Vaters. Dieser, über den elementaren Schmerzensausbruch des Sohnes tief erschüttert, drängte nach kurzer Um armung Hans von sich ab. „Wenn Dein Schmerz etwa der Adelheid und deren Verlobung gelten sollte, so schäme Dich, Junge!