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Dresdener Philharmonisches Orchester (80 Mitglieder) Mittwoch, den 13. November 1918 */28 Uhr abends 7. Volks -Sinfonie- (4. Lindner)-Konzert Leitung: Edwin Lindner Solist: Grissella Springer (Klavier) 1) Ludwig van Beethoven, 3. Sinfonie in Es-Dur („Eroika“). Diese 1804 vollendete Sinfonie hatte Beethoven zuerst Napoleon ge widmet, für'den er als vermeintlichen Freiheitshelden schwärmte. Als aber an Stelle des Republikaners Napoleon der Kaiser getreten war, zerriß Beethoven die Widmung und gab der Sinfonie den Titel „Heroische Sin fonie, komponiert, um das Andenken eines großen Mannes zu feiern". Die anfängliche Beziehung des Werkes auf Napoleon hat manche früheren Er klärer verleitet, militärisch-kriegerische Züge in der Partitur zu suchen. Nichts davon ist zutreffend. Es handelt sich um ein Abbild allgemeinen menschlichen Heldentums. „Begreifen wir", sagt Richard Wagner mit Recht, „unter „Held“ überhaupt den ganzen vollen Menschen, dem alle rein menschlichen Empfindungen — der Liebe, des Schmerzes und der Kraft — nach höchster Fülle und Stärke eigen sind, so erfassen wir den richtigen Gegenstand, den der Künstler in den ergreifend sprechenden Tönen seines Werkes uns mitteilen läßt.“ Demnach wäre der Inhalt der „Sinfonie“ im Anschluß an einen neueren Beethovenschriftsteller etwa folgendermaßen zu umschreiben: 1. Satz. „Des Helden Kampf“ mit sich selbst und seiner Umgebung, mit seinen eigenen Leidenschaften, mit Haß und Niedrigkeit, ein Kampf, der, nochmal mit Richard Wagner zu reden, „Wonne und Wehe, Lust und Leid, Anmut und Wehmut, Sinnen und Sehnen, Schmachten und Schwelgen, . Kühnheit, Trotz und ein unbändiges Selbstgefühl“ umfaßt und sich im Mittel punkt seiner Entwicklung „zu vernichtender Gewalt zusammenballt“. „Der musikalische Bau dieses gewaltigen Satzes (Allegro con brio, Es-Dur 3 U,) ist klar und übersichtlich, aber reich an Überraschungen Der Anfang mit dem nach zwei einleitenden Akkordschlägen in den Celli ein setzenden Hauptthema strahlt abgeklärte, fast harmlose Ruhe aus, aber alsbald erschließt eine chromatische Wendung das Tor des Leidens und Kämpfens.SchroffeSynkopierungen, herbe Dissonanzen,wuchtigeUnisoni tragen den Ausdruck; dazwischen ziehen ein naiv rührendes und ein auf den über mäßigen Dreiklang gestelltes sehnendes Holzbläsermotiv die weicheren Linien. Das eigentliche zweite Thema steht in der Durchführung: auf dem Gipfel wilder Kampfstimmung erscheint es da, als jäher, kühner Gegensatz in Form einer zarten klagenden E-Moll-Kantilene in den Oboen. Nicht minder kühn ist der Übergang zum Wiederholungsteil mit dem traumhaften Anklingen des Hauptthemas im Horn über harmoniefremden Streichtremolo. Die Wiederholung ist dem ersten Teil gegenüber weniger leidbelastet und von noch schwungvollerer Größe.) 2. Satz. Ein Trauermarsch. In Resignation singt der Held seinen Freuden und Leidenschaften das „Grablied“. „O ihr meiner Jugend Ge fühle und Erscheinungen! O ihr Blicke der Liebe alle, ihr göttlichen Augen blicke! Wie starbt ihr mir so schnell! Ich gedenke euer heute wie meiner Toten“. (Nietzsche) Freilich— es ist immerhin der Held als Sieger des Lebens, der hier spricht, und so mischen sich in Resignation und Trauer auch Klänge stolzester verklärter Kraft: „Ein Unverwundbares, Unbegrab- bares ist an mir, ein Felsensprengendes: das heißt mein Wille. Ja, noch bist du mir aller Gräber Zertrümmerer: Heil dir mein Wille!“ Mit diesem Zarathustrawort könnte man etwa den „Sinn“ der sich zu wuchtiger Energie steigenden Dur-Episoden dieses „Trauermarsches“ deuten. 3. Satz. Damit ist Kampf und Leid vorbei. Der Rest gehört der Lebensfreude, der Lebensbejahung. Mit überlegenem Humor blickt der